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PraxisführungMit Perspektivwechsel gelingt die Anstellung

Viele Niedergelassene wünschen sich Entlastung in der Praxis, immer mehr junge Ärztinnen und Ärzte wollen angestellt arbeiten. Doch die Anstellung ist oft beiderseits mit Unsicherheiten verbunden. Anja Thiemann und Dr. Simon Schwill erklären, wie sich vier klassische Knackpunkte ausräumen lassen und wie der Hausärztinnen- und Hausärzteverband beide Seiten unterstützt.

Für einige ist die Anstellung nur eine Zwischenstation zur Niederlassung.

Eine Anstellung ist meist bei Praxisinhabenden wie angestellten Ärztinnen und Ärzten mit Unsicherheiten verbunden. “Wer sich in die Perspektive des anderen hineinversetzt, legt den Grundstein für eine gute Zusammenarbeit”, betont Dr. Simon Schwill, der selbst angestellt in einer Mannheimer Hausarztpraxis arbeitet.

Um diese Unsicherheiten aufzulösen, hat Schwill im Ausschuss Angestellte des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes den Kodex Anstellung mit erarbeitet.

“Wir vertreten als Verband alle Hausärztinnen und Hausärzte, ob angestellt oder selbstständig, ob jünger oder älter. Im Ausschuss arbeiten deswegen bewusst alle Seiten mit: Praxisinhabende und Angestellte, auch solche, die bereits wissen, dass sie mal eine Praxis führen möchten”, erklärt Ausschuss-Kollegin Anja Thiemann.

Der Kodex stellt zu zehn Themen die Sichtweisen von Angestellten wie Arbeitgebenden dar (s. Kasten unten). Er soll beim Perspektivwechsel unterstützen und so einen fairen Umgang fördern. Der Kodex könne einerseits zur Vorbereitung eines Vorstellungsgesprächs dienen, andererseits auch als eine Art Checkliste für ein zweites Gespräch, in dem man die arbeitsvertraglichen Details vorbereitet, raten die beiden Allgemeinmediziner. Aus ihrer Erfahrung stehen in der Praxis vier Knackpunkte im Vordergrund. Der größte sei die Verhandlung des Gehalts.

1. Gehalt fair verhandeln

“Angestellte sind hier oft unsicher, woran sie sich bei ihren Gehaltsvorstellungen orientieren können und was angemessen ist”, erzählt Thiemann. Dafür gibt der Verband Mitgliedern ein Kalkulationstool an die Hand (s. Box). Damit errechnet man, welcher Leistungsumfang in der Praxis zu erbringen ist, um das Gehalt zu refinanzieren.

“Das Tool zeigt aber auch, in welche Praxisdaten ärztliche Angestellte Einblick brauchen, um ein Gefühl dafür entwickeln zu können, wie sie zum Gewinn der Praxis beitragen können”, sagt die Berliner Hausärztin. “Das kann sich für die Chefin oder den Chef natürlich erstmal ungewohnt anfühlen”, ergänzt Schwill. Der Rechner solle aber beide Seiten dazu anregen, welche Zahlen vertraulich besprochen werden sollten.

“Nur mit Transparenz können Angestellte eine Vorstellung davon entwickeln, was ihre Vorgesetzten neben dem Gehalt alles berücksichtigen müssen, um ihre Stelle zu finanzieren.” Dazu zählten etwa die 20 Prozent Lohnnebenkosten oder dass womöglich die Praxis mit einem Sprechzimmer erweitert werden muss, nennt Schwill zwei Beispiele.

2. Arbeitszeit definieren

Der zweitgrößte Knackpunkt sei die Arbeitszeit, erzählt Schwill. Früher sei es üblich gewesen, dass die Vor- und Nachbereitung der Sprechstunde als Überstunden geleistet werden. Dies sei heute anders, daher könne man sich schnell missverstehen.

“Im Muster-Anstellungsvertrag des Verbandes wird daher dazu geraten, über den Anteil der Sprechstundenzeit an der gesamten Arbeitszeit zu sprechen und dies im Vertrag festzuhalten.” Als Daumenregel könne man von einer Stunde Nachbereitungszeit für vier Sprechstunden ausgehen. Bei 20 Stunden Arbeitszeit stünden also 16 Stunden für die Sprechstunde zur Verfügung.

“Klare Vorgaben bieten für alle Vorteile: Das Team kann die Sprechstunde gut planen. Die Arbeitgebenden können sich darauf verlassen, dass ihre Angestellten ihre Fälle abschließend – also samt Formularen, Dokumentation etc. – bearbeiten und die Angestellten haben Sicherheit, wie sich ihre Arbeitszeit gestaltet”, erklärt Thiemann.

Zudem könne vereinbart werden, dass bestimmte Aufgaben wie Labor auswerten, Patientenanrufe, Dokumentation auch von zuhause aus erledigt werden können, was eine Stelle attraktiver mache.

3. Recht auf Fortbildung

Ein weiteres Missverständnis kann bei Fortbildungen auftauchen. “Manche wissen nicht, dass in den meisten Bundesländern ein Anspruch auf Bildungszeit besteht”, sagt Schwill. Außer Bayern und Sachsen gibt es in jedem Land ein Bildungszeitgesetz, das in der Regel fünf Tage pro Jahr oder zehn Tage in zwei Jahren zur Fortbildung von Mitarbeitenden vorsieht.

Dafür müssen Mitarbeitende keinen Urlaub nehmen und das Gehalt wird weitergezahlt. “Die für sie gültigen Vorgaben sollten beide Seiten kennen, damit keine Arbeitsverträge geschlossen werden, die dagegen verstoßen”, rät Schwill.

Zudem solle man mindestens einen Teil der Fortbildungen möglichst selbst wählen können. “Angestellte sollten aber frühzeitig, spätestens ein halbes Jahr im Voraus, ihre Fortbildung mit den Vorgesetzten abstimmen, damit es bei der Praxisplanung berücksichtigt werden kann”, ergänzt Thiemann. Davon unabhängig könne Fortbildung auch als Teamerlebnis gestaltet werden, zum Beispiel als gemeinsamer Ausflug zur practica in Bad Orb oder zum BAM-Kongress in Berlin.

 

4. Urlaub früh planen

Ebenso frühzeitig sollte man den Urlaub und die Praxisschließzeiten im Team gemeinsam besprechen, empfehlen Schwill und Thiemann. Manche Arbeitgebenden seien der Meinung, sie legen die Schließzeit fest und das Team müsse sich gänzlich danach richten – ein Irrtum. Hier sollten beide Seiten das Bundesurlaubsgesetz kennen.

Demnach ist Urlaub in der Regel frei wählbar und kann nur aus dringenden betrieblichen Gründen einseitig angeordnet werden. Aber selbst dann darf nicht alles vorgegeben werden: Laut Bundesarbeitsgericht muss das Personal in etwa zwei Fünftel seines Urlaubs selbst bestimmen können.

“Mitunter kann es aber auch im Interesse des Arbeitgebenden sein, freiwillig mehr Urlaubstage zu gewähren. Wenn man etwa die Praxis acht Wochen pro Jahr schließen möchte, Angestellte aber nur sechs Wochen Urlaub haben, dann würden für zwei Wochen Überstunden anfallen”, erläutert Schwill.

Wer diese Knackpunkte gemeinsam löst, legt die Basis für ein gutes Miteinander im Team. Und darauf kann sich wiederum Motivation zur Niederlassung entwickeln, weiß Schwill aus seiner Tätigkeit als Leiter des Kompetenzzentrums Weiterbildung in Baden-Württemberg. “Für einige ist die Anstellung nur eine Zwischenstation. Aus Studien wissen wir, dass sich die Niederlassung von Mitte 30 auf eher Mitte 40 verlagert hat.”

Mit zunehmendem Alter könne man seine Risikobereitschaft und die mentalen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen besser einschätzen. “Gehen Arbeitgebende transparent, aber vertraulich mit ihren Praxisdaten um, weckt das bei einigen mit der Zeit die Lust, selbst eine Praxis zu führen.”

So zum Beispiel bei Anja Thiemann, die in ihrer Chefin ein “tolles Vorbild” gefunden hat. Sie hat schnell gemerkt, dass sie die Praxis übernehmen möchte. Ihre Vorgesetzte wolle aber noch etwas länger arbeiten. “Deswegen haben wir eine flexible Übergangszeit von drei bis fünf Jahren definiert, in der ich Schritt für Schritt Aufgaben von ihr übernehme und so auch genug Zeit habe, die neuen Aufgaben selbst zu lernen”, erzählt die Berlinerin.

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