Serie "Kinder- und Jugendvorsorge"Vorsorgeuntersuchungen U2 und U3

Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sollen zur Früherkennung von Krankheiten beitragen, welche die körperliche, geistige oder psychosoziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen beeinträchtigen können. Ebenso sind Hinweise auf Kindeswohlgefährdung durch Misshandlung oder Vernachlässigung relevante Untersuchungsinhalte.

Zu jeder Kinder- und Jugendvorsorgeuntersuchung gehört eine Ganzkörperuntersuchung und die Erhebung der Körpermaße.

In Deutschland werden Kinder und Jugendliche sowohl von Fachärztinnen und -ärzten für Pädiatrie, Allgemeinmedizin sowie Innere Medizin primärärztlich versorgt. Alle Berufsgruppen können und dürfen auch die Kinder- und Jugendvorsorgeuntersuchungen durchführen und abrechnen.

Jede Kinder- und Jugendvorsorgeuntersuchung enthält eine gründliche Ganzkörperuntersuchung sowie die Erhebung der Körpermaße mit Eintragen in das Somatogramm (Gewicht, Größe, bis zur U7 auch der Kopfumfang) (s. Kasten Apparative Ausstattung unten).

Ein Algorithmus erleichtert es, den Ablauf der Vorsorgeuntersuchungen zu strukturieren:

1. Vorbereitung durch die MFA

  • Größe, Gewicht, (Kopfumfang), ggf. Fragebögen, Prüfen des Untersuchungszeitraumes
  • Melden der Vorsorgeuntersuchung

2. Anamnese

  • Erfragen aktueller Probleme
  • Altersspezifische Anamnese
  • Familiengesundheit/Psychosoziale Situation

3. Untersuchung

  • Gesamteindruck und Beobachten der Interaktion
  • Untersuchung von Kopf bis Fuß
  • Prüfen von Fein- und Grobmotorik
  • Sprachentwicklungsbeurteilung

4. Beratung, Dokumentation, Folgetermine

  • Impfungen prüfen bzw. durchführen
  • Ggf. Überweisung bzw. außerordentliche Verlaufskontrollen

Außerdem enthalten die Kinderuntersuchungshefte (“Gelbes Heft”) neben einer Elterninformation zur jeweiligen Vorsorgeuntersuchung checklistenartige Dokumentationshilfen für Anamnese, Befund und Beratung, damit keine relevanten Befunde übersehen werden. Die Checklisten können Sie unter www.hausarzt.link/9W8js herunterladen.

U2

Die Kindervorsorgeuntersuchung U2 findet zwischen dem 2. und 11.Lebenstag meist noch in der Geburtsklinik statt. Mütter, die ambulant entbinden oder frühzeitig entlassen werden möchten, können einen Hausbesuch für die U2 anfordern oder für die Untersuchung in die Kinderarzt- oder Hausarztpraxis kommen.

Schwerpunkte dieser Untersuchung sind das Erkennen angeborener Fehlbildungen und Erkrankungen, sowie die ausführliche Beratung der jungen Eltern zu Ernährung (Stillen), zur Vitamin-K- und Rachitis-Prophylaxe und zu regionalen Unterstützungsangeboten.

Die Anamnese erfasst die Familienanamnese (Allergien, angeborene Herzfehler u.a.) und die Geburtsanamnese (z. B. Beckenendlage, perinatale Anpassungsstörung) und sollte auch das Erleben der Mutter bei Schwangerschaft und Geburt und ihre psychosoziale Situation berücksichtigen, um rechtzeitig mögliche Risikofaktoren für eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung zu erkennen.

Die körperliche Untersuchung beinhaltet die Beurteilung der Hautfarbe (Ikterus, Blässe), das Erkennen von Dysmorphiezeichen sowie bei der Auskultation des Herzens den Ausschluss von Herznebengeräuschen. Pathologische Befunde gehören zeitnah abgeklärt. Der Bauchnabel ist häufig bei der U2 noch nicht abgefallen. Hier muss auf Entzündungszeichen geachtet werden.

Die Untersuchung der Augen bezieht sich auf die Inspektion (Ptosis, Asymmetrie) und die Transillumination mittels Ophthalmoskop. Eine Trübung muss umgehend auf einen angeborenen Katarakt abgeklärt werden.

Falls das Stoffwechsel-Screening und das Screening auf Mukoviszidose noch nicht durchgeführt wurden, muss es bei der U2 gemacht werden. Ebenso muss die Pulsoxymetrie nachgeholt werden, falls noch nicht geschehen. Sie dient dem Ausschluss eines hämodynamisch wirksamen Herzvitiums.

Das Hörscreening, falls noch nicht in der Geburtsklinik durchgeführt, sollte bei der U2 veranlasst und das Kind in eine entsprechende HNO-Praxis oder -Abteilung überwiesen werden.

Die Hüftsonografie ist zu diesem Zeitpunkt nur bei vorliegenden Risikofaktoren erforderlich (familiäre Hüftdysplasie, Beckenendlage).

Die seltene angeborene Gallengangatresie sollte mittels der Stuhlfarbenkarte früher detektiert werden. Diese Stuhlfarbenkarte ist den neuen Vorsorgeheften beigelegt. Den Eltern wird erklärt, welche Stuhlfarbe (Entfärbung, lehmfarbener Stuhl) dringend abgeklärt werden muss, bis zur U4 sollte die Stuhlfarbe aktiv nachgefragt werden.

Bei der U2 und der U3 werden dem Säugling 2 Tropfen Konakion (Vitamin K) oral verabreicht, die der Prophylaxe von Gerinnungsstörungen durch Vitamin-K-Mangel und Verhindern von Hirn- oder Darmblutungen dienen.

Ein Rezept über Vitamin D mit Fluorid sollte ausgestellt und über die Rachitis- und Kariesprophylaxe aufgeklärt werden.

U3

Diese Vorsorgeuntersuchung findet in der 4.-5. Lebenswoche statt. Häufig stellt diese Untersuchung den ersten Kontakt der jungen Eltern zum Kinder- oder Allgemeinarzt dar. Man sollte sich hier Zeit für eine ausführliche Anamnese (Familienanamnese, Schwangerschaft und Geburt, sozialer Status, Erwerbstätigkeit) nehmen. Ebenso zeitintensiv kann manchmal die Beratung sein, wenn sich die ersten Wochen zu Hause mit einem Säugling für die Eltern als herausfordernder darstellen als vorher gedacht. Die Eintragungen im gelben Heft von U1 und U2 sollten erfasst werden.

Wichtigste Untersuchungsinhalte dieser Vorsorge sind erneut das Detektieren von bislang nicht erkannten angeborenen Fehlbildungen (Herzgeräusch) oder Erkrankungen (Stuhlfarbe) sowie die Beurteilung der bisherigen Entwicklung, insbesondere der Gewichtsentwicklung (erwünschte Gewichtszunahme 100-150g/Woche). Ebenso sollte die Interaktion zwischen Mutter/Eltern und Kind beurteilt werden: Rea-giert das Kind bei Ansprache oder nonverbaler Kommunikation durch die primäre Bezugsperson mit Hinwenden des Kopfes? Lässt es sich durch Wiegen oder Ansprache beruhigen? Ist die Bezugsperson in der Lage, adäquat auf die Stimmung des Kindes zu reagieren?

Bestehen Auffälligkeiten, sollte das Gespräch gesucht werden: Gibt es Zeichen von Überforderung insbesondere bei Säuglingen mit einem ausgeprägten Nähebedürfnis und vegetativ leichter Erregbarkeit (abendliche Schreiphasen)? Welche Angebote können der überforderten Familie zur Entlastung gemacht werden (Familienhebamme, Entlastung durch Aufklärung)?

Die körperliche Untersuchung erfasst zunächst den Gesamteindruck, die Interaktion mit den Bezugspersonen und die Spontanmotorik des Säuglings in Rückenlage. Die Mundhöhle wird inspiziert (insbesondere bei Fütterstörung Lippenbändchen beurteilen), die Fontanelle palpiert sowie die Kopfform beurteilt.

Bei passivem Drehen des Köpfchens können Blockierungen der HWS auch von Laien erkannt werden (Schulter dreht sich mit). Schädelasymmetrien erfordern eine ausführliche Beratung (Lagerungskissen, Anleitung zu Stimulation der nicht bevorzugten Haltung des Säuglings, Bauchlage, Trageberatung). Das Herz wird auskultiert, insbesondere ein Herzgeräusch in Kombination mit einer Gedeihstörung muss umgehend abgeklärt werden.

Das Abdomen wird insbesondere bezüglich des Nabels (Entzündung, Hernie) beurteilt. Häufig ist das Abdomen gebläht, so dass eine Palpation wenig Aussagekraft hat. Beim Genitale ist auf die Lage der Hoden und bei Mädchen auf das Vorliegen einer Labiensynechie zu achten.

Eine Hydrozele testis kann in der Regel beobachtet werden, Gewebe im Skrotum kann auch einer Leistenhernie entsprechen und sollte kinderchirurgisch beurteilt werden. Kleine Nabelhernien werden beobachtet und entwickeln sich in der überwiegenden Anzahl zurück.

Auffälligkeiten bei der Transillumination müssen als möglicher Hinweis auf Netzhauttumor, Linsentrübung oder ausgeprägten Strabismus ophtalmoskopisch abgeklärt werden. Unangenehme Untersuchungsschritte sollten ans Ende der Untersuchung gelegt werden.

Die Beurteilung der Entwicklung bezieht sich prinzipiell bei allen Kindervorsorgeuntersuchungen auf die Bereiche Grob- und Feinmotorik, Perzeption/Kognition, soziale/emotionale Kompetenz, in späteren Vorsorgen auch auf die Sprachentwicklung.

Von einem 5 Wochen alten Säugling werden folgende Entwicklungsschritte erwartet:

  • Grobmotorik: Kopf wird in schwebender Bauchlage für mindestens 3 Sekunden gehalten, Kopf wird in Rumpfebene und Rückenlage für 10 Sekunden in Mittelstellung gehalten.
  • Feinmotorik: Hände werden spontan geöffnet, insgesamt noch eher geschlossen.
  • Perzeption/Kognition: Folgt mit den Augen einem Gegenstand nach beiden Seiten bis mindestens 45 Grad.
  • Soziale/emotionale Kompetenz: Aufmerksames Schauen auf nahe Gesichter nächster Bindungspersonen.
  • Zusätzlich: Galant-Reflex (Biegung des Rückens bei paravertebralem Streichen), Greif-Reflex, Moro-Reflex und Babinski-Reflex.

Bei leichten Auffälligkeiten in der Beurteilung der Entwicklung ist es ratsam, kurzfristig einen Kontrolltermin zu vereinbaren. Die Entwicklung der Kinder verläuft nicht linear, sondern sehr individuell und häufig in Wellen. Zudem ist zu berücksichtigen, in welcher Verfassung sich der Säugling bei der Vorsorge befindet: sehr schläfrig, weil gerade satt getrunken, hungrig, aufgebracht und unruhig, weil er Umgebungswechsel oder das Ausziehen nicht mag. Bei eindeutigen Entwicklungsauffälligkeiten ist eine spezialisierte Diagnostik bei einem Neuropädiater, einem SPZ oder anderen Fachspezialisten angesagt.

Die Impfberatung ist wichtiger Bestandteil der Kindervorsorge U3. Die erste Impfung im Säuglingsalter ist die Impfung gegen Rotaviren, welche im Alter von 6 Wochen gegeben wird. Erste Aufklärungsblätter über diese und die anderen Impfungen im ersten Lebensjahr können ausgehändigt werden.

Im Alter von 4-6 Wochen soll das Hüftscreening stattfinden. Die wenigsten Hausärztinnen und Hausärzte werden das selbst machen, sodass die rechtzeitige Überweisung an einen Orthopäden oder eine kinderärztliche Praxis veranlasst werden soll. Auch bei dieser Vorsorgeuntersuchung werden noch einmal – letztmalig – 2 Tropfen Konakion verabreicht.

Inhalt der Beratung am Schluss der Untersuchung sind Stillen und Ernährung, bedürfnisgerechte Betreuung und Bindungsphase mit ggf. besonderer Beratung bei sogenannten “Schreibabys” und Informationen zu regionalen Hilfsangeboten. Der Beratungsumfang kann sehr unterschiedlich ausfallen und hängt stark von möglichen Unsicherheiten oder Kompetenzen und Vorkenntnissen der Eltern ab.

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