ArzneimittelversorgungBesorgter Blick auf den Winter

Im vergangenen Jahr hatten vor allem fehlende Fieber- und Hustenmittel für Kinder Praxis- und Apothekenteams auf Trab gehalten. Aber auch andere, nicht oder nur schwer lieferbare Medikamente bereiteten Sorge. Wie schätzen Experten die Lage für den kommenden Herbst/Winter ein − auch im Hinblick auf das neue Lieferengpassgesetz? Und was meinen Hausärztinnen und Hausärzte?

Zuletzt hatten fehlende Husten- und Fiebermittel für Kinder und Engpässe bei Antibiotika für Schlagzeilen gesorgt.

Lieferengpässe sind in den letzten Jahren zu einem großen Problem in der Versorgung geworden. Zuletzt hatten fehlende Husten- und Fiebermittel für Kinder als auch Engpässe bei Antibiotika für negative Schlagzeilen gesorgt und an der sowieso schon knappen Zeit der Teams in Praxen und Apotheken genagt.

BfArM-Beirat stellt weiterhin Versorgungsmangel fest

Mit dem “Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz” (ALBVVG), das am 27. Juli 2023 in Kraft getreten ist, hat Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) auf die Missstände reagiert und verschiedene Maßnahmen gesetzlich verankert.

Dazu gehören laut Bundesgesundheitsministerium zum Beispiel keine Festbetragsgruppen bei Kinderarzneimitteln, vereinfachte Austauschregeln für Apotheken oder erhöhte, verbindliche Bevorratungspflichten von Arzneimitteln. Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum müssen bei Ausschreibung von Kassenverträgen außerdem zusätzlich berücksichtigt werden.

Mit seinem Gesetz versprach Lauterbach: “Wir machen Deutschland wieder attraktiver als Absatzmarkt für generische Arzneimittel. Europäische Produktionsstandorte werden gestärkt und Reaktionsmechanismen verbessert. Damit wollen wir neue Lieferengpässe vermeiden.”

Und wie sieht es gut ein Jahr später aus? Wird es im kommenden Herbst/Winter wieder so weit kommen, dass Teams in Praxen und Apotheken viel Zeit investieren müssen, weil Arzneimittel nicht zu haben sind?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlicht regelmäßig eine Liste mit bestehenden Lieferengpässen (473 -Stand 10.9.2024). Dessen Beirat hatte in seiner letzten Sitzung am 12. Juni festgestellt, dass weiterhin ein Versorgungsmangel “mit antibiotikahaltigen Säften für Kinder für einzelne Wirkstoffe besteht.

Stark eingeschränkt zur Verfügung stehen momentan Antibiotikasäfte mit den Wirkstoffen Penicillin V, Amoxicillin, Clarithromycin, Cefadroxil und Sultamicillin. Obwohl Importe bereits realisiert werden konnten, stellt sich die allgemeine Situation weiterhin als angespannt dar”, teilt das BfArM auf Anfrage von “Der Hausarzt” mit.

Mangel auch bei Salbutamol

Daneben besteht seit Oktober 2023 ein Lieferengpass des Fertigarzneimittels “Irenat Tropfen”, der bis Ende 2025 gemeldet ist. Seit Ende 2023 besteht ein Versorgungsmangel mit Salbutamol – der aber mit Importen in den letzten Wochen stabilisiert werden konnte, so das BfArM auf seiner Webseite. Dennoch sei die Versorgung in den kommenden Monaten noch nicht bedarfsgerecht gesichert.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) weist auf Anfrage von “Der Hausarzt” darauf hin, dass bei Feststellung eines Versorgungsmangels (etwa bei antibiotikahaltigen Säften für Kinder oder auch salbutamolhaltigen Arzneimitteln in pulmonaler Darreichungsform vom BMG ein Versorgungsmangel festgestellt und eine Bekanntmachung dazu veröffentlicht wurde.

Dies wiederum ermögliche den zuständigen Behörden der Länder, Ausnahmen von arzneimittelrechtlichen Vorgaben zu gestatten. Dies könne helfen, die Versorgungslage zu stabilisieren.

Lieferengpässe seien seit langem eine riesige Herausforderung für alle Apothekenteams, teilt Matthias Arnold, Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) auf Anfrage mit. Leider habe das neue Lieferengpassgesetz bisher kaum Wirkung gezeigt, so Arnold weiter. Wie sich die Lage bei Kinderarzneimitteln in der im Herbst beginnenden Erkältungszeit entwickele, sei bislang noch nicht abzusehen, da auch die Nachfrage je nach Infektionsgeschehen variieren könne.

Resilienz der Lieferkette weiter erhöhen

Die ABDA habe 2023 zahlreiche Vorschläge – insbesondere “Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel” – eingebracht, verweist sie auf Informationen auf ihrer Webseite. Die Forderungen seien jedoch nicht oder nur teilweise aufgegriffen worden.

“Aus Sicht des Pharmagroßhandels haben sich die Beschaffungsmöglichkeiten und die Verfügbarkeiten von Kinderarzneimitteln und Antibiotika zwar gebessert, aber weiterhin ist es bei bestimmten Antibiotika (z.B. Clarithromycin) nicht möglich, sich ausreichend zu bevorraten”, erklärt der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (PHAGRO) auf Anfrage.

“Engpassgesetz noch nicht die Lösung”

Das ALBVVG biete aus seiner Sicht noch keine tragfähige Lösung für das Problem von Lieferengpässen. Weitere politische Maßnahmen müssten ergriffen werden, vor allem, um die Resilienz der Lieferkette zu erhöhen. Das Bundesgesundheitsministerium müsse sich beispielsweise auf EU-Ebene für einen Belieferungsanspruch des Pharmagroßhandels einsetzen.

“Wir brauchen die Unterstützung der Bundesregierung und des Europäischen Parlaments für die regelhafte, kontinuierliche Belieferung mit allen verfügbaren Arzneimitteln”, fordert der PHAGRO.

Bezüglich der Auswirkungen des ALBVVG verweist das BMG auf eine noch laufende Evaluation. Zum einen müsse der GKV-Spitzenverband dem BMG bis zum 31. Dezember 2025 einen Bericht über die Auswirkungen der mit diesem Gesetz getroffenen Maßnahmen auf die Ausgaben der Krankenkassen vorlegen.

Zum anderen sei das BfArM ebenfalls bis Ende 2025 verpflichtet, dem BMG einen Bericht über die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Versorgungslage mit Arzneimitteln vorzulegen.

Dr. Mohammad Ahmadi: “Ein Dauerproblem”

Engpässe mit Medikamenten sind ein Dauerproblem, mit dem wir uns seit Jahren herumschlagen, sagt Dr. Mohammad Ahmadi. Der Hausarzt im bayerischen Mainstockheim könnte schon ein ganzes Buch mit der Problematik füllen.

Beispiel Diabetes: Bekanntlich ist die benötigte Spritze (aus den Medien bei Übergewicht als Abnehmspritze bekannt) vielerorts nicht zu bekommen. Wenn Menschen mit Diabetes mit dem Rezept in die Apotheke gehen, raten diese ihnen manchmal zu einem Ersatzpräparat. Dieses ist aber nur in bestimmten Konstellationen auf GKV-Kosten verordnungsfähig. Die Versicherten gehen dann zur Praxis zurück und wollen das Ersatzpräparat. Ärztinnen und Ärzte wiederum müssen dann erklären, dass die Kasse es in diesem Fall nicht übernimmt. “Das bedeutet Diskussionen und natürlich geht auch Vertrauen in den Arzt verloren”, sagt Ahmadi.

Beispiel Blutdruckmittel: Eines wegen nicht Lieferbarkeit austauschen zu müssen, ist im Einzelfall teils “eine Katastrophe”, meint der Hausarzt. Denn manche Betroffenen vertragen ein Mittel sehr gut, andere Mittel aber nicht.

Da wäre der 40-jährige Patient, der gegen das eine allergisch ist, das andere viele Nebenwirkungen hat und das verträgliche nicht lieferbar ist. Oder die multimorbide Patientin, die mit der medikamentösen Therapie bereits am Anschlag ist und sich andere Mittel nicht mit den fünf anderen vertragen.

“Manchmal muss ich dann sagen, ich kann nicht helfen, das Medikament müssen sie weglassen”, berichtet Ahmadi. Auch Notfallmedikamente wie Aspirin seien teilweise nicht lieferbar gewesen, erzählt er. Seit Monaten seien bestimmte krampflösende Mittel nicht zu bekommen. Eine Therapie nach Leitlinien oder Empfehlungen sei oft nicht möglich, weil schlichtweg das Medikament nicht zu bekommen sei.

Dass verordnende Ärztinnen und Ärzte nicht sehen können, welche Medikamente lieferbar sind oder nicht, ist für Ahmadi ein Riesenproblem – gerade auf dem Land. Das E-Rezept lösen die Versicherten, die mitunter weite Wege haben, in der Apotheke ein, diese haben das Medikament nicht da. Dann ruft die Apotheke in der Praxis an, das kostet Zeit, das alte Rezept muss gelöscht, ein neues ausgestellt werden. Die Versicherten müssen erst einmal wieder nach Hause. Das alles ist unschön und nagt außerdem an der ohnehin schon knappen Zeit der Praxisteams. Um etwas die Nachfragen zu reduzieren, lässt sich Ahmadi vom Apotheker vor Ort einmal wöchentlich eine Liste schicken mit den wichtigsten Arzneien und deren Lieferbarkeit. “Das hilft ein bisschen”, meint er.

Sein Appell: Das ewige Sparen muss ein Ende haben und es sollte mehr Produktion nach Europa verlagert werden. Statt komplizierte Regularien am Schreibtisch zu entwerfen, findet Ahmadi, sollten die Politiker sich erst einmal die reale Welt in den Arztpraxen anschauen.

Dr. Miriam Führ: “Lieferbarkeit eines Mittels müsste online abrufbar sein”

Zunehmend “supernervig”, findet Dr. Miriam Führ, die eine Einzelpraxis in Osteinbek führt, das Problem um Lieferengpässe. Eigentlich ist immer etwas nicht lieferbar – das kann die Packungsgröße, die Stärke, ein Wirkstoff oder gar das Medikament an sich sein.

Betroffen sind alle Arzneimittel – egal, ob gegen Bluthochdruck, Diabetes oder Antibiotika. “Das Hauptproblem ist, dass wir die Lieferbarkeit online nicht einsehen können”, sagt die Hausärztin, “und dass ich nicht weiß, wann etwas wieder lieferbar ist”.

Das ist eine richtige Blackbox. Eine Schnittstelle zu diesen Informationen wäre sehr hilfreich. Jeden Tag erlebt Führ die Situation als “sehr anstrengend”. In der Praxis wird ein E-Rezept ausgestellt, die Rückmeldung, dass etwas nicht lieferbar ist, kommt vielleicht nach einer halben Stunde, nach einem halben Tag oder auch später. Dann muss das alte E-Rezept gelöscht und ein neues ausgestellt werden. Das kostet unnötig Zeit.

Dr. Heinz Ebbinghaus: “Eine bessere Kommunikation wäre hilfreich”

Zwei bis drei Mal am Tag, schätzt Dr. Heinz Ebbinghaus, gibt es ein Problem nach der Verordnung eines Medikaments. Ganz oft sei beispielsweise die verordnete N3-Packung nicht zu bekommen. Die Apotheke gebe dann eine kleinere N2 mit – ohne die Praxis darüber zu informieren, und bald stehe der Patient wieder vor der Praxistür.

“Das ist zeitaufwendig und geht zulasten der Patientenversorgung”, sagt Ebbinghaus. Das Praxisteam sei auch angewiesen, die Aussagen der Versicherten (z.B. nur kleinere Packung in der Apotheke erhalten) in der Patientenakte zu dokumentieren. Das sei auch wichtig bei späteren Rückfragen der Kassen.

Wünschen würde sich Ebbinghaus, dass die Kommunikation zwischen allen Beteiligten reibungsloser funktionieren würde. Die derzeitige Lage bei Arzneimitteln und Engpässen empfindet Ebbinghaus – im Vergleich zu der im vergangenen Herbst/Winter – deutlich entspannter.

Der Hausarzt hofft, dass das in diesem Herbst/Winter so bleibt. Probleme rund um die Telematikinfrastruktur und nicht funktionierenden Elementen bereiten Ebbinghaus derzeit viel mehr Kopfschmerzen.

Dr. Markus Beier: „Nicht zu stemmen“

Die Hausärztinnen und Hausärzte und ihre Patientinnen und Patienten haben weiterhin mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. Die BfArMListe, auf der momentan weit über 400 Arzneimittel aufgeführt sind, die von Lieferengpässen betroffen sind, belegt diesen Missstand eindrücklich. Für die Praxen bedeutet dies, dass es keinerlei Planungssicherheit gibt.

Klar ist, dass eine Situation wie im vergangenen Jahr nicht wieder hinnehmbar ist. Hausarztpraxen haben unzählige Stunden damit verbracht, sich mit Apotheken abzustimmen und Medikationen umzustellen – ganz zu schweigen von der Zeit, die sie brauchten, um Patientinnen und Patienten zu erklären, weswegen ihr gewohntes Medikament nicht zur Verfügung steht und wie das Ersatzpräparat einzunehmen ist…

Für diesen zusätzlichen Aufwand fehlt schlichtweg die Zeit − vor allem wenn die Infektsaison wieder losgeht. Entsprechend können wir eine Engpasssituation wie im letzten Jahr unmöglich jedes Jahr aufs Neue stemmen.

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