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KongressberichtMigräne – von hartnäckigen Klischees und neuen Erkenntnissen

Allen pathophysiologischen Erkenntnissen zum Trotz haben Migränepatienten immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen, die sich auch auf die Behandlung auswirken. Welche Trigger- und Einflussfaktoren auf die Migräne abhängig vom Geschlecht bestehen, diskutierten Experten auf dem Deutschen Schmerzkongress.

Laut einer Studie von 2019 glaubten 36 Prozent der Befragten, Migräne sei die Folge ungesunder Lebensführung.

“Migräne ist nur etwas für faule Frauen und solche, die keinen Sex wollen.” Diese Aussage von einem Arbeitgeber oder auch der Rat eines Arztes: “Lassen Sie sich die Brüste verkleinern, dann ist die Migräne vorbei”, stehen für die allgemeine Unkenntnis über die Erkrankung und die Stigmatisierung der Betroffenen.

Wie weit diese Vorurteile verbreitet sind, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019: Von knapp 10.000 Personen ohne Migräne fanden 31 Prozent, dass Migränebetroffene die Krankheit als Ausrede benutzen, um in der Schule oder am Arbeitsplatz zu fehlen, 45 Prozent waren der Meinung, die Migräne sei von den Erkrankten einfach zu behandeln und 36 Prozent glaubten, die Migräne sei eine Folge ungesunder Lebensführung – da Betroffene beispielsweise zu wenig trinken.

“Hören Migränepatienten diese Botschaften und Vorurteile immer wieder, internalisieren sie diese mit der Zeit”, erklärte Dipl.-Psych. Anna-Lena Guth aus Frankfurt am Main beim Deutschen Schmerzkongress. In der Folge glauben sie sie dann ein Stück weit selbst und leiden dadurch unter Scham, Schuldgefühlen und reduziertem Selbstwertgefühl.

Das wirkt sich auch auf die Behandlung aus – es wird seltener Hilfe aufgesucht und die Adhärenz zum Kopfschmerzmanagement nimmt ab.

Sexueller Minoritätenstress

Unter Minoritätenstress versteht man den erhöhten Stress, den Angehörige stigmatisierter sozialer Gruppen etwa aufgrund ihrer sexuellen Identität oder sexuellen Orientierung erfahren. Er umfasst sowohl die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung als auch die verinnerlichten negativen Einstellungen gegenüber der eigenen Gruppe.

“Dazu zählen auch Hürden im Alltag, wie zum Beispiel der Zugang zu Behandlung oder zu qualifizierten Behandlern”, erläuterte Guth. In einer Untersuchung fand sich eine signifikant erhöhe Prävalenz für Migräne (odds ratio, OR: 1,83) bei sexuellen Minderheiten gegenüber heterosexuellen Erwachsenen.

Bei Trans-Personen kommen die geschlechtsanpassenden Maßnahmen und auch die hormonelle Umstellung als weitere Stressfaktoren hinzu. Insgesamt besteht bei sexuellen Minderheiten eine hohe Prävalenz für komorbide Erkrankungen.

Migräne und psychische Komorbiditäten

“Je ausgeprägter die Migräneschmerzen, desto wahrscheinlicher wird eine psychische Komorbidität”, erklärte Guth. Umgekehrt ist die Komorbidität ein Risikofaktor für einen schwereren Verlauf der Migräne und unbehandelte psychische Störungen erhöhen das Risiko für eine Chronifizierung der Kopfschmerzsymptomatik.

Als häufigste Komorbiditäten gelten die Depression (OR: 2,2-4,0), die generalisierte Angststörung (OR: 4,1-5,5) sowie die Panikstörung (OR: 3,0-10,4).

Auch die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) findet sich bei Migränepatienten deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung (Prävalenz: 14-25 Prozent versus 1-12 Prozent). Auffällig ist hier der Geschlechterunterschied: Die Prävalenz von Migräne und PTBS ist bei Frauen höher – vermutlich aufgrund interpersoneller Traumata (häufig Missbrauch).

Allerdings haben männliche Migränepatienten eine höhere OR für PTBS als weibliche Migränepatienten. Eine psychosoziale Erklärung für diese scheinbar widersprüchliche Beobachtung ist die Art und der Zeitpunkt der Traumatisierung.

“Aus der Traumaforschung wissen wir, dass Traumatisierungen, die vor dem 13. Lebensjahr stattfinden, häufig zur Entwicklung einer Depression führen, während später erfolgte Traumatisierungen eher mit der Entwicklung einer PTBS assoziiert sind.” Die bei Frauen häufigen Missbrauchserfahrungen geschehen meist im Alter von unter 13 Jahren, Männer dagegen erleiden Traumata (z.B. Verkehrsunfälle, Kriegserlebnisse) oft in späteren Lebensjahren.

Kopfschmerztrigger: sinkende Östrogenspiegel

Die Migräne-Inzidenz korreliert bei Frauen mit den Sexualhormonen und verändert sich daher in Abhängigkeit von der Zyklus- beziehungsweise Lebensphase, in der sie sich befindet. Beispielsweise leiden Frauen aufgrund des starken Östrogenabfalls in der perimenstruellen Phase, doppelt so häufig an Migräneattacken.

Auch am Ende der Schwangerschaft sowie zu Beginn der Menopause, wenn die Östrogenspiegel stark schwanken, ist die Migräne-Inzidenz erhöht. Denn Östrogen moduliert unter anderem die Erregbarkeit und Sensibilisierung des CGRP-Signalwegs, der eine wichtige Rolle bei der Migräne-Pathophysiologie spielt.

Für die Praxis bedeutet dies, dass man die Beschwerden der menstruationsbedingten Migräne mit einer hormonellen Kontrazeption deutlich verringern kann.

Zu bedenken ist dabei jedoch, dass Östrogen das Schlaganfallrisiko dosisabhängig erhöht. In engem Austausch mit dem behandelnden Gynäkologen lässt sich für diese Frauen meist eine Lösung finden, etwa in Form eines östrogenfreien Kontrazeptivums.

Quelle: Deutscher Schmerzkongress in Mannheim und online.

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