Die Gespräche, die Hausärztin Dr. Margit Kollmer mit ihren Patientinnen führt, sind nicht selten von Enttäuschung und Scham geprägt. Eine junge Frau, die die Verhütung – auch aus finanziellen Gründen – vernachlässigt hat. Eine dreifache Mutter, die sich mit einem neuen Lebenspartner ein weiteres Kind gewünscht hat – und dann nicht nur von ihrem Partner verlassen, sondern im Beratungsgespräch auch menschlich von ihrem Gynäkologen verurteilt wurde.
Eine ungewollt Schwangere, die auf der Suche nach einer neuen gynäkologischen Praxis als Neupatientin nur abgewiesen wird – und der die Zeit davonrennt. “Das sind verzweifelte Frauen auf der Suche nach Hilfe”, weiß Kollmer.
Knapp 100 Abbrüche durchgeführt
Als eine von sehr wenigen Hausärztinnen in Deutschland hat sie sich entschieden, ihnen diese Hilfe zu bieten. In ihrer Praxis im Landkreis Landshut in Niederbayern begleitet Kollmer medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche. Nach langer Vorbereitung hat sie bis Ende Januar rund 93 Abbrüche durchgeführt, drei bis fünf Abbrüche betreut sie jede Woche – neben der regulären hausärztlichen Versorgung – in ihrer Praxis.
Entstanden ist der Gedanke erstmals im Forum Hausärztinnen des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Vor einiger Zeit wurde dieses von “Doctors for Choice”, einer Gruppe von feministisch orientierten Gynäkologinnen aus Berlin, kontaktiert.
Ihr Anliegen: Weil der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland in weiten Bereichen schlecht sei, könne man den Zugang über die hausärztliche Versorgung öffnen. Vorbild war Irland, wo dies 2019 ermöglicht wurde.
“So haben wir uns erstmals mit diesem Gedanken vertraut gemacht”, erzählt Kollmer, die lange Zeit im Forum aktiv war. Im September 2022 hat es dann einen ersten Workshop zur möglichen Umsetzung in der Hausarztpraxis gegeben.
“Starke Leistung” der DEGAM
Zeitgleich und unabhängig davon hat die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) eine S2K-Leitlinie erarbeitet, die im Januar 2023 erschienen ist und an deren Erstellung die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) bereits mitgewirkt hat.
“Das war wirklich eine starke Leistung unserer Fachgesellschaft”, lobt Kollmer. Vor allem weil diese im Mai 2023 begleitend eine dreiseitige Praxisempfehlung veröffentlicht hat (s. Link-Tipp unten).
“Diese liest sich sehr kompakt und übersichtlich”, unterstreicht Kollmer den Wert für den eigenen Praxisalltag. Denn beantwortet werden etwa wichtige Fragen zur konkreten Durchführung in der Praxis. Für Kollmer war die Praxisempfehlung somit der Startpunkt, die Umsetzung in der eigenen Praxis zu planen.
Heute ist sie eine der ersten Hausärztinnen in Deutschland, die die DEGAM-Empfehlung in ihrer Praxis umsetzt. “Ich würde gern mehr Praxen dafür gewinnen”, sagt sie. Denn: Aus Kollmers Sicht sind besonders Hausärztinnen und Hausärzte dafür geeignet, die bestehenden Versorgungslücken gerade im ländlichen Bereich zu verkleinern.
Dies liegt einerseits an geografischen Gegebenheiten: Während die hausärztliche Versorgung vergleichsweise wohnortnah gesichert ist, seien es bis zur nächsten Praxis oder Klinik, die Abbrüche durchführen, gerade in ländlichen Regionen weite Anfahrten, sagt Kollmer.
“In städtischen Regionen ist das kein Problem”, weiß sie nach einer eigenen Anfrage bei allen Konfliktberatungsstellen in sämtlichen bayerischen Bezirken. “Hier haben Patientinnen sogar die Wahl zwischen verschiedenen gynäkologischen Praxen und damit auch die Wahl zwischen medikamentösem oder operativem Abbruch.” Doch: “Je ländlicher die Gegend wird, desto größer sind die Versorgungslücken.”
“Wir sind geübt im Dialog”
Gerade Hausärztinnen und Hausärzte verfügen über das nötige Fingerspitzengefühl, das ein sensibles Thema wie ein Schwangerschaftsabbruch erfordert, betont sie. Unbedacht gewählte Formulierungen oder falsche Worte können Schaden erzeugen. Schuldzuweisungen seien völlig fehl am Platz. Regelhaft thematisiert Kollmer auch die spätere Verhütung oder weist auf zielgruppenspezifische Angebote hin.
Versteht man hausärztliche Betreuung als umfassende Begleitung “von der Wiege bis zur Bahre”, so sei eine ungewollte Schwangerschaft ein Moment, der davon abgedeckt sein müsse, so Kollmer. “Doch es ist kein Selbstläufer im Praxisalltag, man muss das wirklich wollen – und auch emotional bereit dazu sein”, sagt sie nach den ersten eigenen Erfahrungen.
Gerade, weil es für den Abbruch in der Hausarztpraxis durchaus auch Gegenwind gibt. Der Berufsverband der Frauenärzte etwa sieht bei teils widersprüchlicher Datenlage letztlich “keinen Hinweis auf eine Ausbildungslücke noch eine Versorgungslücke”.
Gegenwind von Gynäkologen
“Die Betreuung eines medikamentösen Abbruchs bedeutet nicht nur das Anleiten in der Tabletteneinnahme, worin Hausärztinnen und Hausärzte sicher erprobt sind”, sagt stellvertretend Prof. Uwe Köhler, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe St. Georg in Leipzig, gegenüber “Der Hausarzt”.
Er erinnert an eine “Kette” umfangreicher diagnostischer Schritte, die im Vorfeld und Nachgang nötig seien – von der korrekten Bestimmung der Schwangerschaft bis hin zur Sicherstellung, dass nach dem Abbruch keine Reste in der Gebärmutter verblieben sind. Dies sei in der Hausarztpraxis nur schwer darstellbar, meint er.
Dass dies durchaus gut möglich ist, beweist Kollmer in ihrer Praxis: Sie musste unter anderem ein ausführliches Nachsorgekonzept vorlegen. In der Tat ist sie sich der Herausforderungen im Alltag bewusst – beginnend mit der Feststellung der Schwangerschaft, die in der gynäkologischen Praxis in der Regel mittels vaginalem Ultraschall erfolgt.
“Gerade in der sehr frühen Schwangerschaft ist vieles im abdominellen Ultraschall schwer zu erkennen”, sagt Kollmer. Gleichzeitig sei die Zulassung des Arzneimittels nur bis zur Schwangerschaftswoche 9+0 gegeben. “Man muss hier sehr streng sein, um im legalen Rahmen zu bleiben”, betont sie.
Kollegiales Miteinander hilft
Tauchen Unklarheiten oder Fragen auf, die nicht mit der Leitlinie zu klären sind, greife Kollmer “durchaus zum Hörer” und frage eine erfahrene Kollegin um Rat. Danach nimmt die Patientin die erste Tablette in der Praxis vor der Ärztin ein. Zwei Tage später werden die Tabletten zur Blutungsinduktion im “home use” eingenommen. Der Abgang der Schwangerschaft erfolgt also in der Häuslichkeit, idealerweise begleitet von einer vertrauten Person. “Während dieser Zeit bin ich 24/7 für die Patientinnen erreichbar”, sagt Kollmer (Checkliste S. 31).
Wichtig in der Praxis: Die für den Abbruch verwendeten Arzneien – genau beschrieben in der DEGAM-Handreichung – sind nur schwer über einen sogenannten Sondervertriebsweg zu beziehen. Dafür nötig ist eine Registrierung beim Arzneihersteller sowie das Einreichen der eigenen Genehmigung. Die Firma darf die Tabletten nur nummeriert ausgeben; in der Praxis ist die Dokumentation, welche Packung an welche Patientin herausgegeben wurde, fünf Jahre aufzubewahren.
Etwa zwei Wochen nach der Blutungsinduktion wird das Ende der Schwangerschaft formal festgestellt. Entweder kommt die Patientin für eine Ultraschallkontrolle in die Praxis oder sie führt einen speziellen Urintest auf HCG zu Hause durch und bespricht das Ergebnis dann mit Kollmer telefonisch. “Bei Anfahrtswegen von durchschnittlich 65 km bis zu mir in die Praxis entscheiden sich zwei Drittel für den Telefontermin”, berichtet sie.
Vorbereitung kostet Zeit
Keine Frage: Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in der Hausarztpraxis ist kein Selbstläufer. “Die Vorbereitung hat viel Zeit und Willen erfordert”, bilanziert Kollmer. Umso mehr möchte sie ihr Wissen gerne weitergeben und Ansprechpartnerin für andere Praxen sein. Auch könne es am Anfang wichtig sein, eine “Mentorin” zu haben, weiß sie aus eigener Erfahrung. “Es gibt immer wieder Situationen, in denen man mit dem eigenen Gewissen konfrontiert ist.” In ihrem Fall sei das etwa der wiederholte Abbruch bei einer Patientin gewesen.
Erschwert wird der Abbruch in der Praxis aber nicht nur durch “innere” Faktoren wie die eigene Haltung oder die Praxisgegebenheiten, sondern auch durch die geltende Rechtslage als wichtigster “äußerer” Faktor. Denn: Diese muss es Hausärztinnen und Hausärzten prinzipiell überhaupt erlauben, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen – und das ist flächendeckend keinesfalls so, wie eine Umfrage von “Der Hausarzt” zeigt (siehe Tab. unten).