Berlin. Dem Vorstoß des GKV-Spitzenverbandes, an der etablierten Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin zu rütteln, erteilen Hausärztinnen- und Hausärzteverband und weitere ärztliche Vertreter eine klare Abfuhr. „Ohne das Förderprogramm wäre die Situation noch viel angespannter als ohnehin schon“, betonte Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, am Dienstag (5.12.).
Hintergrund ist ein Gutachten des IGES-Instituts, das die Kassen selbst in Auftrag gegeben hatten. Darin wurde untersucht, wie fünf Nachbarländer – konkret Belgien, Frankreich, die Niederlande, Österreich und die Schweiz – vorgehen, um die benötigte Zahl an Hausärztinnen und Hausärzten zu gewinnen. Der Knackpunkt: Die Niederlande oder Frankreich beispielsweise erreichen Anteile von allgemeinmedizinischen Weiterbildungsabschlüssen an allen Facharztanerkennungen von 33 Prozent und 40 Prozent, in Deutschland lag dieser Anteil zuletzt bei 13 Prozent.
Der GKV-Spitzenverband hatte die im Gutachten genannten Instrumente der Nachbarn (s. Kasten unten), die Deutschland als Vorbild dienen könnten, daraufhin als Argument genutzt, um ein Fragezeichen an die seit 1999 etablierte Förderung zu setzen und “neue Lösungen” in Form “zentraler Steuerungsinstrumente” durch die Länder zu fordern. Trotz der erheblichen Fördermittel und der steigenden Anzahl geförderter Stellen erreiche das Programm sein Ziel nicht im wünschenswerten Umfang.
Hausärzte: Bisherige Bemühungen ausbauen!
Dieses Fragezeichen ersetzt Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, gegen ein klares Ausrufezeichen. „Die Untersuchung des IGES-Instituts zeigt deutlich, dass durch das Förderprogramm Allgemeinmedizin die Zahl der Facharztanerkennungen in der Allgemeinmedizin spürbar gesteigert werden konnte“, betont er. Gleichzeitig sei in der Tat offensichtlich, dass die bisherigen Bemühungen noch nicht ausreichten, um den wachsenden Bedarf an hausärztlicher Versorgung zu decken. “Das Gutachten sollte also für alle Akteure ein Anreiz sein, die bisherigen Bemühungen zu erweitern. Wir freuen uns, wenn die Krankenkassen durch die von ihnen selbst in Auftrag gegebene Studie auf Handlungsnotwendigkeiten aufmerksam gemacht werden und entsprechend investieren”, schießt Beier in Richtung Kassen zurück.
Die Zahl der allgemeinmedizinischen Weiterbildungsabschlüsse ist laut Ärztestatistik der BÄK zwischen 1998 und 2022 absolut von etwa 1.700 auf etwa 1.900 gestiegen. Aufgrund einer noch stärker gestiegenen Zahl der anderen Facharztabschlüsse (von ca. 9.000 auf 12.200) ist ihr Anteil aber von rund 16 auf rund 13 Prozent gesunken.
Auch Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer (BÄK) weisen den Kassen-Vorstoß unter anderem mit Verweis auf die Zahlen zurück. “Das etablierte Förderprogramm Allgemeinmedizin hat sich nicht nur bewährt, sondern den Abwärtstrend aufgefangen und – gemessen an der reinen Kopfzahl – gerade einmal zu einer halbwegs stabilisierten aktuellen Lage im hausärztlichen Bereich geführt”, unterstrich KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister unmittelbar nach der Veröffentlichung des Gutachtens am Freitag (1.12). Dieses solle nun “abgewrackt” werden.
Als für die Weiterbildung verantwortliche Stelle werde sich die BÄK mit den Vorschlägen der Kassen beschäftigen, betont Prof. Henrik Herrmann, Vorsitzender der Ständigen Konferenz Ärztliche Weiterbildung der BÄK. Doch sei “schwer vorstellbar”, dass Quotierungen und Zwangsmaßnahmen die richtigen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft sein sollen.
Wichtige Instrumente: Präsenz im Studium und Attraktivität der Arbeit
In der Tat sind die planerischen und quotierenden Instrumente, auf die sich die Kassen in erster Linie beziehen, im Gutachten nur ein Ausschnitt der ausgemachten “Erfolgsfaktoren”. Entscheidend sei etwa vielmehr die “Attraktivität der Rahmenbedingungen für die hausärztliche Versorgung”, erinnert Herrmann. Dies geht auch aus den Kernaussagen des IGES-Gutachtens (s. Kasten unten) hervor.
Und: „Auffällig ist, dass die besonders erfolgreichen Vergleichsländer hausärztlichen Themen bereits im Medizinstudium breiteren Raum einräumen und während dieser Zeit auch Phasen in hausärztlichen Praxen obligatorisch sind“, bilanziert das IGES. „Hier sind uns andere europäische Länder um Lichtjahre voraus“, kommentiert Hausärzte-Chef Beier und erinnert an die noch immer ausstehende Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020, der eben diese Stärkung der Allgemeinmedizin als Ziel hat. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband drängt seit jeher auf eine rasche Umsetzung, die jedoch noch immer auf sich warten lässt.
Deutschland benötige, so die Studienautoren weiter, dringend eine mittelfristige Strategie für die primäre, hausärztliche Versorgungsebene, um die Rolle und Rahmenbedingungen des zukünftigen Wirkens von Hausärztinnen und -ärzten zu definieren. “Ziel muss es sein, die Attraktivität der allgemeinmedizinischen Arbeit für die junge Ärztegeneration durch den Ausbau ihrer Funktionen im Versorgungssystem zu erhöhen”, heißt es beim IGES. Dafür spreche nicht zuletzt der Befund, dass die hausärztliche Berufslaufbahn besonders in jenen Ländern attraktiver zu sein scheint, in denen die Hausärztinnen und -ärzte konsequenter als hierzulande als erste Anlaufstelle und Koordinatoren der Versorgung fungieren.
In den Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) werde dieser Ansatz bereits für Millionen von Patientinnen und Patienten gelebt, erinnert Beier. Darüber hinaus hat der Verband mit dem HÄPPI-Konzept jüngst ein Versorgungskonzept erarbeitet, das eine kooperative und arbeitsteilige Form der Berufsausübung ermöglicht. “Auch dies ist laut dem Gutachten eine wichtige Stellschraube zur Steigerung der Attraktivität der hausärztlichen Tätigkeit”, so Beier. “Die Konzepte liegen also auf dem Tisch und wir hoffen, dass die Erkenntnis aus der Untersuchung des IGES-Instituts dazu führen, dass die Krankenkassen ihre teilweise vorhandene Blockadehaltung ablegen.”