Definition
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine chronisch-degenerative Erkrankung, bei der es durch eine voranschreitende Degeneration der motorischen Nervenzellen (Motoneurone) zur Schwäche der quergestreiften Muskulatur kommt. In etwa 15 Prozent der Fälle findet sich eine monogene Ursache.
Eine Heilung ist aktuell nicht möglich, die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Diagnose liegt bei zwei bis vier Jahren. Durch die geringe Lebenserwartung gehört die ALS zu den “seltenen Erkrankungen” mit einer Prävalenz von 6.000 bis 8.000 Patienten in Deutschland.
Die Behandlung fußt auf symptomatischen Therapien, welche die bestmögliche Teilhabe und Symptomkon-trolle ermöglichen sollen, sowie auf Riluzol – das einzige in Deutschland zugelassene krankheitsmodifizierende Medikament.
Symptome
Durch den Verlust der Motoneurone kommt es zu progredienten Lähmungserscheinungen, Muskelschwund und Spastik der quergestreiften Muskulatur. Initial können verschiedene Regionen betroffen sein, z.B. die Zunge, der Schlund, die Extremitäten und der Rumpf, sodass Patienten mit einer breiten Symptomatik von Sprech- und Schluckstörungen, Lähmungen von Armen und Beinen aber auch respiratorischer Insuffizienz konfrontiert sind.
Über 50 Prozent der Patienten entwickeln aufgrund weitergehender neurodegenerativer Prozesse auch kognitive Beeinträchtigungen im Sinne einer frontotemporalen Demenz.
Ursachen und Risikofaktoren
Die familiäre ALS, bei der es gehäuft zu Krankheitsfällen in einer Familie kommt, macht einen Anteil von 5 bis 10 Prozent der Erkrankten aus. Aber auch in ca. 10 Prozent der sporadischen Fälle findet sich eine kausale monogene Variante.
Die häufigsten genetischen Varianten in Deutschland sind eine Repeatexpansion im C9orf72-Lokus und Varianten im SOD1-Gen, die dominant vererbt werden. In Fällen ohne kausale genetische Veränderung, ist die Ursache der Erkrankung größtenteils unverstanden.
Untersuchungen und Diagnose
Die Diagnosestellung erfolgt anhand klinischer Kriterien. Vereinfacht werden Zeichen einer Schädigung des 1. und 2. Motoneurons in mindestens einer anatomischen Region (bulbär, zervikal, thorakal, lumbosakral) sowie die Progredienz der Symptomatik gefordert (Gold Coast Kriterien [1]).
Eine Schädigung des 2. Motoneurons kann auch in der Elektromyographie nachgewiesen werden. Andere erklärende Ursachen müssen ausgeschlossen sein. Hierfür sollte eine MRT der gesamten Neuroachse erfolgen, um beispielsweise eine Spinalkanalstenose mit nachfolgender Myelopathie oder Radikulopathie auszuschließen.
Zum Ausschluss entzündlicher Ursachen erfolgt eine Liquorpunktion. Die Bestimmung der Neurofilamente als Marker axonalen Schadens ist mittlerweile weit verbreitet, wobei diese eher einen prognostischen als einen diagnostischen Wert besitzen und nicht ALS-spezifisch sind.
Ein Flussdiagram des Diagnosealgorithmus findet sich in der aktuellen S1-Leitlinie für Motoneuronerkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [2]. Nachzulesen unter www.hausarzt.link/tZtJa.
Behandlung
Das einzige derzeit in Deutschland zugelassene krankheitsmodifizierende Medikament ist das antiglutamaterg wirkende Riluzol. In Zulassungsstudien konnte eine Überlebensverlängerung von etwa drei Monaten gezeigt werden, in Metaanalysen auch deutlich mehr [3].
In einigen anderen Ländern sind Edaravone [4] bzw. Natriumphenylbutyrat/Taurursodiol [5] zugelassen, deren Wirksamkeit aber umstritten ist. Tofersen, ein intrathekal zu verabreichendes Antisense-Oligonukleotid, ist im Rahmen eines Härtefallprogrammes in spezialisierten Zentren verfügbar [6].
Es reduziert die Expression der mutierten, toxischen Superoxiddismutase 1 (SOD1) und wird daher nur bei Patienten mit krankheitsverursachender SOD1-Variante angewandt.
Symptomatische Therapien spielen eine wichtige Rolle. Beatmungs- und Ernährungstherapie, z.B. mittels nicht-invasiver Heimbeatmung (NIV) und perkutaner enteraler Gastrostomie (PEG)-Sonde zeigen ebenfalls eine Verlängerung der Überlebenszeit.
Zudem sorgen regelmäßige Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sowie eine adäquate Hilfsmittelversorgung für einen bestmöglichen Erhalt der Restfunktionen und Teilhabe an der Gesellschaft. ALS-typische Symptome wie Pseudohypersalivation oder Affektinkontinenz können medikamentös behandelt werden.
Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf ist eine spezialisierte palliative Versorgung wichtig, um eine bestmögliche Symptomkontrolle im Sinne des Patienten zu erreichen. Frühzeitig sollte eine gut informierte Entscheidung und Dokumentation (Patientenverfügung) hinsichtlich lebensverlängernder Maßnahmen, künstlicher Ernährung oder invasiver Beatmung getroffen werden.
Aufgrund der Komplexität der Erkrankung sollte die Betreuung der Patienten in spezialisierten Zentren erfolgen. Zudem besteht hier die Möglichkeit der Teilnahme an klinischen Studien.
Krankheitsverlauf und Prognose
Im Krankheitsverlauf kommt es schrittweise zu einer Verschlechterung der Symptomatik. Der Verlauf ist inter-individuell sehr variabel und davon geprägt, in welchen Muskelgruppen Symptome auftreten. Die Zunahme der Paresen der Extremitäten führt zu zunehmenden Einschränkungen in alltäglichen Tätigkeiten.
Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen kommt es früh im Krankheitsverlauf zu bulbären Symptomen in Form von Sprech- und Schluckstörungen. Etwa 80 Prozent der Patienten erleiden im Krankheitsverlauf eine Schluckstörung und meist kommt es zu einer Atemfunktionsstörung.
Die mittlere Lebenserwartung liegt nach Diagnosestellung bei zwei bis vier Jahren. Durch adäquate supportive Therapie in Form von Atem- und Ernährungshilfen kann eine Lebenszeitverlängerung von wenigen Monaten bis hin zu vielen Jahren erreicht werden.
Prävention
Die Prävention der Erkrankung ist aufgrund der nicht klar verstandenen multifaktoriellen Genese aktuell nicht möglich. Eine erste Studie behandelt aktuell präsymptomatische Genträger der SOD1-Variante bereits vor Auftreten von klinisch manifesten Symptomen [7]. Ihre Ergebnisse werden zeigen, ob hierdurch Einfluss auf den Krankheitsverlauf genommen werden kann.
Quellen:
1. Shefner JM, Al-Chalabi A, Baker MR, et al. A proposal for new diagnostic criteria for ALS. Clinical Neurophysiology 2020;131(8):1975-78; doi: 10.1016/j.clinph.2020.04.005.
2. Ludolph A. PS, Grosskreutz J. et al. Motoneuronerkrankungen, S1-Leitlinie. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2021.
3. Bensimon G, Lacomblez L, Meininger V. A Controlled Trial of Riluzole in Amyotrophic Lateral Sclerosis. New England Journal of Medicine 1994;330(9):585-91; doi: 10.1056/nejm199403033300901.
4. Vu M, Tortorice K, Zacher J, et al. Assessment of Use and Safety of Edaravone for Amyotrophic Lateral Sclerosis in the Veterans Affairs Health Care System. JAMA Network Open 2020;3(10):e2014645; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2020.14645.
5. Paganoni S, Hendrix S, Dickson SP, et al. Long-term survival of participants in the CENTAUR trial of sodium phenylbutyrate-taurursodiol in amyotrophic lateral sclerosis. Muscle & Nerve 2021;63(1):31-39; doi: 10.1002/mus.27091.
6. Miller TM, Cudkowicz ME, Genge A, et al. Trial of Antisense Oligonucleotide Tofersen for SOD1 ALS. New England Journal of Medicine 2022;387(12):1099-110; doi: 10.1056/nejmoa2204705.
7. Benatar M, Wuu J, Andersen PM, et al. Design of a Randomized, Placebo-Controlled, Phase 3 Trial of Tofersen Initiated in Clinically Presymptomatic SOD1 Variant Carriers: the ATLAS Study. Neurotherapeutics 2022;19(4):1248-58; doi: 10.1007/s13311-022-01237-4.