Berlin. „Wir fordern Karl Lauterbach auf, die Notbremse zu ziehen und diese versorgungspolitische Geisterfahrt zu stoppen!“, reagiert der Hausärztinnen- und Hausärzteverband am Montag (18.3.) entrüstet auf den Entwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Der auf den 13. März datierte Entwurf, der „Der Hausarzt“ vorliegt, wird aktuell zwischen den einzelnen Ministerien abgestimmt und ist dabei am Samstag (16.3.) öffentlich geworden. Anders als bislang geplant sollen die Länder nicht mehr im Bundesrat zustimmen müssen.
Während die Klinikreform bislang die hausärztliche Versorgung außen vor ließ, hat sich das mit dem aktuellen Entwurf ins Gegenteil verkehrt. Neu hinzugekommen ist nämlich ein Absatz 3 in Paragraf 116a SGB V, der in Verbindung mit den künftigen sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen nach Paragraf 115g SGB V Sprengkraft entfaltet. Bisher wurden diese Einrichtungen als „Level-1i-Krankenhäuser“ bezeichnet (etwa in medialen Berichten über die Änderung der Approbationsordnung).
Paragraf 116a mit Sprengkraft
Demnach sollen die Bundesländer künftig einzelne Krankenhäuser zu sektorenübergreifenden Einrichtungen bestimmen können. Diese sollen neben stationären auch ambulante Leistungen erbringen. Dazu zählt der Entwurf etwa ambulantes Operieren, Übergangs- oder Kurzzeitpflege sowie „ambulante Leistungen aufgrund einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung“.
Letzteres gewinnt in Zusammenhang mit Paragraf 116a an Brisanz für Hausarztpraxen. Einerseits sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) diese Einrichtungen in Gebieten mit drohender Unterversorgung eine Ermächtigung für vertragsärztliche Leistungen erteilen müssen, bis die Unterversorgung behoben ist.
Absatz 3 von Paragraf 116a sieht darüber hinaus vor, dass der KV-Zulassungsausschuss solche Einrichtungen auf deren Antrag zur hausärztlichen Versorgung unbefristet ermächtigen muss, wenn es in einem Planungsbereich freie Hausarztsitze gibt. Dies traf Ende 2022 auf vier Fünftel der Planungsgebiete (780 von 984) zu, heißt es in der Gesetzesbegründung.
Die hausärztliche Versorgung in den sektorenübergreifenden Einrichtungen sollen Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin oder für Innere Medizin ohne Schwerpunkt übernehmen. Die ambulanten Behandlungen sollen im Sinne von „allgemeinmedizinischen Institutsambulanzen“ stattfinden.
Heftige Kritik an Ministerium
Über die Folgen der Ermächtigung liegen Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Hausärzteschaft über Kreuz. Dem Ministerium zufolge soll so für Menschen ein „dauerhaftes, verlässliches (allgemeinmedizinisches) Versorgungsangebot“ aufgebaut und eine planbare Weiterbildung geschaffen werden.
So könne dort die Weiterbildung in Allgemeinmedizin „aus einer Hand im stationären und im ambulanten Bereich stattfinden“. Die attraktive Gestaltung der Weiterbildung leiste somit einen „wichtigen Beitrag zur hausärztlichen Nachwuchsgewinnung“, argumentiert das Ministerium.
Geld würde Praxen entzogen
Die Ärzteschaft warnt hingegen eindringlich vor diesem Vorstoß, dieser könne sich genau ins Gegenteil verkehren und die hausärztliche Versorgung empfindlich schwächen, machen Hausärztinnen- und Hausärzteverband sowie Kassenärztliche Bundesvereinigung aufmerksam. Könnten Kliniken künftig fast überall hausärztliche Versorgung anbieten, wäre dies „ein Dammbruch und hätte massive negative Auswirkung auf die Sicherstellung“, sind sich die Bundesvorsitzenden des Verbandes, Dr. Markus Beier und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, einig.
Da die ambulanten Leistungen nach Paragraf 120 SGB V aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung finanziert werden sollen, würden damit „Gelder, die eigentlich für die Versorgung in den Praxen gedacht sind, in die Krankenhäuser fließen“, erklärt der Verband, vor allem wenn zuvor nicht endlich die hausärztlichen Leistungen entbudgetiert würden. Das Vorhaben sei eine „Verstationärung auf Kosten von Praxen und Patienten“.
Kampf mit „ungleichen Waffen“
Denn der Verband fürchtet, dass dies zu einer „Rosinenpickerei“ durch die Einrichtungen führen würde, die aufwendige Betreuung beispielsweise chronisch Kranker würde wahrscheinlich bei den Niedergelassenen verbleiben.
Neben den fehlenden finanziellen Mitteln würde auch der ärztliche Nachwuchs den Praxen entzogen – und somit die flächendeckende Versorgung gefährden. Dieser Kampf würde mit „ungleichen Waffen“ geführt, kritisiert der Bayerische Hausärzteverband. Die neuen Versorgungszentren würden meist von Klinikkonzernen geleitet, die über Quersubventionen höhere Gehälter zahlen könnten. Besonders in unterversorgten Gebieten würde das „den Hausarztpraxen den Stecker“ ziehen, macht Landesvorsitzender Dr. Wolfgang Ritter deutlich.
Solche Pläne vom Reißbrett aus zu schmieden, hält auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM), Prof. Martin Scherer, für „Unsinn“. “Die Zulassung der Krankenhäuser und die Definition der Versorgungspfade darf nur nach Abstimmung mit den niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzten vor Ort erfolgen – und zwar eng am objektiven und im Konsens identifizierten Bedarf”, sagt Scherer gegenüber “Der Hausarzt”. Geschehe dies nicht, berge dies die Gefahr, “dass die hausärztliche Versorgung einfach spezialistisch umetikettiert wird – auch mit dem Risiko, dass Krankenhäuser sich die Patienten selbst zuweisen.”
„Der scheinbare Freund der ambulanten hausärztlichen Versorgung zeigt sein wahres Gesicht”, kommentiert Dr. Stephan Hofmeister, hausärztlicher Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Klinikreform. Die hausärztliche Versorgung in Kliniken zu verlagern, sei genau das Gegenteil von Lauterbachs “gebetsmühlenartig vorgetragenen Aussagen, die Hausärztinnen und Hausärzte stärken zu wollen”. Während man auf die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen immer noch warte, werde nun angekündigt, dass “erneut Milliarden in die stationäre Versorgung” fließen.