Berlin. Mit einem umfangreichen Paket will Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) Hausärztinnen und Hausärzte entlasten und dafür sorgen, dass „überfüllte Praxen künftig nicht mehr vorhanden sind“. Darin enthalten soll unter anderem die lange erwartete und vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband erkämpfte Entbudgetierung nach dem Modell MGV plus sein, aber auch Erleichterungen bei großen Ärgernissen im Praxisalltag wie Regressen.
Das hat der Minister am späten Dienstagnachmittag (9. Januar) nach einem Krisengipfel zur hausärztlichen Versorgung angekündigt. „Wir sind am Vorabend einer sehr großen Reform, wie wir Hausärzte künftig vergüten wollen“, sagte Lauterbach vor Journalistinnen und Journalisten in Berlin. Dies habe auch konkrete Auswirkungen auf die „Art und Weise, wie in Praxen gearbeitet wird“.
Darüber hinaus herrsche Einigkeit, dass man die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) “nach vorne bringen“ wolle, so Lauterbach.
Bereits im Vorfeld des Gesprächs, das der Hausärztinnen- und Hausärzteverband federführend eingefordert hatte, hat Bundesvorsitzender Dr. Markus Beier appelliert, dass diesen Ankündigungen nun Gesetze folgen müssten. Es dürfe nicht „bei Absichtserklärungen und warmen Worten“ bleiben, sondern es müsse „sehr zügig“ an die Umsetzung gehen. „Wenn in den kommenden Wochen und Monaten gesetzgeberisch nichts passiert, dann muss damit gerechnet werden, dass sich die Situation immer weiter zuspitzt“, so Beier.
Gesetz noch für Januar angekündigt
In der Tat hat Lauterbach am Dienstag angekündigt, dass noch „in diesem Monat“ das Versorgungsstärkungsgesetz I vorliegen soll, an welchem man seit vor der Sommerpause 2023 arbeite. In diesem „riesigen Gesetz“ sollen verschiedene der angekündigten Maßnahmen enthalten sein. Das Versorgungsgesetz II, das sich “in der Einflugschneise der Ressortbefassung“ befinde, werde etwa zwei Monate später erwartet.
Mit dem Versorgungsgesetz I soll neben der Budgetierung der hausärztlichen Versorgung auch das quartalsweise Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wegfallen; stattdessen stellt Lauterbach eine Jahrespauschale in Aussicht. Die bisherige Quartalspauschale führe zu medizinisch nicht notwendigen Patientenkontakten, unterstrich Lauterbach am Dienstag.
“Deutlich zurückgefahren” werden sollen darüber hinaus Arzneimittelregresse, hier soll Ärztinnen und Ärzten stärker „vertraut“ werden. Künftig soll für Regresse eine Bagatellgrenze – in Berliner Kreisen fiel der Betrag von 100 Euro – gelten, “um den bürokratischen Aufwand und den Zweck der Prüfungen in einem angemessenen Verhältnis zu halten”. Dies würde einen Großteil der heute stattfindenden Regresse obsolet machen und damit für eine deutliche Entlastung sorgen.
10 Entlastungen für Hausarztpraxen
Konkret listet ein Papier aus dem Bundesgesundheitsministerium, das der Redaktion von “Der Hausarzt” vorliegt, 16 Schritte, von denen 10 unmittelbar die hausärztliche Versorgung betreffen. Fünf davon sollen bereits im Versorgungsgesetz I enthalten sein.
Diese großen Reformen seien hinter den Kulissen schon seit Wochen in sehr enger Abstimmung mit dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband vorbereitet worden, betonte Lauterbach vor der Presse.
Hausärzte: Krisengipfel muss erster Schritt sein
Die Ankündigungen folgten auf den Krisengipfel, zu dem Lauterbach in sein Ministerium eingeladen hatte. Teilnehmer waren neben dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband auch Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Bundesärztekammer (BÄK), der Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa) sowie Vertreter der Kassen. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband war in den vergangenen Wochen vehement für die Notwendigkeit eines solchen Krisentreffens eingetreten.
In den vergangenen Jahren seien größere Strukturreformen im hausärztlichen Bereich ausgeblieben, was unter anderem zu einer „Ungerechtigkeit in der Honorierung“ geführt habe, räumte am Dienstag auch Lauterbach ein.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband lobte daher das angekündigte Maßnahmenpaket. Wenn diese Reformen endlich angepackt werden würden, dann gäbe es trotzdem noch mehr als genug Baustellen, aber dann hätten die Praxen zumindest einmal die Chance, kurz durchzuatmen, sagte Beier im Vorfeld des Gipfels. Lobend erwähnte Co-Bundesvorsitzende Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth am Dienstagnachmittag, dass die hausärztlichen Anregungen – auch beide nun geplanten Pauschalen – angenommen worden seien.
Nichtsdestotrotz unterstrich die Bundesspitze der Hausärztinnen und Hausärzte vor der Presse unisono, dass die nun angekündigten Schritte lediglich ein Auftakt sein dürften. Der Krisengipfel müsse “ein Schritt in ein neues Denken und die umfängliche Förderung der hausärztlichen Versorgung sein”, so Buhlinger-Göpfarth. Andere Länder hätten dies bereits vor Jahren begonnen, erinnerte sie.
Boni für HZV-Versicherte in Aussicht gestellt
Dies gilt auch mit Blick auf einen Punkt, der im Ministeriums-Papier zwar bis dato nicht enthalten ist, von Gesundheitsminister Lauterbach jedoch sowohl vor den Journalistinnen und Journalisten als auch während des Krisengipfels zugesagt wurde, wie Hausärzte-Chef Beier lobend festhielt: ein Bonus für Versicherte, die an Verträgen der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen.
Es sei wichtig, dass die Verträge zur HZV, an denen inzwischen knapp neun Millionen Patientinnen und Patienten teilnehmen und ohne die es vielerorts “zappenduster” aussehen würde, politisch gestärkt werden, mahnte Beier am Dienstag.
Hier stimmte Lauterbach öffentlich zu: „Wir wollen die HZV nach vorne bringen“, herrsche Einigkeit. Es bestehe kein Zweifel daran, dass es eine “Vergütungskomponente” brauche für diejenigen, die sich für die HZV entscheiden. “Die Evidenz für den Versorgungsvorteil in der HZV ist so stark, dass ich als Minister an diesen Daten nicht vorbeischauen kann.”
Der Bonus für HZV-Versicherte war auch einer von vier aus hausärztlicher Sicht drängendsten Punkten, die nach einem Online-Protest des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, zu dem sich Mitte Dezember 1300 Teilnehmer getroffen hatten, in einer Resolution festgehalten wurden. Die übrigen drei – ein Krisengipfel im Ministerium, Entbudgetierung sowie Entbürokratisierung – könnten mit den nun verkündeten Schritten umgesetzt werden.
GOÄ-Reform in neuem “Korridor der Befassung”
Auch die anderen teilnehmenden Verbände betonten vor der Presse, dass der Krisengipfel nur ein Auftakt für weitere Gespräche sein könne. So betonte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), die Notwendigkeit, in Sachen GOÄ-Reform im Gespräch zu bleiben. Hier habe Lauterbach am Runden Tisch zumindest einen “Korridor der Befassung” in Aussicht gestellt.
Dr. Sybille Steiner als Vertreterin der KBV unterstrich neben Reinhardt, dass man sich eine Entbudgetierung auch für die fachärztliche Versorgung gewünscht hätte.
Gemeinsam mit KBV-Chef Dr. Andreas Gassen kritisierte sie am Dienstagabend, dass viele der vorgeschlagenen Maßnahmen “zu unverbindlich und offen” geblieben seien. So sei beispielsweise unklar geblieben, “wie der Wechsel zu leistungsfähigen Praxisverwaltungssystemen erleichtert und finanzierbar werden soll”. Es gelte nun, die vorgeschlagenen Schritte rasch auf ihre Praktikabilität zu prüfen, unterstrich die KBV.