TerminservicestellenTSS: Millionen Euro für alte Zöpfe statt echter Steuerung

Als 2016 die ersten Terminservicestellen an den Start gingen, zweifelten viele am Erfolg des Projekts. Sieben Jahre später zeigt sich: Die Nachfrage ist immens, der Aufwand riesig. Die wirklichen Probleme im System lösen die TSS aber nicht.

Deutschland nimmt bei der Menge der Arzt-Patienten-Kontakte im europäischen Vergleich eine Spitzenposition ein.

In den Hausarztpraxen sind nach dem Ende der Pandemie weiter die Wartezimmer voll. Immer weniger Hausärztinnen und -ärzte versorgen immer mehr Versicherte. Und auch der EBM mit seinen Vorgaben zwingt Ärztinnen und Ärzte darüber hinaus zu noch mehr vermeidbaren Kontakten in ihren Praxen.

Mehrere Studien haben dabei auch gezeigt, dass Deutschland bei der Menge der Arzt-Patienten-Kontakte im europäischen Vergleich eine Spitzenposition einnimmt. Eigentlich müssten deshalb, um die zur Verfügung stehende Zeit der Ärztinnen und Ärzte effektiv zu nutzen, Termine viel zielgenauer vergeben werden. Steuerung ist das Gebot der Stunde.

Die Idee der Politik ist jedoch, das Problem der knappen Ressourcen mit den Terminservicestellen (TSS) zu lösen. In der Realität zeigt sich aber: Dieser sehr aufwendige Weg kratzt bestenfalls an der Oberfläche der Probleme.

Denn laut TSS-Evaluationsbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) werden zwar mehr und mehr Termine über die TSS abgewickelt – diese stiegen von 562.000 in 2020 um etwa ein Drittel auf 750.000 im Folgejahr [1]. Das eigentliche Problem bleibt aber unangetastet.

Instrument zur Terminvergabe ohne steuernde Wirkung

Wie hoch der Aufwand der TSS ist, zeigen beispielsweise folgende Zahlen: Zur Terminvermittlung gehört zunächst die Prüfung, ob eine Terminanfrage überhaupt berechtigt ist. 2020 gingen bei den TSS rund 670.000 Terminanfragen ein. Nach der Prüfung blieben noch 562.000 “berechtigte” Termine übrig.

Davon wiederum erfüllten die TSS-Teams 446.000 Terminwünsche. Dass mit dem aufwendigen Prozedere Patientinnen und Patienten schneller in eine Fachpraxis kommen als auf üblichem Weg, ist dabei nicht nachvollziehbar.

Spitzenreiter bei den angefragten Terminen waren laut KBV-Evaluationsbericht 2021 die Psychotherapeuten – gefolgt von Nervenärzten, Radiologen, Kardiologen und Augenärzten (siebe Abbildung unten). Nur etwa vier Prozent der Terminwünsche richteten sich an Hausärzte.

Letzteres unterstreicht: Trotz des Versorgungsdrucks stellen Hausarztpraxen in aller Regel zeitnah Termine zur Verfügung. Eine steuernde Wirkung können die TSS damit logischerweise aber nicht entfalten.

Und: Der Aufwand für die TSS steigt weiter. Das zeigt auch eine Umfrage von “Der Hausarzt” unter den KVen [2]. Hatte die TSS der KV Berlin zum Beispiel 2020 rund 22.500 Termine vermittelt, hat sich das Ganze 2022 mit rund 73.000 Terminen mehr als verdreifacht. Und es geht weiter aufwärts: Im ersten Quartal 2023 vermittelte die Berliner TSS allein schon rund 35.000 Termine.

Ähnlich sieht es bei der TSS in Westfalen-Lippe aus. Waren es 2019 rund 33.200 Buchungen, stieg die Zahl 2022 auf fast das Dreifache (82.300 vermittelte Termine) – “Tendenz steigend”, so die KV Westfalen-Lippe.

Im Saarland verlief die Entwicklung vergleichsweise moderat, wenn auch mit stetig zunehmenden Zahlen. Wurden 2019 rund 5.000 Termine vermittelt, waren es 2022 gut doppelt so viele. Im ersten Halbjahr 2023 vermittelte das TSS-Team Saarland knapp 8.600 Termine. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in anderen KVen.

No-Shows gerade bei Hausarztpraxen

Der höhere Aufwand – etwa freie Lücken an die TSS zu melden – ist für Praxen zudem ärgerlich, weil gerade Hausärztinnen und Hausärzte oft davon betroffen sind, dass Versicherte zu den Terminen nicht erscheinen und diese auch nicht absagen. Wie viele Termine Versicherte nicht wahrgenommen haben, sogenannte No-Shows, können die wenigsten KVen sagen.

Dezidiert hat aber die KV Bremen [3] für den Zeitraum von Quartal 1/21 bis 2/22 No-Show-Raten ermittelt: Die No-Shows nach Terminvermittlung über die TSS lagen bei durchschnittlich 21 Prozent. Mit 44 Prozent war die Rate bei hausärztlichen Internisten und mit 36 Prozent bei Allgemeinärzten besonders hoch.

Fazit der Bremer: Speziell in den Fachrichtungen, für die keine Überweisung erforderlich ist, bestehen mit die größten No-Show-Raten. Dazu gehören Hausärztinnen und Hausärzte (Allgemeinmediziner und hausärztliche Internisten), Augenärzte und Gynäkologen.

Die KV Nordrhein geht von circa 10 Prozent No-Shows aus, die KV Rheinland-Pfalz unterscheidet: Sie schätzt 19 Prozent No-Shows im ärztlichen und 24 Prozent im psychotherapeutischen Bereich.

Viel Bürokratie, hohe Kosten

Um die zunehmenden Anfragen bewältigen zu können, wurde in den TSS deutlich Personal aufgebaut. Denn das Gros der Termine wird telefonisch vermittelt, und zwar von nichtärztlichem Fachpersonal. Dieses wird aber auch in den Praxen händeringend gesucht.

In Niedersachsen beispielsweise wurden gerade mal 8,1 Prozent der Termine online vermittelt, in Nordrhein ca. 7,5 Prozent. Im Saarland lag die Online-Quote im Schnitt bei nur 1,14 Prozent.

Das spiegelt sich auch in den Kosten für die TSS, wozu sich die KVen aber überwiegend bedeckt halten. Konkrete Angaben macht das kleine Saarland: In 2020 hätten die Kosten rund 200.000 Euro betragen, in 2022 sogar 330.000 Euro. Für 2023 rechnet das Saarland mit 400.000 Euro. In der saarländischen TSS arbeiten zwei Personen, 14 Mitarbeitende sind für die 116117 zuständig, die die TSS teils auch unterstützen.

Die TSS der KV Bremen verursachte im Jahr 2020 für 12,7 Stellen 581.000 Euro, 2021 waren es bereits 14,2 Stellen und 590.000 Euro, im letzten Jahr 17,7 Stellen und 645.000 Euro. Dabei handele es sich um direkte Personalkosten, erklärt die KV Bremen. Hinzu kämen indirekte Kosten wie etwa IT und zentrale Dienste. Diese könnten nicht beziffert werden.

Bei der KV Sachsen sind 26 Mitarbeitende in der TSS tätig. Die KV Bayerns beschäftigt nach eigenen Angaben 80 Personen in der TSS – der finanzielle Aufwand steige. Niedersachsen macht keine Angaben zu den Kosten, spricht aber von “enormen Kostensteigerungen bei der TSS” – ebenso die KV Schleswig-Holstein. In Berlin arbeiten fünf Mitarbeitende in der TSS – externe Dienstleister kommen hinzu.

Obige Zahlen machen deutlich: Tatsächlich ist der Aufwand, den die TSS verursachen, sehr hoch mit starken Steigerungsraten. Ein Aufwand, der auch bezahlt werden muss.

Aber woher kommt das Geld für die TSS? Finanziert werden die Stellen über den Strukturfonds (Paragraf 105 SGB V), den die KVen bilden. Er besteht aus mindestens 0,1 und höchstens 0,2 Prozent der Morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV). Den gleichen Betrag steuern die jeweiligen Landeskrankenkassen bei.

Aus diesem Fonds werden aber nicht nur die TSS, sondern auch die Zuschüsse etwa zu Neuniederlassungen, zur Gründung von Zweigpraxen, die Förderung von Eigeneinrichtungen etc. finanziert.

Lauterbach: Neupatientenregelung hat nichts gebracht

Auch die Politik ist nicht wirklich zufrieden mit den TSS. Das zeigt sich schon alleine daran, dass immer wieder am System herumgedoktert wird (siehe Kasten unten), ohne dass die gewünschten Erfolge erzielt werden.

2022 wurde beispielsweise die Neupatientenregelung über das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz kurzerhand zum 1. Januar 2023 abgeschafft. Sie habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht, begründete Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach.

Im Gegenzug wurde die Vermittlung durch die Hausärzteschaft gestärkt: Statt zehn Euro erhalten sie für die Vereinbarung dringlicher Termine nun 15 Euro. Und auch Spezialisten werden dringliche Termine besser vergütet. Das Kernproblem wird so aber nicht adressiert.

Statt eines bürokratischen TSS-Apparats bräuchte das Gesundheitswesen eine echte Reform mit besseren Strukturen, findet Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Statt unkoordinierter Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen müsse endlich Steuerung ins System.

Zahlreiche Studien hätten dabei belegt, dass Patientinnen und Patienten, die an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen, weniger unkoordinierte Facharztkontakte hätten und auch eine geringere Hospitalisierungsrate. Beier: “Es steht daher für mich außer Frage, dass die HZV das Versorgungskonzept der Zukunft ist.”

Quellen:

1. KBV-Evaluationsberichte zu TSS: www.hausarzt.link/Jzpak und www.hausarzt.link/ngoBA

2. Umfrage von “Der Hausarzt” unter KVen Juli/August 2023

3. TSS-Auswertung KV Bremen: www.hausarzt.link/9q8ZR

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