© Helmut Hahn Prof. Dr. Rupert Bauersachs Cardioangiologisches Centrum Bethanien (CCB), Frankfurt
In Hinblick auf mögliche Wechselwirkungen mahnen die Autoren bei den direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) zur Vorsicht. Sofern keine Kontraindikationen vorliegen, schlagen sie für die Behandlung nach sechs Monaten eine volle therapeutische Antikoagulation vor.
Bei instabilen Situationen wird NMH bevorzugt (zum Beispiel bei Thrombozytopenie, Übelkeit, Erbrechen, erwarteten Wechselwirkungen und Operationen, die den oberen Gastrointestinaltrakt betreffen). Bei der Wahl des Antikoagulans gilt es zudem Patientenpräferenz, Kosten, Applikationsweg und Monitoring-Optionen zu berücksichtigen. Sehr ähnliche Empfehlungen finden sich in den Leitlinien der European Society for Vascular Surgery (ESVS) [4]: Präferenz für NMH für die ersten drei bis sechs Monate; bei ausgewählten Patienten und ohne gastrointestinalen und urogenitalen Krebs kann ein zugelassenes DOAK auch für die verlängerte Therapie erwogen werden.
Daten nur für Faktor-Xa-Hemmer
Die Onkopedia-Leitlinien [5] weisen darauf hin, dass Daten nicht für DOAK allgemein, sondern nur für die drei Faktor-Xa-Inhibitoren vorliegen. Bei DOAK empfehlen sie, insbesondere bei gastrointestinalen oder urologischen Tumoren zurückhaltend vorzugehen und mögliche Blutungskomplikationen zu berücksichtigen, vor allem bei luminalem Tumor- oder Metastasennachweis. Bei der Entscheidung zu Applikationsart und Substanzwahl gilt es neben der Tumorentität und dem vermuteten Blutungsrisiko die klinische Situation, die Präferenz der Patienten und die Wechselwirkungen mit bestehender oder geplanter Medikation zu berücksichtigen.
Tumorentität beeinflusst Risiko
Besonders hoch ist das Risiko für venöse Thromboembolien bei Karzinomen von Pankreas, Ovar, Lunge oder Gehirn. Ein hohes Risiko wird auch für hämatologische Neoplasien wie Lymphome und multiples Myelom sowie für Nieren-, Magen- und Knochenkarzinome beschrieben. Dagegen besteht bei Mamma- und Prostatakarzinom generell ein relativ niedriges Risiko für eine venöse Thromboembolie.
Die International Initiative on Thrombosis and Cancer (ITAC) empfiehlt den Einsatz von NMH oder DOAK bei einer Kreatinin-Clearance (CrCl) ≥ 30 mL/min [6]. Wenn kein Risiko für gastrointestinale oder urogenitale Blutungen vorliegt, kann Rivaroxaban/Apixaban (erste zehn Tage) oder Edoxaban (nach ≥ fünf Tagen parenteraler Therapie) verwendet werden, sofern keine starken Wechselwirkungen oder Resorptionsstörungen vorliegen. Vorsicht ist bei gastrointestinalen Tumoren angezeigt (vor allem oberer Gastrointestinaltrakt!). Nach sechs Monaten sollte die weitere Therapie mit NMH, DOAK oder Vitamin-K-Antagonisten (VKA) individuell nach Nutzen/Risiko, Verträglichkeit, Verfügbarkeit, Präferenz und Tumoraktivität erfolgen.
Erstmals Präferenz für DOAK
Die Leitlinien der American Society of Hematology (ASH) [7] empfehlen für die Initialtherapie DOAK (Apixaban oder Rivaroxaban) oder NMH. Für die nachfolgende Therapiephase schlagen sie erstmals vor, ein DOAK (Apixaban, Edoxaban oder Rivaroxaban) gegenüber NMH vorzuziehen. DOAK sollten bei Patienten mit gastrointestinalem Krebs mit Vorsicht eingesetzt werden.
Auch die Chest-Leitlinien [8] empfehlen Faktor-Xa-Inhibitoren (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban) bevorzugt vor NMH für die initiale Phase und die Behandlungsphase (starke Empfehlung, mäßiger Evidenzgrad). Dabei weisen sie darauf hin, dass Edoxaban und Rivaroxaban im Vergleich zu NMH ein höheres Risiko für gastrointestinale Blutungen bei luminalen gastrointestinalen Tumoren aufzuweisen scheinen, während dies bei Apixaban nicht der Fall ist. Apixaban und NMH könnten daher bevorzugte Optionen bei Patienten mit luminalen gastroinestinalen Tumoren darstellen.
Rezidiv unter Antikoagulation
Für Rezidive, die unter Antikoagulation bei krebsassoziierter Thrombose auftreten, nennt die ITAC-Leitlinie [6] drei Optionen: 1. Bei NMH-Therapie Dosiserhöhung um 20 bis 25 Prozent oder Umstellen auf DOAK. 2. Bei DOAK-Therapie Umstellen auf NMH. 3. Unter VKA Umstellen auf NMH oder DOAK. Andere Leitlinien geben ähnliche Empfehlungen ab. Nicht vergessen werden sollte dabei die Abklärung von möglichen Ursachen für das Versagen der Antikoagulation bei diesen komplexen Patienten.
Fazit
Die aktualisierten ASH- und CHEST-Leitlinien sprechen erstmals eine Präferenz für DOAK im Vergleich zu NMH zur Therapie von krebsassozierten VTE aus. Bei gastrointestinalen Läsionen rufen sie allerdings zur Vorsicht auf, vor allem bei Edoxaban und Rivaroxaban.
Die anderen Leitlinien nennen als Therapiestandard für die initiale Therapie und die Erhaltungstherapie zwar weiterhin NMH, weisen aber DOAK (spezifisch den Faktor-Xa-Inhibitoren) eine klare, evidenzbasierte Rolle in der Therapie der krebsassoziierten VTE zu, vor allem für Personen ohne erhöhtes Blutungsrisiko, ohne gastrointestinale und urotheliale Tumoren und ohne erwartete Arzneimittelinteraktionen.
Potenzielle Interessenkonflikte: Forschungsunterstützung: AFNET, FADOI, Viatris, Bay.StMGP; Vortrags- und Beratertätigkeit: Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA, LEO Pharma, Pfizer, Viatris. Der Autor erklärt, dass er sich bei der Erstellung des Beitrages nicht von wirtschaftlichen Interessen leiten ließ.
Literatur:
Linnemann B, Blank W, Doenst T, Erbel C, Isfort P, Janssens U et al. Diagnostik und Therapie der tiefen Venenthrombose und Lungenembolie – AWMF-S2k-Leitlinie 2023.
Thrombose-Risiko bei Krebs im Blick haben. Deutsches Krebsforschungszentrum. https://www.krebsinformationsdienst.de/fachkreise/nachrichten/2023/fk09-thrombose-lungenembolie-krebs-corona.php ; zuletzt abgerufen: 11/2023
Mazzolai L, Ageno W, Alatri A, Bauersachs R, Becattini C, Brodmann M et al. Second consensus document on diagnosis and management of acute deep vein thrombosis: updated document elaborated by the ESC Working Group on aorta and peripheral vascular diseases and the ESC Working Group on pulmonary circulation and right ventricular function. Eur J Prev Cardiol. 2022;29(8):1248–1263.
Kakkos SK, Gohel M, Baekgaard N, Bauersachs R, Bellmunt-Montoya S, Black SA et al. Editor‘s Choice – European Society for Vascular Surgery (ESVS) 2021 Clinical Practice Guidelines on the Management of Venous Thrombosis. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2021;61(1):9–82.
Riess H, Angelillo-Scherrer A, Alt-Epping B, Langer F, Wörmann B, Pabinger-Fasching I. Onkopedia-Leitlinie Venöse Thrombembolien (VTE) bei Tumorpatienten. DGHO 2020. 2020:1–29.
Farge D, Frere C, Connors JM, Khorana AA, Kakkar A, Ay C et al. 2022 international clinical practice guidelines for the treatment and prophylaxis of venous thromboembolism in patients with cancer, including patients with COVID-19. Lancet Oncol. 2022;23(7):e334–e47.
Lyman GH, Carrier M, Ay C, Di Nisio M, Hicks LK, Khorana AA et al. American Society of Hematology 2021 guidelines for management of venous thromboembolism: prevention and treatment in patients with cancer. Blood Adv. 2021;5(4):927–74.
Stevens SM,Woller SC, Baumann Kreuziger L, Bounameaux H, Doerschug K, Geersing GJ et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Second Update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report. Chest. 2021;160(6):e545–e608.