Aus Wissenschaft und ForschungHA 03/24: Die DEGAM informiert

Auf diesen Seiten stellt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) neueste medizinische Erkenntnisse vor, die für den Praxisalltag der Hausärztinnen und Hausärzte relevant sind.

Was tut sich in Wissenschaft und Forschung?

Praxistauglichkeit der spirituellen Anamnese

In einer ganzheitlichen Versorgung sollten neben medizinischen und psychosozialen Aspekten auch spirituelle Aspekte berücksichtigt werden. In Deutschland missverstehen wir Spiritualität jedoch oft entweder als esoterisch oder in sehr engem Sinne als religiös-kirchlich.

Spiritualität im weiteren Sinne umfasst alles, was dem Leben Sinn gibt und damit eine persönliche Ressource ist. Im Sinne dieser Definition untersuchte die HoPES3-Studie Möglichkeiten, Spiritualität in der hausärztlichen Versorgung älterer Menschen mitzudenken.

Eine Intervention war die routinemäßige Erhebung einer spirituellen Anamnese nach dem SPIR-Modell (siehe Kasten links) im Rahmen der DMP-Untersuchungen. Die Umsetzbarkeit wurde dabei durch Fragebögen und Interviews evaluiert. Die spirituellen Anamnesen dauerten meist (circa 80 Prozent) weniger als 20 Minuten, häufig (circa 40 Prozent) sogar weniger als 10 Minuten.

Nur sehr selten (2 Prozent) bewerteten die Teilnehmenden die Fragen als belastend für Patientinnen und Patienten. Die Anamnese wurde überwiegend als ein bisschen (circa 50 Prozent), ziemlich (circa 35 Prozent) oder sehr (8 Prozent) hilfreich für die Versorgung empfunden.

Die Interviewaussagen zeigten, dass die Praxisteams die Anamnese insgesamt besser umsetzen konnten, als sie initial dachten. Die Teilnehmenden kritisierten die strukturierten Fragen oft als ungeeignet und passten sie häufig an.

Außerdem empfanden sie die routinemäßige Umsetzung häufig als unpassend und äußerten den Wunsch, sie eher gezielt bei Bedarf einzusetzen. Limitierend war bei der Studie, dass vermutlich besonders an Spiritualität interessierte Ärzte und Patienten teilnahmen.

Fazit: Eine spirituelle Anamnese wurde von Praxisteams in der Versorgung älterer Menschen grundsätzlich als einfach umsetzbar und oft als hilfreich empfunden. Dabei wünschten sich die Teilnehmenden eher einen bedarfsorientierten und gezielten als einen routinemäßigen Einsatz und bevorzugten offene Gespräche anstatt einer strukturierten Anamnese.

Quellen:

Huperz C, Sturm N, Frick E, Mächler R, Stolz R, Schalhorn F, Valentini J, Joos S, Straßner C. Experiences of German health care professionals with spiritual history taking in primary care: a mixed-methods process evaluation of the HoPES3 intervention. Fam Pract. 2023 Mar 28;40(2):369-376. doi: 10.1093/fampra/cmac106. PMID: 36242538.

Mächler R, Sturm N, Frick E, Schalhorn F, Stolz R, Valentini J, Krisam J, Straßner C. Evaluation of a Spiritual History with Elderly Multi-Morbid Patients in General Practice-A Mixed-Methods Study within the Project HoPES3. Int J Environ Res Public Health. 2022 Jan 4;19(1):538. doi: 10.3390/ijerph19010538. PMID: 35010797; PMCID: PMC8744880.

Jugendliche mit Halsschmerzen – wer hat Mononukleose?

Mononukleose (“Pfeiffersches Drüsenfieber”) ist ein häufiges Krankheitsbild bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer Inzidenz von 10-50/1.000 Personen pro Jahr. Symptome und klinische Befunde sind wenig spezifisch und es wäre unpraktikabel, bei allen jungen Menschen mit Halsschmerzen eine spezifische Antikörperdiagnostik durchzuführen.

Daher wurde an einem universitären Gesundheitszentrum in Georgia, das 35.000 Studierende versorgt, ein Risikoscore zur Identifikation von Personen mit niedriger und hoher Wahrscheinlichkeit für eine Mononukleose entwickelt. Der Score könnte – vergleichbar dem CENTOR-Score bei Halsschmerzen – klinische Entscheidungen unterstützen.

Die Wissenschaftler werteten die Daten aller Fälle mit Verdacht auf eine Mononukleose von September 2015 bis Oktober 2017 aus den elektronischen Patientenakten aus (die Symptome hatten die Studierenden selbst bereits vor der Konsultation in die Akten eingetragen) und entwickelten entsprechende Scores.

Ein Risikoscore beinhaltete nur klinische Aspekte, ein weiterer auch Basislaborwerte. Die Scores wurden zwischen November 2017 und Januar 2019 an entsprechenden Verdachtsfällen prospektiv validiert. Circa 16 Prozent der Kohorte hatten eine positive Epstein-Barr-Virus (EBV)-Serologie.

In den klinischen Score flossen Tonsillenexsudat (1 Punkt), Lymphadenopathie außerhalb der cervicalen anterioren Region (2 Punkte), Patientenangabe von “geschwollenen Lymphknoten” (1 Punkt) und fehlende Gliederschmerzen (1 Punkt) ein. Personen mit weniger als einem Punkt hatten ein niedriges Risiko (circa 8 Prozent) tatsächlich Mononukleose zu haben, Personen mit mehr als 2 Punkten hatten ein Risiko von 22 Prozent.

Der Laborrisikoscore berechnete das Risiko aus einem erhöhten Anteil an Lymphozyten (> 40 Prozent) und atypischen Lymphozyten (> 5 Prozent) sowie einer erhöhten absoluten Lymphozytenzahl. Wer hier in die Hochrisikogruppe fiel, hatte eine Wahrscheinlichkeit von circa 85 Prozent für einen positiven Antikörpertest.

Die Forschergruppe diskutiert eine gestufte Nutzung: Der klinische Score könnte die Gruppe identifizieren, bei der ein Basislabor bestimmt werden sollte. Bei entsprechenden Befunden kann dann eine gezielte Antikörperdiagnostik erfolgen.

Da der Score nur monozentrisch in einer sehr spezifischen Population entwickelt wurde, ist eine weitere Validierung in einem anderen Setting wünschenswert.

Fazit: Unter College-Studierenden in den USA ließen sich klinische und Laborbefunde identifizieren, die in Form von Risikoscores Entscheidungen zur Diagnostik von EBV leiten und unterstützen können.

Quelle: Cai X, Ebell MH, Russo G, Dobbin KK, Cordero JF. Development and internal validation of risk scores to diagnose infectious mononucleosis among college students. Fam Pract. 2023 Mar 28;40(2):261-267. doi: 10.1093/fampra/cmac105. PMID: 36208221.

Best of Leitlinien

3 Fragen an Dr. med. Wolfgang Schneider-Rathert, Sprecher der Sektion Prävention der DEGAM und Mezis-Mitglied

Warum lieben Sie Leitlinien?

Auch ich stehe in der Praxis täglich unter dem international einmaligen Zeitdruck des deutschen allgemeinmedizinischen Multitaskings in unserem an und über seine Grenzen belasteten Gesundheitssystem. Und liebe Leitlinien? Echt jetzt? Dafür habe ich keine Zeit!

Konfuzius spricht: “Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.” Anders als eine Leitliniengruppe, die jahrelange Ausdauer braucht, um die Evidenz zusammenzufassen, brauchen wir nur eine kurze Pause von fünf Minuten, um zu erfahren, was wir evidenzbasiert tun (und lassen!) sollten.

Sie haben auf den letzten DEGAM-Seiten bereits Praxistipps aus der Leitlinie “Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis” zu einer sinnvollen Labordiagnostik vorgestellt. Was empfiehlt die Leitlinie denn zur Sonografie?

Die Leitlinie hilft bei der Entscheidung, ob sich die Zeit für eine Sonografie bei isoliert erhöhtem TSH überhaupt lohnt: Eine routinemäßige Sonografie sollte bei isolierter TSH-Erhöhung nicht durchgeführt werden.

Und wie sieht das mit der Behandlung aus?

Die Leitlinie benennt klar, wann und wie eine Behandlung heute begonnen wird oder beendet werden kann und wann eine Überweisung zur Nuklearmedizin notwendig ist.

Jede Person mit manifester Hypothyreose sollte mit klassischem L-Thyroxin (und nicht mit den teureren Kombipräparaten) behandelt werden. Die Einnahme ist morgens oder abends möglich, wichtig ist nur ein Abstand zu Medikamenten oder Essen von 30 Minuten. Dabei starten wir mit einer Dosis bis zu 1,6 Mikrogramm pro kg Körpergewicht (70 kg=100 Mikrogramm). Das TSH wird dann frühestens nach 8 Wochen (im Folgequartal) kontrolliert, später je nach Verlauf alle 6 bis 24 (sic!) Monate. In der Schwangerschaft sollte allerdings häufiger – mindestens einmal je Trimenon – kontrolliert werden. Ziel ist immer ein TSH-Wert zwischen 0,4 und 4 mU/l. Bei persistierenden Beschwerden und/oder Nicht-Erreichen des TSH-Zielwerts ist die Überweisung zum Endokrinologen angeraten.

Und wenn jemand schon immer L-Thyroxin 50 ohne ersichtlichen Grund nimmt? Dann kann man in Absprache mit den Patienten probeweise absetzen und das TSH kontrollieren.

Tipp: Neugierig geworden? Die Langversion und verschiedene gute Patienteninformationen zum Thema gibt es hier: www.degam.de/degam-leitlinien-379

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Impressum Redaktion: Dr. med. Sabine Gehrke-Beck, Institut für Allgemeinmedizin, Charité–Universitätsmedizin (verant.)

DEGAM-Bundesgeschäftsstelle: Natascha Hövener, Dr. Philipp Leson, Schumannstr. 9, 10117 Berlin, Tel.: (030) 20 966 98 00, www.degam.de

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