Berlin. „Selten waren sich Ärzteschaft, Wissenschaft, Krankenkassen und Selbstverwaltung bei der Bewertung eines Gesetzes so einig wie beim Gesundes-Herz-Gesetz: Dieses Gesetz sollte in dieser Form gestoppt werden. Weder sind die darin vorgesehenen Maßnahmen evidenzbasiert noch werden die richtigen Schwerpunkte gesetzt“, kommentieren Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, den Gesetzentwurf. Am Freitag (12.7.) hat der Verband seine Stellungnahme dazu vorgelegt.
Wie die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) kritisiert der Verband darin erneut, dass es für einige Maßnahmen keine wissenschaftliche Basis gibt, dafür aber die etablierten Mechanismen der Selbstverwaltung über Bord geworfen werden und diese auch unter den Aspekten der Therapiefreiheit, Wirtschaftlichkeit und einem schonenden Ressourceneinsatz kritisch zu sehen sind. DEGAM-Präsident Prof. Martin Scherer bezeichnet den aktuellen Gesetzentwurf daher sogar als „Skandal“.
Insbesondere dürfe die Einführung der neuen Leistungen – Tabakentwöhnung, breiterer Einsatz von Statinen, Ausweitung der Gesundheitsuntersuchungen – nicht dazu führen, dass für Ärztinnen und Ärzte das Regressrisiko steigt, fordert der Verband.
Besser: gesunde Lebensweise fördern
Verband, DEGAM und andere ärztliche Vertretungen – sowie auch Kassen, Gemeinsamer Bundesausschuss und IQWiG – appellieren einhellig an Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) einen anderen Kurs einzuschlagen und die Primärprävention zu stärken statt diese zu schwächen. Hier komme es vor allem auf Verhältnisprävention an. Beispielsweise durch Förderung von Bewegungsangeboten, gesundem Essen in Kita und Schule oder bis hin zur höheren Besteuerung von zuckerhaltigen Getränken sowie Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel und Tabak, schreibt die DEGAM.
Stattdessen würde der Gesetzentwurf aber dazu führen, dass erheblich mehr Menschen Medikamente nehmen müssten, weil die Risikoschwellen gesenkt würden: in etwa ein Viertel der Bevölkerung (20 Millionen Menschen) statt der vom Ministerium geschätzten zwei Millionen, rechnet die DEGAM vor. Diese Ausweitung würde allein für die Statine die Kosten auf 1,6 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen. Die Fachgesellschaft weist das Ministerium zudem darauf hin, dass die Aktualisierung der S3-Leitlinie zur Beratung zur kardiovaskulären Prävention abgewartet werden solle.
Unnötige Doppelstrukturen
Grundsätzlich sieht der Verband eine bessere Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei den Gesundheitsuntersuchungen ab 25, 35 und 50 Jahren positiv – hält die Ausgestaltung aber für nicht zielführend. Hierbei die Apotheken über Gutscheine einzubinden, würde doppelte Strukturen aufbauen, eine Fehlsteuerung der Menschen und Mehrbelastung der Praxen befördern, so der Verband.
Effizienter sei stattdessen die Koordination durch Hausärztinnen und Hausärzte. Besonders weil auch einige Leitlinien darauf hinweisen, dass Diagnostik nur stattfinden soll, wenn sich daraus medizinische oder organisatorische Folgen ergeben – was also die ärztliche Therapiehoheit betrifft.
„Äußerst kritisch“ sieht der Verband, dass das Ministerium vieles künftig per Rechtsverordnung regeln will, was bislang aus Gründen der Evidenzbasierung und Wirtschaftlichkeit zum Beispiel der Selbstverwaltung obliegt. Dazu zählt etwa die Einführung von Gesundheitsuntersuchungen, Anamnesefragebögen zur Erkennung von Fettstoffwechselstörungen bei Kindern, die Vorgabe von Risikorechnern oder der Einsatz von Tabakentwöhnungsmaßnahmen und Statinen.
Durch diese Vorgehensweise fürchtet der Verband wiederholt an einigen Stellen „Systembrüche“.
Kein Pay-for-Performance in DMP
So etwa auch bei Disease-Management-Programmen (DMP). Künftig hier auch schon Personen mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einzuschließen, sei „medizinisch äußerst fragwürdig“. Zudem sollten die Kassen solche strukturierten Programme nicht ohne Zulassung anbieten können, um bundeseinheitliche Verfahren und die neutrale Überprüfung zu sichern.
Fehlanreize könnten zudem durch die geplante qualitätsabhängige Vergütung entstehen, wenn das ärztliche Honorar von den Behandlungsergebnissen mitbestimmt wird, für die wiederum aber die Compliance entscheidend ist, die Ärztinnen und Ärzte kaum beeinflussen können. Zu befürchten sei auch, dass sich der Fokus zu sehr auf die Performance-Indikatoren verenge, wodurch anderer Risiko-Personen benachteiligt werden könnten.