practica 2023Hand in Hand mit der Physiotherapeutin

Wie in einer Praxis in Nordrheinwestfalen Allgemeinärztin und Physiotherapeutin zusammenarbeiten. Ein Konzept, das sich bewährt hat.

Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeutin und Allgemeinmedizinerin: Ein Win-Win-Projekt für alle Seiten (Symbolbild).

Der älteren Dame schmerzen die Finger, der junge Mann klagt über Wadenkrämpfe, eine Mutter mit kleinen Kindern leidet unter Kopfschmerzen und ein Hobbysportler schleppt sich mit einer schmerzenden Hüfte in die Praxis. Was tun? “Wir Allgemeinmediziner kennen doch alle Fälle von Funktionsstörungen, bei denen wir genau wissen, dass eine weiterführende Diagnostik keine Erkenntnisse bringen wird”, sagt Dr. Katja Köhler.

Um diesen Patientinnen und Patienten ein therapeutisches Angebot machen zu können, hat die Allgemeinmedizinerin aus dem nordrhein-westfälischen Schmallenberg vor gut einem Jahr eine innovative Lösung entwickelt: Sie empfiehlt als individuelle Gesundheitsleistung die einmalige Konsultation einer Physiotherapeutin, wenn es um Rücken, Schulter, Knie oder Kopf geht. Dafür hat sie auf Minijob-Basis eine Physiotherapeutin in ihrer Praxis in Schmallenberg angestellt.

Zwei Mal im Monat behandelt Kerstin Kotthoff in der Praxis Patientinnen und Patienten, deren Leidensdruck durch Schwindel oder Schmerzen zwar hoch ist, für die jedoch die Möglichkeiten der Schulmedizin eher eingeschränkt sind. Dafür stellt die Praxis ein Behandlungszimmer mit Liege zur Verfügung.

Kommen muss Kerstin Kotthoff nur, wenn Patienten vorab Termine vereinbart haben. Dafür schließen die Patienten einen Behandlungsvertrag über die Physiotherapie ab, zahlen rund 40 Euro pro Behandlung und bekommen im Anschluss eine Quittung, die sie bei der Krankenkasse auf etwaige Kostenerstattung einreichen können.

Kerstin Kotthoff rechnet ihre Behandlungen monatlich mit der Praxis ab. Rechtlich steht das Projekt damit auf sicheren Füßen; Dr. Katja Köhler hat das extra mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung abgeklärt.

Von Interdisziplinärer Zusammenarbeit profitieren

“Natürlich untersuche ich die Patienten zunächst alle selbst, screene die “white flags” und spreche eigene Empfehlungen aus oder verschreibe Schmerzmittel. Ich könnte diese Patienten bei Persistenz der Beschwerden dann weiter zum Orthopäden schicken, zum Röntgen oder ins MRT. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie sehr schnell wieder mit demselben Problem zu mir in die Sprechstunde kommen würden. Das kostet mich also viel Zeit und bringt den Patienten nichts”, sagt Dr. Katja Köhler.

Warum sie keine Überweisung zum Physiotherapeuten ausstellt? “Für ein Rezept für Physiotherapie fehlt die Indikation.”

Eine andere Perspektive auf physische Probleme

Daher sei ihr der Gedanke gekommen, den Patientinnen und Patienten zumindest eine einmalige Physiotherapie-Sitzung vorzuschlagen – ein Gedanke, auf den diese eher nicht selbst kommen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit findet die Allgemeinmedizinerin wichtig, die vor dem Medizinstudium eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert hat. “Deshalb weiß ich, wie sehr die Berufsstände in der Medizin voneinander profitieren können.”

Was macht die Physiotherapeutin? “Ich bringe eine andere Perspektive auf die physischen Probleme ein”, begründet Physiotherapeutin Kerstin Kotthoff den Erfolg des Projekts. “Ich kann den Patienten ausführlicher erläutern, woher ihre Beschwerden kommen und zeige konkrete Übungen, mit denen sie sich zu Hause schnell und effektiv entlasten können.”

Ohne diese “Take home”-Message geht kein Patient, keine Patientin aus Kerstin Kotthoffs Behandlungszimmer. “Die Patientinnen und Patienten lernen ihren Körper manchmal ganz neu kennen”, sagt die Physiotherapeutin, die eine eigene Privatpraxis in Schmallenberg betreibt.

Patienten kommen seltener mit dem gleichen Problem

25 Minuten plant die Physiotherapeutin für jede Behandlung ein. Das sei knapp bemessen, befindet sie, denn in der überwiegenden Zahl der Fälle sieht sie die Patientinnen und Patienten nur ein einziges Mal. “In dieser Zeit muss ich eine Anamnese machen, zuhören, das Problem analysieren, behandeln und auch noch eine Übung für zu Hause zeigen.”

Was sie an der Kooperation besonders schätzt: “Ich sehe Probleme, die ich sonst nicht zu Gesicht bekommen würde.” Ein Rezept für Physiotherapie sei ja weder beim Hobbysportler mit Hüftproblemen noch bei der Mutter mit Kopfschmerzen im allgemeinärztlichen Budget drin und auch nicht bei der älteren Dame mit den Schwindelattacken, wissen Dr. Katja Köhler und Kerstin Kotthoff.

“Manche Patienten müssen einfach radikal akzeptieren, dass bestimmte Lebensphasen mit bestimmten Problemen einhergehen”, sagt die Ärztin. “Wenn Physiotherapie und Medizin dasselbe sagen, bekommt das für die Patienten noch einmal einen ganz anderen Stellenwert.”

Ein echtes Win-Win-Projekt für alle Seiten

Die Patientenklientel, die Kerstin Kotthoff, aufsucht, ist heterogen, reicht vom 25-Jährigen bis zur Seniorin. Nur sehr selten sieht sie die Patienten ein zweites Mal. “In der Regel reicht tatsächlich eine Behandlung”, beobachtet Dr. Katja Köhler.

Die Entlastung durch die Physiotherapeutin in der eigenen Praxis sei spürbar, beobachtet Dr. Katja Köhler. “Das Angebot wird sehr gut angenommen. Die Patientinnen und Patienten kommen seltener mit demselben Problem zu mir.” Ein Win-Win-Projekt für alle Seiten also, das sich fest in der Praxis etabliert hat.

Um Gewinnorientierung gehe es aber nicht, sagt Kerstin Kotthoff. Und auch nicht darum, sich gegenseitig die Arbeit wegzunehmen. “Manche Ärzte schauen ja immer noch ein wenig kritisch auf die Physiotherapie und halten sie insgeheim für überflüssig.” Dr. Katja Köhler gehört sicher nicht dazu.

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