Für Dr. Dorothee Wecker ist der Teamgedanke der Schlüssel in die Niederlassung gewesen: Die Hausärztin hat zu Jahresbeginn gemeinsam mit Dr. Linda Mandel ihre Praxis eröffnet – aus der Elternzeit heraus. “Alleine hätte ich das nicht geschafft. Teamgeist ist bei uns das A und O”, erzählt die junge Mutter.
Gemeint ist damit nicht nur die Beziehung zwischen den Praxispartnerinnen, die sich im Weiterbildungsprogramm kennengelernt haben und die unter anderem das berufspolitische Engagement im Hausärzteverband Baden-Württemberg eint. Gemeint ist auch der Rückhalt im Team mit insgesamt drei Medizinischen Fachangestellten (MFA), eine davon gerade auf dem Weg zur Versorgungsassistenz in der Hausarztpraxis (VERAH®).
Und: Wecker und Mandel verstehen sich auch als Team mit anderen Akteuren der Versorgungslandschaft. “Wir haben von Anfang an Gespräche mit der Kommune, Apotheken und Kollegen geführt, um die Versorgungslage vor Ort kennenzulernen”, berichtet Wecker. So kamen zur Eröffnung nicht nur fachärztliche Kolleginnen und Kollegen, sondern auch der Gemeinderat.
Digitalisierung als Teil des Teams
Und auch die Digitalisierung verstehen die Praxisneugründerinnen als Teil ihrer Teamarbeit: Ein Online-Anamnesetool, eine Patienten-App, “eine Telefonanlage, die alles erleichtert” und nicht zuletzt die Möglichkeit, online Rückmeldung zu ihrer Behandlung zu geben – für die Fachärztinnen für Allgemeinmedizin sind das essenzielle Werkzeuge im Praxisalltag.
Damit leben die beiden Hausärztinnen bereits mit der Gründung ihrer Praxis bedeutende Kernelemente einer “HÄPPI-Teampraxis”.
HÄPPI, kurz für “Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell”, ist ein Konzept, das der Hausärztinnen- und Hausärzteverband in Kooperation mit der Universität Heidelberg entwickelt und im November vorgelegt hat.
Es skizziert, wie der Praxisalltag der Zukunft aussehen kann – und ist mit seinem umfassenden Blick eine echte Premiere. HÄPPI soll explizit “ein Angebot an Politik, Kassen, aber insbesondere an die Hausarztpraxen sein, wie Teamarbeit unter hausärztlicher Supervision und mit Hilfe digitaler Tools zukunftsorientiert gestaltet werden kann”, erklärt Bundesvorsitzende Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, die das Konzept federführend mit erarbeitet hat.
Der Grundgedanke: Statt Zersplitterung der Versorgung trägt im HÄPPI-Konzept die Hausärztin bzw. der Hausarzt die Verantwortung und bleibt damit “Kopf der Versorgung”, delegiert aber – je nach Fachkenntnissen der nichtärztlichen Praxismitarbeitenden – einfache bis komplexere Aufgaben.
Kernteam mit hausärztlicher Spitze
Dafür wird ein festes Kernteam gebildet. Hierzu gehört zusätzlich zur hausärztlichen Direktion mindestens eine Person eines nichtärztlichen akademisierten Gesundheitsberufs, beispielsweise eine akademisierte VERAH® oder ein Physician Assistent (PA), sowie darüber hinaus MFA, VERAH® und nichtärztliche Praxisassistenzen (NäPA). In diesem Kernteam sind Rollen und Verantwortlichkeiten und der interne Kommunikationsaustausch klar definiert.
Für Wecker und Mandel ist das HÄPPI- Konzept an vielen Stellen ausformulierte Realität. “Bei uns hat sich das natürlicherweise so ergeben”, erklärt Wecker. Nichtsdestotrotz: Dass der Hausärztinnen- und Hausärzteverband die Kerngedanken eines Modells für eine zukunftsfähige Versorgung in ein Konzept gegossen hat, ist für sie wichtig.
So sind im ausführlichen Konzeptpapier (siehe Link-Tipp unten) beispielsweise digitale Tools sowie eine Einschätzung zu Künstlicher Intelligenz (KI) im Praxisalltag gelistet, erinnert Wecker. Dies sei als Richtschnur hilfreich.
Denkanstöße für den Praxisalltag
Es ist ein Vorteil, den auch Dr. Lutz Weber sieht. Anders als Wecker hat er bereits 17 Jahre Erfahrung in der eigenen Gemeinschaftspraxis, insgesamt sieben MFA haben er und sein Partner Dr. Steffen Gauß im baden-württembergischen Laupheim angestellt. Das HÄPPI-Konzept sei ihm trotz all der Erfahrung ein wertvoller Denkanstoß, so Weber.
“Im Praxisalltag fehlt oft schlichtweg die Zeit, solche grundlegenden Fragen zu durchdenken”, beobachtet der Hausarzt. “Das vorgelegte Konzept bietet daher wertvolle Denkanstöße und kann eine echte Blaupause sein. Wir müssen ja nicht alle einzeln das Rad neu erfinden”, sieht er einen großen Vorteil des HÄPPI-Konzepts, das sechs Kernziele verfolgt (siehe Kasten unten).
Schon vor HÄPPI habe er wie viele andere Kolleginnen und Kollegen überlegt, wie der Praxisalltag angesichts des steigenden Versorgungsdrucks effizient gestaltet werden kann. Das nun vorliegende Konzept liefere dafür hilfreiche Impulse – für Praxen jeder Größe und Praxisform, sieht Weber.
In der Tat können die Kernelemente unabhängig von der Praxisgröße umgesetzt werden, auch wenn beim Wort “Teampraxis” viele zunächst eine größere Einheit oder gar ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) vor Augen haben.
Praxisbeispiel: VERAH® weiterbilden
Im Fall von Dr. Lutz Weber heißt das ganz konkret, dass er aktuell in Erwägung zieht, eine der beiden VERAH® seines Teams per Studium weiterzubilden, um eben das im HÄPPI-Konzept beschriebene Kernteam zu bilden. “Den Physician Assistant in der Hausarztpraxis hatte ich bis dato beispielsweise nicht einmal mitgedacht”, so Weber. So wie ihm könne das Konzept auch anderen erfahrenen Kolleginnen und Kollegen Augenöffner für einzelne Bereiche des Praxisalltags sein, sieht er.
Wichtig dabei: HÄPPI ist explizit ein Angebot, das auf anderen erfolgreichen Versorgungskonzepten wie der VERAH® aufsetzt. Keine Praxis wird dadurch gezwungen, zum HÄPPI zu werden. “Ich weiß noch nicht, ob wir irgendwann offiziell HÄPPI werden”, sagt auch Weber. “Aber einzelne Gedanken kann ich ja nichtsdestotrotz umsetzen, um meinen eigenen Alltag effizienter zu gestalten.”
Angebot an Praxen – kein Muss
Auch Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, unterstreicht diesen Punkt. Das HÄPPI-Konzept sei kein Muss – “aber für die Praxen, die stärker im Team arbeiten wollen, gibt es mit HÄPPI nun ein Konzept, um ihnen deutlich Druck von den Schultern zu nehmen”, erklärt er. Von der Politik erwarte man, dass sie auf diesem Weg, Delegation unter hausärztlicher Supervision neu zu denken, unterstützt.
Dass das verschriftlichte Konzept eine wichtige Basis für die Verankerung des Teampraxis-Modells durch Politik und Kassen und damit nicht zuletzt eine angemessene Vergütung ist, sehen auch Dr. Dorothee Wecker und Dr. Lutz Weber. “Gerade eine praxistaugliche Digitalisierung kostet Geld”, erinnert Wecker. Dass dies fair gegenfinanziert werde, sei wichtig – gerade auch für Praxisneugründer.
Die beiden werden also weiter daran arbeiten, die Kernelemente des HÄPPI- Konzepts in ihren eigenen Praxen umzusetzen, und die weiteren Schritte aufmerksam verfolgen. So liefen zuletzt bereits Gespräche mit einzelnen Kassen, HÄPPI im Rahmen der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) zu verankern und die Arbeit in diesem Modell auch entsprechend zu vergüten.
Und wer weiß, vielleicht finden Patientinnen und Patienten auf den Praxisschildern von Dr. Dorothee Wecker und Dr. Lutz Weber ja irgendwann offiziell nicht nur die Angabe “Hausarztpraxis”, sondern auch “HÄPPI”.