GeriatrieErkennen von Demenz: Auf das Team kommt es an

Nicht immer werden Demenzen rechtzeitig erkannt. Wie kann das Praxispersonal hier unterstützen?

Angestellte in Allgemeinarztpraxen sind oft mit langjährigen Patientinnen und Patienten im höheren Lebensalter vertraut.

Hausärztinnen und Hausärzten fällt als Primärversorger eine bedeutende Rolle bei der frühzeitigen Identifizierung von Krankheiten zu [1]. Allerdings wird oft kritisiert, dass vergleichsweise wenige Demenzen im Frühstadium entdeckt werden [2; 3; 4]. Häufig außer Acht gelassen wird indes die Frage, inwiefern eine bessere Ausschöpfung der personellen Ressourcen in der Hausarztpraxis bei der Erkennung von Demenzerkrankungen unterstützen könnte.

Angesichts der täglich hohen Zahl an zu behandelnden Personen haben Hausärztinnen und -ärzte nicht immer die Möglichkeit, ausreichend auf Ältere sowie ihre Angehörigen einzugehen und alle “Warnsignale” zu berücksichtigen. Vor allem das Praxispersonal könnte hier zu einer Entlastung beitragen, indem es geriatrisch geschult und aktiv in die Beobachtung und Betreuung von Älteren einbezogen wird [5].

Angestellte in Allgemeinarztpraxen sind oft beständige Mitglieder des hausärztlichen Teams und mit langjährigen Patientinnen und Patienten im höheren Lebensalter vertraut, sodass ihnen eventuelle kognitive Veränderungen bei Vorhandensein von entsprechendem geriatrischen Wissen auffallen können [6]. Oft genügen hierfür bestimmte kommunikative Schlüsselsituationen, etwa am Empfang oder bei der Blutabnahme.

Da Menschen mit Demenz die Begegnung mit Ärztinnen und Ärzten nicht selten als eine Art von “Prüfungssituation” empfinden, für die sie sich eine Maskerade zurechtlegen, sind es womöglich gerade die alltagsnäheren Interaktionen mit dem Praxispersonal, in denen kognitive Einbußen erkennbar werden.

Studienergebnisse

Zwei Studien, die die Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt hat, belegen, dass in vielen Hausarztpraxen dem Personal bislang nur eine untergeordnete Rolle bei der Identifizierung von Demenzerkrankten eingeräumt wird.

So zeigen die Ergebnisse einer Befragung von 2.266 Hausärztinnen und -ärzten in Hessen und Baden-Württemberg, dass gerade einmal 38 Prozent Hinweise auf eine mögliche Demenz bereits über Mitglieder des Praxispersonals bezogen haben [7; 8]. Ebenfalls ist erkennbar, dass mit 34 Prozent eine Minderheit aller Befragten in der eigenen Praxis auf Angestellte zurückgreifen kann, die auf dem Gebiet Demenz entsprechende Fortbildungen durchlaufen haben.

66 Prozent geben hingegen an, nicht über derartige Mitarbeitende zu verfügen. Damit fehlt vielen Praxisangestellten vermutlich auch professionell vermitteltes Know-how zur Anwendung und Auswertung von Demenztests sowie zu verschiedenen gerontopsychologischen Fragen.

Gegenüber anderen möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Demenz-Früherkennung in der Hausarztpraxis (unter anderem Einführung eines evidenzbasierten Diagnose- und Therapiealgorithmus, verstärkte Zusammenarbeit mit regionalen Unterstützungsnetzwerken) hält ein deutlich geringerer Teil der Befragten eine verstärkte Schulung des Praxispersonals hinsichtlich der Früherkennung und Diagnostik für gewinnbringend.

Was raten Kollegen?

Diese Befunde lassen sich in Beziehung setzen mit Ergebnissen einer ebenfalls von der Abteilung Allgemeinmedizin durchgeführten Interviewstudie, im Zuge derer ausführliche Gespräche mit 35 Hausärztinnen und -ärzten aus Rheinland-Pfalz zur Demenzdiagnostik und -versorgung geführt wurden [9].

Speziell mit Blick auf die Rolle des Praxispersonals ist der größte Teil der Befragten der Ansicht, dass die Identifizierung von Demenzen in erster Linie Sache der Hausärzte sei. Sie sehen folglich keine wesentliche Optimierung der Früherkennung, würde das eigene Personal verstärkt geschult und in die Beobachtung älterer Patientinnen und Patienten eingebunden.

Aber circa ein Drittel der Befragten argumentiert grundlegend anders. Diese Gruppe wird auf Basis einer qualitativen Typologisierung als “Integrative” bezeichnet. Hausärztinnen und -ärzte, so die Annahme dieser Gruppe, dürften bei der Diagnostik und Versorgung von Menschen mit Demenz nicht als Einzelkämpfer begriffen werden, sondern müssten deutlich stärker auf das Praxisteam setzen. Die Nutzung der Kompetenzen und Chancen, die das Personal bietet, begreifen sie als Zukunftsfrage mit Blick auf die Verbesserung der Demenzdiagnostik.

Es besteht eine ausgeprägte Bereitschaft, in die Kenntnisse und Fähigkeiten des Praxisteams zu investieren, etwa durch regelmäßige Fortbildungen. Auch legen die integrativ denkenden Hausärztinnen und -ärzte Wert darauf, Voraussetzungen zu schaffen, damit das Personal eine möglichst große Aufmerksamkeit für die Patientinnen und Patienten hat.

Diese Befragten räumen dem Personal eine aktive Mitsprache und Mitverantwortung bei der Ausgestaltung der Früherkennung ein. Beispielsweise besteht eine gemeinsam ausgearbeitete Lösung darin, dass das Personal bei Verhaltensauffälligkeiten von Älteren systematische Notizen in der Patientenakte vermerkt. Ferner ist das Personal angewiesen, routinemäßig Gespräche mit Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen zu führen.

Fazit

Zeit- und Ressourcenknappheit im Praxisalltag führen mitunter dazu, dass ärztlich nicht immer in der Weise auf kognitive Defizite bei Älteren geachtet werden kann, wie dies wünschenswert wäre. Hinzu kommt etwa der Umstand, dass Demenzkranke durchaus schwierig sein können, weil sie dazu neigen, ihre Einbußen zu bagatellisieren oder zu leugnen [10]. Angesichts dieser und weiterer Herausforderungen kann das Praxispersonal eine effektive Unterstützung bei der Identifizierung früher Demenzsymptome sein.

Einige Studienautoren sehen ein demenzgeschultes Praxispersonal sogar als zentralen Baustein, um das aktuelle Konzept der Früherkennung (wie es meist von Fachspezialisten vertreten wird) in der Hausarztpraxis als ein – geriatrisch kompetentes – Konzept der Frühwahrnehmung neu zu denken [5].

Nicht zuletzt kann das Team Hausärztinnen und -ärzte auch darin unterstützen, Erkrankte und Angehörige rechtzeitig an regionale Beratungs- und Versorgungsnetzwerke heranzuführen. So können sie etwa einen Beitrag zur Reduktion des Burn-out-Risikos Angehöriger und zum Gelingen einer häuslichen Pflege leisten [11].

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Literatur

  1. Riedel-Heller S, Schork A, Fromm N, Angemeyer MC. Demenzkranke in der Hausarztpraxis – Ergebnisse einer Befragung. Z Gerontol Geriat 2000; 33: 300-306
  2. Melchinger H, Machleidt W. Hausärztliche Versorgung von Demenzkranken. Analyse der Ist-Situation und Ansätze für Qualifizierungsmaßnahmen. Nervenheilkunde 2005; 6: 493-498
  3. Stoppe G. Demenz: Frühdiagnose und ambulante Versorgung. In: Stoppe G (Hrsg.). Die Versorgung psychisch kranker alter Menschen. Bestandsaufnahme und Herausforderung für die Versorgungsforschung. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 2011: 133-140
  4. Gutzmann H, Haupt M. Standortbestimmung Gerontopsychiatrie. Die Psychiatrie 2009; 4: 1-5
  5. Pentzek M, Vollmar HC, Wilm S, Leve V. Putting dementia awareness into general practice: The CADIF approach. Z Gerontol Geriatr. 2017; 50 (Suppl 2): 44–47
  6. Linden M, Horgas AL, Gilberg R, Steinhagen-Thiessen E. Predicting health care utilization in the very old: the role of physical health, mental health, attitudinal and social factors. J Aging Health 1997; 9: 3–27
  7. Wangler J, Jansky M. Factors influencing general practitioners’ perception of and attitude towards dementia diagnostics and care-results of a survey among primary care physicians in Germany. Wien Med Wochenschr 2021; 171 : 165-173
  8. Wangler J, Fellgiebel A, Jansky M. Das Praxispersonal im Kontext der hausärztlichen Demenzerkennung – ein ungehobenes Potenzial? Z Gerontol Geriatr 2018; 52: 661-666.
  9. Wangler J, Fellgiebel A, Mattlinger C, Jansky M. Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin. Z Allg Med 2018; 94: 12-16
  10. Supprian T, Borosch R, List M, Höft B. Fehlende Krankheitswahrnehmung und Behandlungsbereitschaft bei Demenzkranken im Quartier – Erfahrungen mit einem Modellprojekt in Düsseldorf. In: Stoppe G (Hrsg.). Die Versorgung psychisch kranker alter Menschen. Bestandsaufnahme und Herausforderung für die Versorgungsforschung. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 2011: 197-203
  11. Geschke K, Scheurich A, Schermuly I, Laux N, Böttcher A, Fellgiebel A. Hausarztbasierte Demenzversorgung: Effektivität früher psychosozialer Beratung der Angehörigen. Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 2201-2206
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