Vertragsärztinnen und Vertragsärzte müssen künftig Bempedoinsäure als weitere Therapiestufe im Behandlungsschema zur LDL-C-Senkung berücksichtigen. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit der Änderung der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie beschlossen, die am 28. Februar in Kraft getreten ist (siehe Kasten unten) [1].
Leitlinien definieren den medizinischen Standard
Für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte kann ein Spannungsfeld zwischen den Therapiezielen in medizinischen Leitlinien und den Verordnungsvorgaben des G-BA zur Wirtschaftlichkeit der Behandlung entstehen.
Denn als wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Behandlungsempfehlungen stellen Leitlinien in der Regel den allgemein anerkannten medizinischen Standard nach Paragraf 630a Abs. 2 BGB dar, den die durchschnittlich qualifizierte, erfahrene Fachärztin oder der Facharzt des jeweiligen Fachgebietes in der Behandlung schuldet.
Dies gilt medizinisch und haftungsrechtlich grundsätzlich unabhängig von Versicherungsart (gesetzlich oder privat) und Wirtschaftlichkeitsgebot (Paragraf 12 Abs. 1 SGB V) [2].
Merke: Zivilrechtlich liegt laut Bundesgerichtshof ein Behandlungsfehler “bereits dann vor, wenn das Unterbleiben (Anm.: oder Tun) der Maßnahme dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwider lief […]” [3].
Im Fall der Lipidtherapie ist es relevant, welche Leitlinie Ärztinnen und Ärzte der Therapie im Einzelfall zugrunde legen. So definiert die Europäische Kardiologische Gesellschaft (ESC/EAS) seit 2019 und die DGFF aktuell sehr niedrige LDL-Zielwerte [4].
Daneben können Ärztinnen und Ärzte in vielen Fällen die Nationale Versorgungsleitlinie Chronische KHK heranziehen, die dem Niveau einer S3-Leitlinie entspricht. Darin wird der ESC-Zielwertstrategie die “Strategie der festen Dosis” mit einem (hochdosierten) Statin der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) gegenübergestellt [5].
G-BA-Vorgaben sind rechtsverbindlich
Neben der medizinischen Perspektive sind die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte jedoch an die Verordnungsvorgaben des G-BA rechtlich gebunden. Denn Paragraf 92 SGB V ermächtigt den G-BA dazu, untergesetzliche Rechtsnormen für die vertragsärztliche Versorgung verbindlich zu regeln.
Diese sind für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Krankenkassen und Versicherte rechtsverbindlich. In der stationären Versorgung sind diese im Rahmen des Entlassmanagements relevant, um eine wirtschaftliche Folgeverordnung zu gewährleisten.
Merke: Die Arzneimittel-Richtlinie legt rechtsverbindlich die medizinisch notwendige und wirtschaftliche Verordnungsweise in der vertragsärztlichen Versorgung fest. Der G-BA kann die Verschreibung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn Unzweckmäßigkeit erwiesen ist oder andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeiten mit vergleichbarem diagnostischem oder therapeutischem Nutzen verfügbar sind.
Arzneimittel werden daher erstattet, soweit keine Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse nach der Arzneimittel-Richtlinie Anlage III bestehen. Daher ist es für die Versordnungssicherheit der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte wichtig, die neuen Regelungen in Nrn. 35a-c zu beachten (siehe Kasten unten).
Fazit für die vertragsärztliche Praxis
Aus dem G-BA-Beschluss leitet sich daher folgendes Schema für die Eskalation der Lipidtherapie bei der Behandlung gesetzlich versicherter Patientinnen und Patienten ab:
- gesunder Lebensstil
- Statin
- Statin + Ezetimib
- Statin + Ezetimib + Bempedoinsäure
- Statin + Ezetimib +/- Bempedoinsäure + PCSK9-Hemmer
- Apherese + Statin + Ezetimib +/- Bempedoinsäure +/- PCSK9-Hemmer
Um als Vertragsärztin oder Vertragsarzt medizinisch adäquat, haftungsrechtlich sicher und ökonomisch möglichst unangreifbar zu verordnen, ist darüber hinaus zur leitliniengerechten und indikationsbezogenen Lipidtherapie zu beachten:
- Beachtung der Verordnungsvorgaben in Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie (Stufentherapie, siehe Aufzählung oben)
- Dokumentierter Versuch über mindestens 12 Monate den LDL-C-Zielwert zu erreichen
- Sinkt der LDL-C-Zielwert mittels Statin oder Statinen und Ezetimib nicht, haben Hausärzte oder Fachärzte für Innere Medizin zunächst Bempedoinsäure als ACL-Hemmer zu verordnen, bevor ein PCSK9-Präparat beim Fachinternisten zum Einsatz kommen kann.
- Evolocumab, Alirocumab und Inclisiran dürfen nur fachärztlich tätige Internisten mit dem entsprechenden Schwerpunkt gemäß Arzneimittelrichtlinie Anlage III Nrn. 35a-c verschreiben und die Therapie überwachen.
- Es sind die kostengünstigen Präparate (Rabattverträge) zu beachten entsprechend der jeweiligen Arzneimittel-Vereinbarung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung.
Quellen:
1. www.g-ba.de/beschluesse/5774/ (abgerufen am 17.10.2023)
2. Lafontaine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB Band 2, 9.Aufl. §630a BGB (Stand: 07.11.2022), Rn 205 ff.
3. BGH, Beschluss vom 22.12.2015, Az. VI ZR 67/15
4. www.lipid-liga.de/Empfehlungen, Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Fettstoffwechselstörungen (abgerufen am 17.10.2023)
5. Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK, Version 6.0. 2022. doi: 10.6101/AZQ/000491
6. Nrn. 35a – 35c Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie des G-BA, in Kraft seit 28.02.2023 (abgerufen am 17.10.2023)