Dass Angriffe auf Demokratie und Menschenrechte besonders die Ärztinnen und Ärzte auf den Plan ruft, zeigt sich in vielen Bekenntnissen und gemeinsamen Resolutionen – auch in der des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes und seinen Landesverbänden.
Zum Auftakt des 31. Bayerischen Hausärztetages beispielsweise, der Mitte April stattfand, bezog die Delegiertenversammlung ebenfalls klar Stellung zu Demokratie, Freiheit, Toleranz und Vielfalt. Zu Gast war Dr. Philipp Hildmann, Geschäftsführer des Bayerischen Bündnis für Toleranz- mit 94 Mitgliedsorganisationen, dem auch der Bayerische Haus- ärzteverband angehört.
“Demokratie und Menschenwürde schützen – das ist es, was wir täglich in den Hausarztpraxen erleben, wofür wir einstehen”, begründete Dr. Petra Reis-Berkowicz, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, das Engagement ihres Verbandes im Bündnis: “Wir haben in unseren Praxen den Querschnitt der Gesellschaft. In unseren Praxen spiegeln sich die Spannungen der Gesellschaft wider. Dort können wir Respekt und Würde des Menschen vorleben. Das ist eine große gesellschaftliche Aufgabe, gerade jetzt, wo für einen zunehmenden Teil der Bevölkerung Parteien mit offensichtlich extremistischen Aussagen wählbar werden.”
Aus Sicht von Reis-Berkowicz, die in der Jury für den Herbert-Lewin-Preis sitzt, trägt die Ärzteschaft eine besondere Verantwortung angesichts der Verstrickungen der ärztlichen Organisationen, Berufsverbände, Kammern und der Vorgängerorganisation der KBV in das mörderische NS-System.
Die Erinnerung an diese Verstrickungen und Mechanismen wachzuhalten, hält Reis-Berkowicz für essenziell. Dieses Ziel verfolgt auch die Wanderausstellung zur Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus, basierend auf den Erkenntnissen aus dem Forschungsprojekt “KBV übernimmt Verantwortung”, die am 28.11.2024 in Berlin eröffnet werden soll.
Der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes Dr. Wolfgang Ritter teilt die Befürchtungen, dass sich die Geschichte wiederholen könnte: “Wir sind alle gefordert als Teil dieser Demokratie, als Teil dieser Gesellschaft, die solidarisch ist und die einsteht für die Schwachen, aufzustehen und uns zu Demokratie und Vielfalt zu bekennen”, appellierte er.
Rote Linie ziehen
Dem konnte Hildmann nur zustimmen und forderte zur Wachsamkeit auf. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, und auch bei der Europawahl gehe es um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und wem wir die Macht geben, über unser Leben zu entscheiden.
Die AfD nutze ihren wachsenden Einfluss, um die Grenze vom Sagbaren zum Unsäglichen zu verschieben. “Sie bringt Dinge in die Mitte unserer Wohnzimmer, die für Jahrzehnte undenkbar waren.”
Zum Schutz der hohen Werte sei es auch notwendig, rote Linien zu ziehen und Kante zu zeigen, betonte Reis-Berkowicz. “Toleranz braucht Haltung, und um Haltung zu zeigen, braucht man manchmal Intoleranz, nämlich dann, wenn es um Angriffe auf die Menschenwürde geht, um unsere freiheitliche Grundordnung, unser Demokratieverständnis, die Freiheit der Wissenschaft, die Gleichberechtigung Mann – Frau oder auch das Gewaltmonopol für den Staat – das ist für mich die rote Linie, wo ich sage: Jetzt bin ich super intolerant”, führte sie aus.
Das gelte auch für ihre Patientinnen und Patienten. “Wenn diese rote Linie überschritten wird, habe ich das Recht zu sagen, ›such dir jemand anderen, ich habe kein Vertrauen zu dir‹”.
Gegen Shitstorm vorgehen
Was aber tun, wenn Ärztinnen und Ärzte dafür einen “Shitstorm” in den sozialen Medien kassieren? “Das muss man nicht hinnehmen”, erklärte Hildmann und riet, sich an eine Plattform wie beispielsweise die “Meldestelle Respect” zu wenden. “Über diese Plattform sind in den zweieinhalb Jahren ihres Bestehens 57.000 Fälle angezeigt und 17.000 Gerichtsverfahren eingeleitet worden.”
Vor dem Hintergrund der Verrohung von Sprache in der Anonymität sozialer Medien, die mehr und mehr auch Eingang ins wirkliche Leben findet, forderte Ritter eine gesellschaftspolitische Diskussion darüber, “wo unser moralischer Kontext als Gesellschaft überhaupt ist. Wir müssen gesellschaftlich in die Diskussion kommen, wie wollen wir miteinander leben was bedeutet Respekt, was sich schämen, aber auch stolz sein, das würde ich mir wünschen”, sagte er.
“Das kann ich nur unterstreichen”, pflichtete Hildmann ihm bei, gab aber zu bedenken: “Politische Bildung ist keine Feuerwehr. Wenn‘s brennt, ist es zu spät. Wir müssen dafür sorgen, dass wir einen langen Atem haben. Das fängt bei Kindern an, wir müssen unseren Nachwuchs resilient machen. Das geht nicht mit einem Seminar an einem Wochenende”, erklärte er und sieht auch den Staat gefordert, die nötigen finanziellen Strukturen zu schaffen, um eine resiliente Gesellschaft wiederherzustellen.
“Wir sind dankbar, Sie an unserer Seite zu haben”, sagte er den versammelten Hausärztinnen und Hausärzten und verwies auf das gemeinsame Projekt der Plakataktion “Unser Herz schlägt nicht rechtsextrem”. “Als Bündnis für Toleranz hoffen wir natürlich, dass Sie dieses Plakat auch zahlreich in den Praxen aufhängen.”
red