© Doctopia GmbH Abb. 2: EKG nach Bewusstseinsverlust (Papiervorschub 25 mm/s)
Zweiter EKG-Befund
Das EKG in Abb. 2 zeigt eine rhythmische Breitkomplextachykardie mit einer Herzfrequenz von circa 210-220/min. Die QRS-Komplexe haben eine Dauer von circa 190 ms und sind monomorph. Prinzipiell handelt es sich hier mit großer Wahrscheinlichkeit um eine monomorphe ventrikuläre Tachykardie (VT). P-Wellen sind nicht sichtbar. Harte Kriterien wie eine AV-Dissoziation, Fusion Beats oder Capture Beats sind nicht offensichtlich.
Bei der vorliegenden Frequenz und der QRS-Dauer in Zusammenschau mit dem klinischen Bild ist die VT allerdings sehr wahrscheinlich. Die Konfiguration sieht zwar in den Brustwandableitungen linksschenkelblockartig aus, stimmt aber in den Extremitätenableitungen damit nicht überein.
Zudem sind noch zwei Brugada-Kriterien für eine VT positiv: 1. Beginn QRS bis zum tiefsten Punkt S ist > 110 ms (zum Beispiel Ableitungen V5 und V6); 2. In V1 ist die Zeit vom Beginn des QS-Komplexes bis zum Nadir weit über 60 ms.
Reanimation
Es schließt sich eine prolongierte Reanimation mit Atemwegssicherung durch Intubation und mehrfacher Defibrillation an. Die initial monomorphe ventrikuläre Tachykardie akzeleriert nach kurzer Zeit und degeneriert zunächst in eine polymorphe VT, dann in Kammerflimmern.
Die Katecholamin-Gabe während der Reanimation wird aufgrund arrhythmischer Nebenwirkungen auf das mögliche Minimum beschränkt. Das Team der Notaufnahme verabreicht 300 mg Amiodaron zur Rhythmusstabilisierung.
Dennoch lassen sich die durch die Ischämie getriggerten ventrikulären Arrhythmien nicht komplett verhindern. Eine notfallmäßig durchgeführte Echokardiografie zeigt eine höchstgradig reduzierte systolische linksventrikuläre Funktion. Der Patient wird in das Herzkatheterlabor gebracht, sobald sich eine halbwegs stabile Kreislaufsituation etablieren lässt.
Herzkatheter
In der Koronarangiografie zeigt sich ein Verschluss des linken Hauptstamms. Die “Culprit Lesion” – das heißt der akute Verschluss – liegt im vor wenigen Tagen implantierten Stent: Es handelt sich also um eine Stentthrombose. Akute Stentthrombosen sind seit Einführung der neuesten Generation medikamentenfreisetzender Koronarstents insgesamt selten.
Verschiedene Faktoren können eine Stentthrombose begünstigen. Ein typischer Auslöser für Thromben ist die inkomplette Stentapposition. Das bedeutet, dass Teile des Stentgerüsts in das Gefäßlumen ragen. Auch das Weglassen der dualen Thrombozytenaggregationshemmung oder Dissektionen der Gefäß-Intima vor oder nach dem Stent steigern das Risiko für eine akute Thrombenbildung.
Nach Eröffnung des Gefäßes und Aspiration der Thromben sowie PTCA im Stent wird aufgrund der schweren akuten Linksherzinsuffizienz ein Unterstützungssystem implantiert.
Hierbei handelt es sich um eine intravasale Pumpe, die über die Femoralarterie bis in den linken Ventrikel vorgebracht wird und Blut aktiv aus dem linken Ventrikel über die Aortenklappe in die Aorta transportiert. Die Pumpe kann nach Erholung der linksventrikulären Funktion wieder explantiert werden.
Zur Absicherung wird der Bereich der Stentthrombose mittels optischer Kohärenztomografie (OCT) genauer unter die Lupe genommen. Dies ist ein infrarotlichtbasiertes Verfahren, mit dem die Gefäßwand ähnlich wie beim intravasalen Ultraschall hochauflösend dargestellt werden kann. Hier zeigt sich tatsächlich eine Malapposition des Stents. Nach mehrfacher PTCA gelingt es, den Stent komplett in die Gefäßwand zu pressen.
© stock.adobe.com/Sebastian Kaulitzki Akute Stentthrombosen sind seit Einführung der neuesten Generation medikamentenfreisetzender Koronarstents insgesamt selten.
Auflösung
Der inzwischen aufgetauchte Arztbrief aus dem Voraufenthalt beschreibt, dass Herr M. eine elektive Stentimplantation des linken Hauptstamms erhalten hatte. Als zusätzlicher Thrombozytenaggregationshemmer wurde der P2Y-Inhibitor Clopidogrel verordnet, der offensichtlich postinterventionell nicht eingenommen wurde.
In Kombination mit dem malappositionierten Stent wurde die akute Thrombose im linken Hauptstamm umso wahrscheinlicher.
Generell war die Revaskularisierung signifikanter Stenosen des linken Hauptstamms Gegenstand vieler Studien und Diskussionen der letzten Jahre. Lange Zeit galt die Hauptstammstenose als die Domäne der Kardiochirurgen. Durch die Möglichkeit, die linke Arteria mammaria auf den RIVA aufzunähen, konnten sehr gute Ergebnisse auch im Langzeitverlauf erzielt werden.
Vier große randomisierte Studien, die eine herzchirurgische mit einer interventionellen Versorgung verglichen, fanden allerdings ähnliche Ergebnisse für beide Therapieverfahren. Auf dieser Basis bewerten die europäischen Leitlinien die chirurgische Versorgung mit dem Empfehlungsgrad I, Evidenzlevel A (wird empfohlen) und die Intervention mit IIa, A (kann erwogen werden).
Voraussetzung für eine interventionelle Therapie ist ein niedriger oder mittlerer SYNTAX-Score, was unter anderem bedeutet, dass nicht noch weitere schwerwiegende Stenosen in anderen koronaren Flussgebieten bestehen.
Laut NVL “Chronische KHK” soll Patienten mit Hauptstammstenose und SYNTAX-Score ≤ 22 PCI oder Bypass-Op gleichermaßen angeboten werden. Bei Hauptstammstenose und mäßig ausgeprägter Mehrgefäßerkrankung (SYNTAX-Score 23-32) soll primär die Op und nachrangig die PCI angeboten werden, bei Hauptstammstenose und Mehrgefäßerkrankung (SYNTAX-Score ≥ 33) die Op.
Die NVL empfiehlt außerdem, Patienten mit Mehrgefäßerkrankung oder Hauptstammstenose mit der Entscheidungshilfe “Verengte Herzkranzgefäße: Stent oder Bypass?” (www.hausarzt.link/5iR9m ) zu beraten.
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Quelle: Byrne RA et al. 2022 Joint ESC/EACTS review of the 2018 guideline recommendations on the revascularization of left main coronary artery disease in patients at low surgical risk and anatomy suitable for PCI or CABG. European Heart Journal, 2023; doi: 10.1093/eurheartj/ehad476
Interessenkonflikte : Der Autor ist Gründer und Geschäftsführer der Doctopia GmbH.
*Die Fälle der Serie werden teilweise aus akademischen Gründen etwas abgewandelt.