Placebo- und Nocebo-EffektWie Erwartungseffekte die Therapie beeinflussen

Placebo- und Noceboeffekte wirken sehr machtvoll und beeinflussen auch aktive pharmakologische Behandlungen. Wie können Ärzte und Praxispersonal sie zum Wohl der Patienten nutzen – in der Schmerztherapie und darüber hinaus?

Noceboeffekte werden sehr oft durch das Lesen des oft schwer verständlichen Beipackzettels ausgelöst.

Unser Leben wird von Erwartungen bestimmt – auch in der Medizin. Mit positiven und ebenso negativen Vorerfahrungen und daraus entstehenden Erwartungen gehen Patienten zu ihren Ärzten oder Therapeuten.

Klinische wie experimentelle Untersuchungen belegen eindrücklich, dass sich diese Behandlungserwartungen auf körperliche Symptome, die Schmerzwahrnehmung, den Verlauf einer Erkrankung und den Therapieerfolg auswirken können.

Es sind mächtige Einflussfaktoren, die Gesundheit, Therapie, Genesung und auch Nebenwirkungen beeinflussen können. Sie wirken keineswegs nur auf die Schmerzwahrnehmung, sondern in vielen körperlichen Systemen: im Gastrointestinaltrakt, im Herz-Kreislauf- und endokrinen System, im respiratorischen System wie im Immunsystem und auf die Psyche.

So wirken Placeboeffekte

Placeboeffekte sind ein komplexes Phänomen, das auf unterschiedlichsten psycho-neurobiologischen Vorgängen im Gehirn beruht. Allein der Glaube an die Wirksamkeit einer bestimmten Therapie kann nachweislich Mechanismen im Körper aktivieren, die den Erfolg der Behandlung verstärken.

Man kann dies auch als eine Art “körpereigene Apotheke” beschreiben. Für die Placeboanalgesie, also die Effekte einer positiven Erwartung auf Schmerz, sind die beteiligten Mechanismen schon besonders gut verstanden. Mit der funktionelle Magnetresonanztomografie lässt sich zeigen, dass dabei bestimmte Areale im Gehirn (etwa schmerzlindernde Systeme) aktiviert werden.

Eine positive Erwartung verändert, wie Schmerzen im Nervensystem verarbeitet und wahrgenommen werden. Es kommt zur Ausschüttung von Neurotransmittern wie körpereigenen, schmerzhemmenden Opioiden, die sogar die Weiterleitung des Schmerzreizes im Rückenmark verändern können. Dadurch lassen die Schmerzen nach, obwohl der Patient – beispielsweise mit Rückenschmerzen – gar kein Schmerzmittel eingenommen hat.

Ganz wichtig: Diese Effekte treten keineswegs nur bei Placebobehandlungen auf, sondern begleiten inhärent auch aktive/spezifische Therapien.

Eine der anschaulichsten Studien ist ein Experiment mit dem potenten Schmerzmittel Remifentanil, das den schmerzlindernden Effekt auf einen experimentellen Hitzereiz in drei verschiedenen Bedingungen untersucht hat (siehe Abbildung 1 unten): Einmal ohne Erwartung, dann mit einer positiven und einer negativen Erwartung.

Das erstaunliche Ergebnis: Die positive Erwartung verdoppelt den schmerzlindernden Effekt, die negative Erwartung hebt die Wirksamkeit des potenten Medikaments fast auf. Dass die Behandlungserwartung ein starker Modulator von schmerztherapeutischen Behandlungen ist, wurde später vielfach für verschiedenste Gruppen von Patienten repliziert.

Im Übrigen auch für Behandlungen jenseits der Schmerztherapie. Auch die Wirksamkeit von Behandlungen gegen Depression, Parkinson oder sogar das Outcome nach herzchirurgischen Eingriffen wird durch Erwartung beeinflusst.

Merke: Erwartungen sind nicht nur die treibende Kraft von Placeboeffekten, sondern sie modulieren auch die Wirksamkeit von echten Medikamenten.

Noceboeffekte berücksichtigen

Negative Erwartungen vermögen den Behandlungserfolg zu beeinträchtigen oder zum Auftreten von unerwünschten Wirkungen zu führen. Das ist der Noceboeffekt, der meiner Einschätzung nach in der täglichen Praxis eine noch größere Bedeutung hat als der Placeboeffekt.

Ein unachtsam geäußerter Satz wie “Ihre Wirbelsäule ist ein Trümmerfeld” oder selbst die sorgfältige mit Fachausdrücken gespickte Dokumentation von eigentlich altersgerechten Veränderungen der Wirbelsäule im radiologischen Befund (“Protrusionen, Prolaps, degenerative Veränderungen” usw.) vermittelt wenig Hoffnung und erzeugt sicher kaum eine positive Behandlungserwartung.

Diese Studienergebnisse bieten einen Erklärungsansatz, warum manche Menschen mit chronischen Erkrankungen schlecht auf (Schmerz-)medikamente ansprechen. Sie sind oft verzweifelt und ängstlich und haben das Vertrauen in die Medizin verloren. Dies kann die Wirkung von eigentlich wirksamen Präparaten mindern oder sogar, wie in unserer Studie, komplett aufheben.

Merke: Negative Erwartungen, Ängste und Sorgen können durch Noceboeffekte Symptome verstärken, neue Symptome (zum Beispiel Nebenwirkungen von Medikamenten) auslösen und so den gesamten Therapieeffekt und die Therapietreue negativ beeinflussen.

Ärzte sollten in Zukunft bei der Auswahl von therapeutischen Maßnahmen stärker die Vorerfahrungen und Erwartungen der Patienten berücksichtigen. Ziel muss sein, dass Patienten von vornherein eine offene und positiv konnotierte Erwartungshaltung an die Therapie haben. Gegebenenfalls muss diese durch psychologische Unterstützung auch erst wieder geweckt werden.

Gerade Patienten, die unter chronischen Erkrankungen wie chronischen Schmerzerkrankungen leiden, erleben oft eine langwierige Phase mit unterschiedlichsten Therapieversuchen – teils mit frustrierenden Resultaten.

Erwartungseffekte in der Schmerztherapie

Gerade in der Schmerztherapie sind Placeboeffekte nicht nur schon recht gut verstanden, sondern haben einen besonders großen Anteil am gesamten Therapieerfolg. Deutlich wird das sowohl in den placebokontrollierten, randomisierten Studien wie auch in Studien, in denen die Behandlungserwartung im Zusammenhang mit aktiven Behandlungen erfasst oder systematisch beeinflusst wurde.

Dies gilt für postoperative Schmerzen ebenso wie für die vorbeugende Behandlung und Akutbehandlung der Migräne, die Therapie von chronischen Rückenschmerzen bis hin zu Patienten mit neuropathischen Schmerzen.

Am Beispiel der neuropathischen Schmerzen wird aber deutlich, dass die Komorbidität der Patienten auch bei der Betrachtung und der systematischen Nutzung von Erwartungseffekten eine besondere Rolle spielen sollte.

So sind – hier nur exemplarisch hervorgehoben – neuropathische Schmerzen unberechenbarer als andere Schmerzen. Die Patienten sind häufig ängstlicher, erleben häufiger Schlafstörungen, depressive Episoden und Einschränkungen ihrer Lebensqualität.

Eine solche Konstellation birgt ein besonders hohes Risiko, dass Patienten negative Erwartungen, Ängste und Sorgen entwickeln. Das sollte uns als Behandler bewusst sein. Nicht nur bei neuropathischen Schmerzen, sondern bei vielen insbesondere chronischen Erkrankungen. Daher bedürfen diese Patienten besonders viel kommunikativer Fürsorge und individuell zugeschnittener Informationen.

Erwartungen systematisch nutzen

Erwartungen entstehen auf vielfältige Weise und sind besonders durch Vorinformationen geprägt, die Patienten erhalten oder selbst machen: über Freunde, Mitpatienten, die Medien, das Internet, soziale Netzwerke oder aber durch Ärzte und medizinisches Personal. Auch das Beobachten von Therapieerfolg oder Misserfolg bei anderen Patienten kann die eigene Erwartung und auch das eigene Behandlungsergebnis beeinflussen.

Ebenso spielt der ganze Behandlungskontext eine Rolle: Wie sieht es aus in der Praxis? Wie werde ich begrüßt? Wie riecht es? Wie sieht die Behandlung aus? Wieviel merke ich davon? So haben zum Beispiel Injektionen höhere Placeboeffekte als Placebotabletten und ein Placebo mit Geschmack wirkt besser als eins ohne.

Und: Welche Erfahrungen habe ich in der Vergangenheit mit einer Behandlung oder einem Behandler gemacht? Auch solche Lernerfahrungen prägen unsere Erwartungen an zukünftige Therapien.

Die starke Kraft des Erwartungseffekts sollte in der Medizin stärker als bisher berücksichtigt werden. Denn sie kann nachweislich dazu beitragen, dass Medikamente und andere Therapien ihre volle Wirksamkeit entfalten.

Auch wenn es in diesem Feld noch viele spannende offene Forschungsfragen und Entwicklungsfelder gibt (siehe Kasten unten), haben die empirischen Befunde zu den Mechanismen und Effekten von positiver und negativer Behandlungserwartung unmittelbare und weitreichende Implikationen für den klinischen Alltag.

Diese sind schon jetzt umsetzbar sind und umsetzbar sein sollten (siehe Kasten unten). Dabei spielt die Kommunikation zwischen Behandlern und Patienten eine zentrale Rolle.

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.

Literatur

  1. Bingel U (2020). Placebo 2.0: the impact of expectations on analgesic treatment outcome. Pain, 161 Suppl 1, S48-56. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001981. PubMed
  2. Schedlowski M, Enck P, Rief W, & Bingel U (2015). Neuro-Bio-Behavioral Mechanisms of Placebo and Nocebo Responses: Implications for Clinical Trials and Clinical Practice. Pharmacological Reviews, 67(3), 697–730. (IF 25.5)
  3. Enck P, Bingel U, Schedlowski M, & Rief W (2013). The placebo response in medicine: minimize, maximize or personalize? Nature Reviews Drug Discovery, 12(3), 191–204. (IF 84.6)
  4. Hansen E, Zech N, Benson S (2020). Nocebo, informed consent and doctor-patient communication. Nervenarzt, 91(8): 691-699. doi: 10.1007/s00115-020-00963-4. PubMed
  5. Klinger R, Schwartz M, Bingel U (2020). Placebo effects in pain therapy. Nervenarzt 91(8): 700-707. doi: 10.1007/00115-020-00942-9.
  6. Bingel U, Placebo Competence Team (2014). Avoiding nocebo effects to optimize treatment outcome. Jama, 312(7): 693-694. doi: 10.1001/jama.2014.8342. PubMed
  7. Bingel U, Wanigasekera V, Wiech K, Ni Mhuircheartaigh R, Lee MC, Ploner M, et al. (2011). The effect of treatment expectation on drug efficacy: Imaging the analgesic benefit of the opioid remifentanil. Science Translational Medicine 3: 70ra14 (IF 18.0).
  8. Bingel U, Schedlowski M, Kessler H (2019). Placebo 2.0: Die Macht positiver Erwartung: Die Macht der Erwartung. Rüffer&Rub Sachbuchverlag
  9. Weitere Studien unter https://treatment-expectation.de/entdecken-mitmachen/aktuelles
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