Die frühzeitige Erkennung von Hautkrebs – vor allem des aggressiven Melanoms – ist eine Herausforderung für Hausärztinnen und Hausärzte. Obwohl Melanome nur einen kleinen Anteil der Hautkrebsfälle ausmachen, sind sie für den Großteil der Hautkrebstodesfälle verantwortlich. Ihr Anstieg wird hauptsächlich auf verstärkte Sonnenexposition und Solariennutzung zurückgeführt [1].
Im Rahmen des Hautkrebsscreenings führen Hausärzte eine standardisierte visuelle Untersuchung der gesamten Körperoberfläche auf suspekte Hautveränderungen durch. Die Abrechnung ist durch die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung genehmigungspflichtig; die Verwendung eines Dermatoskops gehört nicht zum obligaten Leistungsinhalt.
Die Cochrane-Übersichtsarbeit [1] wirft einen präzisen Blick auf die Rolle der Dermatoskopie und liefert Erkenntnisse dazu, wie diagnostische Fähigkeiten verbessert werden könnten. Sie beleuchtet nicht nur die Wirksamkeit der Dermatoskopie bei der persönlichen Anwendung vor Ort, sondern untersucht auch weitere kritische Aspekte: Welche Faktoren sind relevant, wie nähert man sich einer optimalen Hautkrebsvorsorge an?
Chochrane Deutschland
Dermatoskopie (mit und ohne visuelle Inspektion) zur Diagnose von Melanomen bei Erwachsenen
Zusammenfassung in einfacher Sprache
Wie genau ist die Dermatoskopie im Vergleich zur visuellen Inspektion der Haut für die Diagnose von Hautkrebs (Melanom) bei Erwachsenen?
Dinnes J, Deeks JJ, Chuchu N, Ferrante di Ruffano L, Matin RN, Thomson DR, Wong KY, Aldridge RB, Abbott R, Fawzy M, Bayliss SE, Grainge MJ, Takwoingi Y, Davenport C, Godfrey K, Walter FM, Williams HC. Dermoscopy, with and without visual inspection, for diagnosing melanoma in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 12. Art. No.: CD011902. doi: 10.1002/14651858.CD011902.pub2.
Was ist das Ziel dieses Reviews?
Ziel dieses Cochrane Reviews war es, die Genauigkeit der Dermatoskopie bei der Diagnose von Melanomen im Vergleich zur visuellen Inspektion der Haut mit dem bloßen Auge zu ermitteln. In dem Review wurde auch untersucht, ob sich die Genauigkeit der Diagnose bei der Dermatoskopie am Patienten selbst von der Genauigkeit der Diagnose bei der Verwendung von dermatoskopischen Bildern der Haut unterscheidet. Die Review-Autor*innen schlossen 104 Studien ein, um diese Frage zu beantworten.
Warum ist eine bessere Diagnose des Melanoms wichtig?
Melanome sind eine der gefährlichsten Formen von Hautkrebs. Wird ein vorhandenes Melanom nicht erkannt (falsch-negatives Testergebnis), verzögert sich die chirurgische Entfernung des Melanoms, und es besteht die Gefahr, dass der Krebs auf andere Organe im Körper übergreift und möglicherweise zum Tod führt. Wird eine Hautläsion (ein Leberfleck oder ein Hautareal mit einem ungewöhnlichen Aussehen im Vergleich zur umgebenden Haut) fälschlicherweise als Melanom diagnostiziert (falsch-positives Ergebnis), kann dies zu unnötigen Operationen, weiteren Untersuchungen und Ängsten der Betroffenen führen. Die visuelle Inspektion verdächtiger Hautläsionen durch Ärztinnen oder Ärzte mit dem bloßen Auge ist in der Regel der erste einer Reihe von “Tests” zur Diagnose eines Melanoms. Mit Hilfe von Vergrößerungstechniken können auf Hautkrebs spezialisierte Personen verdächtige Hautläsionen detaillierter untersuchen als dies mit dem bloßen Auge möglich ist.1
Was wurde in diesem Review untersucht?
Ein Dermatoskop ist ein tragbares Gerät, das mit sichtbarem Licht (z.B. von Glühbirnen oder LED-Lampen) arbeitet und im Rahmen der klinischen Untersuchung verdächtiger Hautläsionen eingesetzt werden kann. Die Dermatoskopie hat sich zu einem wichtigen Instrument zur Unterstützung der Diagnose durch Fachärzt*innen2 entwickelt und wird auch zunehmend in der Primärversorgung eingesetzt. Die Kenntnis der diagnostischen Genauigkeit der Dermatoskopie im Vergleich zur alleinigen visuellen Inspektion ist wichtig, um zu verstehen, von wem und in welchen Gesundheitseinrichtungen sie eingesetzt werden sollte.
Die Forscher*innen untersuchten die diagnostische Genauigkeit der Dermatoskopie bei verdächtigen Hautläsionen an einem Betroffenen persönlich und unter Verwendung dermatoskopischer Bilder im Vergleich zur alleinigen visuellen Inspektion. Die Forscher*innen versuchten auch herauszufinden, ob die diagnostische Genauigkeit durch die Verwendung einer Checkliste für die Dermatoskopie oder durch ein höheres Maß an klinischem Fachwissen verbessert wurde.
Was sind die Hauptergebnisse des Reviews?
Der Review schloss 104 Studien ein, die Daten über Personen mit verdächtigen Läsionen auf ein Melanom enthielten. Die wichtigsten Ergebnisse für die Diagnose von Melanomen (einschließlich sehr früher Melanome) basieren auf 86 Studien. Darunter liefern 26 Studien Informationen über die Genauigkeit der Dermatoskopie zusätzlich zur persönlichen visuellen Inspektion einer Hautläsion und 60 Studien Informationen auf der Grundlage der Untersuchung von dermatoskopischen Bildern ohne Anwesenheit der Betroffenen.
Die 26 Studien mit direktem Patientenkontakt liefern die relevantesten Daten über die Anwendung der Dermatoskopie in der Praxis. Ihre Ergebnisse werden hier zusammengefasst. Insgesamt wurden 23.169 verdächtige Hautläsionen in den 26 Studien eingeschlossen, von denen 13 auch Informationen über die Genauigkeit der visuellen Inspektion einer Läsion ohne Dermatoskopie lieferten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Dermatoskopie genauer ist als die visuelle Inspektion allein, sowohl bei der korrekten Identifizierung von Melanomen als auch beim Ausschluss von Läsionen, die keine Melanome sind.
In den Studien wurde auf unterschiedliche Weise entschieden, ob es sich bei einer Hautläsion um ein Melanom handelt oder nicht, was bedeutet, dass wir nicht genau sagen können, wie viel besser die Dermatoskopie im Vergleich zur visuellen Inspektion allein ist. Anhand einer Gruppe von 1.000 Läsionen, von denen 120 (12%) Melanome sind, können wir die erwartete Verbesserung der Diagnosegenauigkeit anhand eines Beispiels veranschaulichen. Um zu sehen, wie viel besser die Dermatoskopie bei der korrekten Erkennung von Melanomen im Vergleich zur bloßen Betrachtung der Haut ist, müssen wir davon ausgehen, dass beide Verfahren die gleiche Anzahl von Läsionen fälschlicherweise als Melanom diagnostizierten (wir haben angenommen, dass 176 der 880 Läsionen ohne Melanom fälschlicherweise als Melanom diagnostiziert würden). In dieser Situation würde die Hinzunahme der Dermatoskopie zur visuellen Inspektion 19 zusätzliche Melanome (110 gegenüber 91) korrekt identifizieren, die bei einer alleinigen Betrachtung der Haut übersehen worden wären. Mit anderen Worten: Es würden mehr Melanome richtig erkannt.
Um zu sehen, wie viel besser die Dermatoskopie bei der Entscheidung ist, ob es sich bei einer Hautläsion nicht um ein Melanom handelt, als die bloße Betrachtung der Haut, müssen wir davon ausgehen, dass in beiden Fällen die gleiche Anzahl von Melanomen richtig diagnostiziert wird (in diesem Fall haben wir angenommen, dass 96 der 120 Melanome richtig diagnostiziert werden). In dieser Situation würde die Hinzunahme der Dermatoskopie zur visuellen Inspektion die Zahl der fälschlicherweise als Melanom diagnostizierten Läsionen um 176 verringern (eine Verringerung von 220 in der Gruppe der visuellen Inspektion auf 44 Läsionen in der Gruppe der Dermatoskopie). Mit anderen Worten: Mehr Läsionen, bei denen es sich nicht um ein Melanom handelt, würden korrekt identifiziert, und weniger Menschen müssten sich einer Operation unterziehen.
Klinischer Wert von Checklisten für die visuelle Inspektion und der Einfluss der klinischen Erfahrung des Untersuchenden:
Es gab keine Hinweise darauf, dass die Verwendung einer Checkliste zur Unterstützung der Interpretation der Dermatoskopie die diagnostische Genauigkeit verändert. Die Genauigkeit war besser (es wurden weniger Melanome übersehen und weniger Menschen unnötig operiert), wenn die Diagnose von Personen mit größerem klinischen Fachwissen und größerer Erfahrung gestellt wurde.
Wie verlässlich sind die Ergebnisse der Studien in diesem Review?
In der Mehrzahl der eingeschlossenen Studien wurde die Melanomdiagnose durch eine Biopsie der Hautläsion gestellt. Das Nichtvorhandensein eines Melanoms wurde durch eine Biopsie oder durch Nachuntersuchungen der Läsion im Laufe der Zeit bestätigt. Beide Vorgehensweisen sind wahrscheinlich eine zuverlässige Methode, um zu entscheiden, ob die Betroffenen wirklich ein Melanom haben*. In einigen wenigen Studien wurde das Nichtvorhandensein eines Melanoms durch eine fachärztliche Diagnose festgestellt, was wahrscheinlich keine zuverlässige Methode ist, um zu entscheiden, ob die Betroffenen wirklich ein Melanom hatten. Die mangelhafte Berichterstattung über die Durchführung der Studien erschwerte die Bewertung der Zuverlässigkeit der Studien. Besonders problematisch waren die selektive Rekrutierung der Teilnehmenden und ungenaue Angaben bezüglich der Schwelle für die Entscheidung über ein positives Testergebnis.
Auf welche Personen können die Ergebnisse dieses Reviews bezogen werden?
Sechsundsechzig Studien wurden in Europa durchgeführt (77%), der Rest in Nordamerika (6 Studien), Asien (4), Ozeanien (4), oder sie waren multizentrisch (7). Das Durchschnittsalter lag zwischen 30 und 58 Jahren (in 26 Studien berichtet). Der Prozentsatz der Personen mit einem Melanom lag zwischen 1% und 41% bei Dermatoskopie-Studien mit direktem Patientenkontakt (Median 12%) und zwischen 3% und 61% bei Studien, die Dermatoskopie-Bilder verwendeten (Median 24%). Fast alle Studien wurden nach Überweisungen von Fachärzt*innen und nicht in der Primärversorgung durchgeführt. In den meisten Studien dürften die Läsionen nicht repräsentativ für das Spektrum der in der Praxis auftretenden Läsionen sein, da sie beispielsweise nur Hautläsionen einer bestimmten Größe oder eines bestimmten Aussehens umfassten. Darüber hinaus variierten die Fachkenntnisse der Kliniker*innen, die die visuelle Inspektion durchführten, und die Definition für ein positives Dermatoskopie-Ergebnis in den verschiedenen Studien. Unklar ist, wie und von welchen Personen mit welchen klinischen Fachkenntnissen die Dermatoskopie durchgeführt werden sollte, um die in den Studien beobachtete Genauigkeit zu erreichen.
Was sind die Schlussfolgerungen dieses Reviews?
Wenn sie von Personen mit Fachwissen eingesetzt wird, ist die Dermatoskopie bei der Diagnose von Melanomen besser als die Inspektion einer verdächtigen Hautläsion mit bloßem Auge. Die Dermatoskopie ist genauer, wenn sie im Beisein des Betroffenen und nicht anhand von Dermatoskopie-Bildern ausgewertet wird. Die Dermatoskopie könnte Allgemeinmediziner*innen möglicherweise helfen, Menschen mit verdächtigen Läsionen, die an Fachärzt*innen überwiesen werden müssen, richtig zu identifizieren. Checklisten, die bei der Interpretation der Dermatoskopie helfen, könnten die Genauigkeit der Diagnose von Personen mit weniger Fachwissen und Erfahrung möglicherweise verbessern. Darüber hinaus werden gut berichtete Studien benötigt, die die diagnostische Genauigkeit der Dermatoskopie in der Primärversorgung bewerten, sowie Studien, die ermitteln, wie Dermatoskopie-Schulungen am besten durchgeführt werden sollten.
Wie aktuell ist dieser Review?
Die Review-Autor*innen suchten und verwendeten Studien, die bis August 2016 veröffentlicht wurden.
*In diesen Studien waren Biopsie, klinische Nachuntersuchungen oder die fachärztliche Diagnose die Referenzstandards (zur Feststellung der endgültigen Diagnose).
- Anmerkung Schmidt-Haghiri/Schelling: Auch wenn die Dermatoskopie nur fakultativer Leistungsinhalt des Screenings ist, wird sie doch von vielen Hausärzten auch verwendet.
- Anmerkung Schmidt-Haghiri/Schelling: Die Bezeichnung “Teilgebietsärzt*innen” wäre aus unserer Sicht zutreffender.
Fazit für die Hausarztpraxis
Die persönliche Anwendung der Dermatoskopie verbessert die Sensitivität und Spezifität bei der Untersuchung von Hautläsionen erheblich [1]. Dies macht sie zu einer wertvollen Ergänzung zur visuellen Inspektion, vor allem bei der Identifizierung verdächtiger Hautveränderungen. In der hausärztlichen Praxis könnte dies zu präziseren Diagnosen führen und im Bedarfsfall schnellere Überweisungen der Patienten ermöglichen.
Weiterhin zeigt die vorliegende Evidenz, dass der Einsatz spezifischer Diagnosealgorithmen möglicherweise keine signifikante Verbesserung der Genauigkeit bringt. Gleichzeitig gibt es jedoch keine ausreichenden Belege dafür, dass der Ansatz ohne Einsatz von Algorithmen in jeder Situation vorzuziehen ist. Es könnte sein, dass formalisierte Algorithmen besonders bei der Schulung in der Dermatoskopie und für weniger erfahrene Beobachter von Nutzen sind [1]. Daher wird die entscheidende Rolle der Schulung und Erfahrung der Ärzte betont. Eine kontinuierliche Fortbildung ist von essenzieller Bedeutung, um die diagnostische Genauigkeit weiter zu optimieren.
Zusammenfassend bestätigt die Cochrane-Übersichtsarbeit [1], dass die Dermatoskopie in der Hausarztpraxis einen Mehrwert bieten könnte. Jedoch sollte der Fokus auf der praktischen Anwendung sowie der persönlichen Expertise liegen, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Die Erkenntnisse dieser Übersicht unterstreichen die Notwendigkeit evidenzbasierter Fortbildungen in der Hausarztpraxis, damit Ärzte nicht nur mit den neuesten Technologien vertraut sind und die verfügbare Evidenz verstehen, sondern auch ihre klinische Erfahrung effektiv nutzen können.
Im Kontext der fehlenden Vergütung der Dermatoskopie und der Vorgabe, beim Hautkrebsscreening als “Goldstandard” die visuelle Ganzkörperinspektion ohne Dermatoskop einzusetzen, sollten diese Daten und Erkenntnisse auch in der Versorgungsplanung nochmals diskutiert werden. Die Evidenz spricht für den Einsatz der Dermatoskopie auch in der Primärversorgung – dies sollte auch anerkannt werden. •
Literatur
- Dinnes J, Deeks JJ, Chuchu N, Ferrante di Ruffano L, Matin RN, Thomson DR, Wong KY, Aldridge RB, Abbott R, Fawzy M, Bayliss SE, Grainge MJ, Takwoingi Y, Davenport C, Godfrey K, Walter FM, Williams HC. Dermoscopy, with and without visual inspection, for diagnosing melanoma in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 12. Art. No.: CD011902. doi: 10.1002/14651858.CD011902.pub2.
- Schmidt-Haghiri M, Schelling J. Evidenz für die Hausarztpraxis. Elsevier, 2021.
Interessenkonflikte: Die Autoren sind die Verfasser des Buchs “Evidenz für die Hausarztpraxis”.