Berlin. Immer mehr Menschen in Deutschland nehmen laut Robert Koch-Institut (RKI) eine Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zum Schutz vor einer HIV-Infektion ein (mehr Infos zur PrEP finden Sie unter www.hausarzt.link/pPvTB). “Nach Schätzungen nutzten im September etwa 39.000 Menschen bundesweit die HIV-PrEP”, sagte der beim RKI für das Thema zuständige Projektleiter Dr. Daniel Schmidt der Deutschen Presse-Agentur (dpa) anlässlich des heutigen Welt-Aids-Tages.
Für Ende 2022 sei man von 32.000 Nutzenden ausgegangen, Ende 2020 von rund 19.000. “Nur zu Beginn der Pandemie gab es einmal einen leichten Abwärtstrend”, sagte Schmidt. “Das hat sich schnell wieder normalisiert. Wir sehen auch jetzt noch eine steigende Kurve.”
Die Potenziale seien jedoch in vielen Gruppen noch nicht ausgeschöpft, wesentlich mehr Menschen könnten von dem Schutz profitieren. Seit September 2019 ist die HIV-PrEP in Deutschland für Menschen mit einem substanziellen HIV-Infektionsrisiko eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse.
In einigen Bundesländern wird die PrEP fast gar nicht verordnet
Das RKI erfasst die PrEP-Nutzung anhand anonymisierter Apotheken-Abrechnungsdaten. Es handelt sich bei den Angaben um Schätzungen, da das Medikament nicht nur vorbeugend, sondern auch in der HIV-Therapie genutzt werden kann. Enthalten sind in den Zahlen auch Fälle, in denen die PrEP anlassbezogen eingenommen wird, etwa bei einen Risikokontakt.
Fast ausschließlich – zu 98 Prozent – handelt es sich nach RKI-Daten bei den bisherigen Nutzenden um bi- und homosexuelle Männer. Das liege daran, dass es in der Gruppe ein Bewusstsein für HIV und Wissen um neue Präventionsstrategien gebe, aber auch an auf sie zugeschnittenen Infomaterialien, sagte Schmidt.
Fast ein Drittel der PrEP-Verordnungen kommt nach RKI-Daten aus Berlin, vor NRW und Bayern. “In Metropolen wie Berlin und Hamburg sehen wir eine recht hohe Deckung des Bedarfs”, sagte Schmidt. In anderen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen werden die Wirkstoffe hingegen fast gar nicht verordnet, wie aus Schmidts Daten hervorgeht.
Praxen an der Kapazitätsgrenze
Hintergrund ist auch, dass laut RKI bisher zum überwiegenden Teil spezialisierte HIV-Praxen und -Zentren die PrEP-Versorgung leisten. Eine Ausweitung sei geboten – in der Fläche, aber auch in Hinblick auf weitere Arztgruppen, sagte Schmidt. “Wir hören schon jetzt, dass diese Praxen an der Kapazitätsgrenze sind. Dass die Leute keine Termine bekommen oder dass die Anfahrtswege sehr lang sind.”
Andere Gruppen werden bisher kaum erreicht. “Wir denken, dass es durchaus Potenzial für eine PrEP-Nutzung in weiteren Gruppen gibt”, sagte Schmidt. “Zum Beispiel bei Sexarbeitenden, Drogengebrauchenden und Menschen aus Trans- und nicht-binären sowie migrantischen Communitys”. Ziel solle überhaupt nicht sein, dass jeder Einzelne aus diesen Gruppen künftig die PrEP nimmt, betonte der RKI-Mitarbeiter. “Aber die Menschen sollten darüber aufgeklärt sein.”
Die Sorge vor schweren Nebenwirkungen sei ein Hauptgrund, aus dem Menschen der PrEP gegenüber skeptisch sind, so Schmidt. Befragungen zeigten jedoch, dass lediglich bei zwei bis drei Prozent der Nutzenden so schwere Nebenwirkungen aufgetreten seien, dass sie die Wirkstoffe nicht weiter einnahmen. Ab und an werde in der Anfangszeit von leichten Beschwerden wie Schwindel und Kopfschmerzen berichtet, die sich mit der Zeit legten.
Weitere PrEP-Surveillance unklar
Das RKI hielt kürzlich in einem Bericht fest, dass der ausgebliebene Wiederanstieg der HIV-Neuinfektionszahlen 2022 bei bi- und homosexuellen Männern auch auf vermehrter PrEP-Nutzung beruhen könnte. Wie viel die PrEP zum Rückgang von Neuinfektionen beitrage, werde sich erst in Zukunft deutlicher abzeichnen.
Insgesamt haben sich in Deutschland nach vorläufigen RKI-Schätzungen vergangenes Jahr 1.900 Menschen mit HIV infiziert. “Richtig angewendet – also bei täglicher Einnahme des Medikaments – schützt die PrEP absolut sicher vor einer HIV-Infektion, mindestens so gut wie das Kondom”, sagte Schmidt.
Dokumentiert seien zwar einzelne Fälle, in denen Menschen nach PreEP-Beginn doch eine HIV-Diagnose erhielten: “Aber dann berichteten die Betroffenen zum Beispiel, dass sie die Einnahme unterbrochen hatten oder es sind Fälle, in denen sich die Menschen bereits kurz vorher angesteckt hatten.”
“Leider ist derzeit unklar, wie es mit der Surveillance weitergeht. Das Projekt ruht erst einmal, da keine Bestätigung über eine Finanzierung ab 2024 vorliegt”, so Schmidt. Hintergrund ist demnach das Finanzloch im Bundeshaushalt. Dabei sei es auch wegen internationaler Verabredungen und Ziele wichtig, die PrEP-Nutzung auch weiterhin kontinuierlich wissenschaftlich zu begleiten, zum Beispiel um Bedarf und Zugangsbarrieren zu messen.
dpa