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Der FallWelche Lipidtherapie bei KHK?

Eine 83-Jährige wird nach einem Myokardinfarkt mit einem Hochdosis-Statin aus der Klinik entlassen. Wie gehen Sie vor?

Die Patientin hat einen Myokardinfarkt überstanden und wurde mit einem Stent versorgt (Symbolbild).

Das sagt der Hausarzt

von Dr. med. Günther Egidi, Facharzt für Allgemeinmedizin, Bremen

Ein Blick in die Fachinformation [1] zeigt Ihnen: Atorvastatin ist ebenso wenig wie Rosuvastatin für die kardiovaskuläre Sekundärprävention zugelassen! Sie müssten Frau L. schriftlich über einen Off-Label-Gebrauch informieren – und könnten im Fall des Falles für mögliche Schäden durch die Einnahme haftbar gemacht werden.

Sie erinnern sich: Erst kürzlich hat die renommierte und industrieunabhängige Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) einen Leitfaden zur medikamentösen Cholesterinsenkung [2] veröffentlicht.

Um Zeit zu gewinnen, verordnen Sie Frau L. zunächst als Kompromiss eine N3-Packung Atorvastatin 80 mg. Sie wollen auch mögliche Konflikte mit der kardiologischen Reha-Einrichtung vermeiden, in die Frau L. in einer Woche gehen wird.

In der Zwischenzeit finden Sie im AkdÄ-Leitfaden folgende Informationen:

  • Im Vergleich zur besser untersuchten – und auch zugelassenen – moderaten Simvastatin-Dosis 40 mg verbessert eine Hochdosis Atorvastatin die Lebenserwartung überhaupt nicht – auch die kardiovaskuläre Sterblichkeit wird nicht beeinflusst.
  • Nicht tödliche Herzinfarkte treten pro Jahr unter der höheren Statin-Dosis um 0,2 Prozent jährlich seltener auf – 500 Personen müssten eine Statin-Hochdosis statt 40 mg Simvastatin einnehmen, um einen Herzinfarkt zu verhüten.
  • Der Nutzen zur Prävention von Schlaganfällen ist noch geringer: Senkung der Insult-Rate um 0,1 Prozent pro Jahr – 1.000 Personen müssten die hohe Dosis einnehmen, um einen Schlaganfall zu verhüten.
  • Um 1 Prozent häufiger kommt es zu Muskelschmerzen durch die Statin-Einnahme, in 0,8 Prozent häufiger zum Auftreten eines Diabetes und um 0,9 Prozent häufiger zu Leberfunktionsstörungen. Die Rate an Nebenwirkungen bezieht sich auf alle Patientinnen und Patienten – aber Frau L. ist schon 83 Jahre alt.

Als sie aus der Reha entlassen wird, präsentieren Sie ihr all die genannten Zahlen. Gemeinsam entscheiden Sie sich: Sie bevorzugen ein Statin mit einer zwar geringfügig schwächeren Schutzwirkung vor neuen Herzinfarkten, aber einem niedrigeren Risiko der Kumulation, wenn Frau L. in den heißen Sommermonaten einmal nicht genug trinkt (und die Gefahr von Rhabdomyolyse und akutem Nierenversagen drohen würde).

Quellen:

1. www.fachinfo.de

2. AkdÄ, 2023. Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse. 1. Auflage, Version 2.0.

Interessenkonflikte: Dr. Günther Egidi ist DEGAM-Mitglied und Mitautor von Leitlinien (DEGAM, AkdÄ, NVL). Er erklärt, dass darüber hinaus keine Interessenkonflikte bestehen.

Das sagt der Kardiologe

von Prof. Dr. med. Ulrich Laufs, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Leipzig

Es handelt sich bei Frau L. um eine voll mobile Patientin mit quirligen Enkeln, sodass der Wunsch nach einer optimalen Prävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen besteht. Sie hat erfreulicherweise ihren Herzinfarkt überlebt und nachfolgend ein sehr hohes Risiko für weitere kardiovaskuläre Komplikationen.

Cholesterin ist kausal für die zugrunde liegende Atherosklerose. Ich würde mit ihr die Effekte einer Lipidsenkung besprechen, welche ihr relatives Herzinfarkt-Risiko um circa 25 Prozent pro 1 mmol/l (~40 mg/dl) Senkung des LDL-Cholesterins pro Therapie-Jahr reduziert. Dies gilt unabhängig vom Lebensalter und dauerhaft.

Aufgrund der höheren Ereignisrate ist die absolute Risikoreduktion bei älteren Hochrisiko-Patienten pro Jahr sogar deutlich höher als bei Jüngeren. [1] Auf dem Boden einer sehr breiten Studienevidenz empfehlen die kardiologischen Leitlinien für Frau L. eine Senkung auf < 1,4 mmol/l (55 mg/dl). [2]

Zusätzlich zu Lebensstilfaktoren kommen im ersten Schritt die langwirksamen und exzellent verträglichen Statine Atorvastatin oder Rosuvastatin zum Einsatz. Simvastatin ist dagegen als Erstverschreibung obsolet, da es ein höheres Interaktionspotenzial aufweist, weniger wirksam und nicht preiswerter ist.

Bei großem Abstand des Ausgangs-LDL vom Ziel und/oder bei sehr hohem Risiko (wie bei Frau L.) werden primär die Kombinationen aus Atorvastatin oder Rosuvastatin mit Ezetimib eingesetzt. [2] Die Verschreibung soll zur Reduktion der Anzahl der Tabletten als Kombinationspräparat erfolgen. Diese Kombinationen stehen in großer Auswahl generisch zur Verfügung und sind nicht teurer als eine Verschreibung der Einzelsubstanzen.

Beim beschriebenen Fall fehlt die entscheidende Information des LDL-Cholesterins; vermutlich ist für Frau L. ein Kombinationspräparat aus Atorvastatin 40 mg plus Ezetimib 10 mg ein sinnvoller Start. Bei unzureichender LDL-Cholesterin-Senkung unter dieser Tablette steht mit der Bempedoinsäure ein dritter oraler Wirkstoff zur Verfügung.

Bei großem Abstand vom LDL-Cholesterin-Ziel kommen in der nächsten Steigerung die PCSK9-Hemmer infrage, die aufgrund ihres Wirkprinzips für ältere Patienten noch besser verträglich sind als die oralen Therapien.

Literatur:

1. doi: 10.1007/s00059-023-05191-5

2. doi: 10.3238/arztebl.m2023.0150

Interessenkonflikte: Prof. Ulrich Laufs ist Mitglied im Vorstand der DGK und Mitautor von DGK/ESC-Leitlinien. Er hat innerhalb der letzten 5 Jahre Vortragshonorare von Amgen, DaiichiSankyo, Novartis und Sanofi erhalten.

Das sagt die Evidenzbasierte Medizin

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband betrachtet die unabhängigen Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) als vorrangig gültig für die Versorgung von Patientinnen und Patienten.

In der NVL “Chronische KHK” [1] heißt es allgemein, dass “allen Patienten mit KHK unabhängig vom Ausgangswert der Blutfettwerte zur Reduktion der Morbidität und der Sterblichkeit dauerhaft ein Statin als Mittel der ersten Wahl empfohlen werden soll”.

Zur Lipidsenkung nennt die NVL zwei verschiedene Strategien. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) empfiehlt dabei die “Strategie der festen Dosis” und weist darauf hin, dass diese sich am ehesten mit der Studienevidenz begründen lässt. Diese Strategie orientiert sich an der in Studien nachgewiesenen Risikoreduktion.

Der Patient erhält nach Einschätzung des individuellen Gesamtrisikos eine feste Statindosis; weitere Lipidbestimmungen oder Anpassungen erfolgen nicht. Andere Lipidsenker sind nur bei teilweiser oder vollständiger Statin-Unverträglichkeit zu erwägen.

Zu den Vorteilen dieser Strategie zählen die einfache, praktikable und mit geringem Aufwand verbundene klinische Umsetzung sowie das Vermeiden nicht ausreichend evaluierter Medikamente. Des Weiteren heißt es laut Strategie der festen Dosis, dass bei Patienten mit KHK in der Regel eine feste Hochdosisgabe von Statinen sinnvoll ist, sofern keine Kontraindikationen bestehen.

Diesbezüglich geht die NVL auch auf das erhöhte Risiko für das Auftreten von Transaminasenanstiegen und Neudiagnosen von Diabetes mellitus unter Hochdosis-Therapie ein. Dazu heißt es: “Aus Sicht der DEGAM und der ACC/AHA 2013 werden diese Nachteile einer Hochdosis-Therapie bei bekannter KHK weitaus überwogen durch die erreichbare Reduktion von Re-Infarkten.”

Ezetimib und PCSK9-Inhibitoren können Patienten mit KHK angeboten werden, wenn diese keine Hochdosis-Statintherapie tolerieren. Die AkdÄ hält in einem Sondervotum fest, dass PCSK9-Inhibitoren bei Patienten mit KHK nicht routinemäßig eingesetzt werden sollten (außer zur Vermeidung einer Lipid-Apherese).

Die zweite Strategie zur Lipidsenkung, die unter anderem von der European Society of Cardiology (ESC) vertreten wird, ist die Zielwert-Strategie. Laut dieser Strategie vermindert sich das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit KHK umso stärker, je ausgeprägter die Cholesterinsenkung ausfällt.

Demnach “soll das LDL-Cholesterin auf < 70 mg/dl (< 1,8 mmol/l) bzw. um > 50 % gesenkt werden, falls der LDL-Cholesterin- Ausgangswert im Bereich 70-135 mg/dl (1,8-3,5 mmol/l) liegt”. Sinkt das LDL-Cholesterin nicht in gewünschtem Maß oder gibt es Unverträglichkeiten, empfiehlt die Zielwert-Strategie “individuell eine modifizierte Statindosis, den Wechsel auf ein anderes Statin oder die Kombination mit anderen lipidsenkenden Maßnahmen” in Erwägung zu ziehen.

Laut AkdÄ-Leitfaden [2] ist aber nicht belegt, dass eine zielwertgesteuerte Statintherapie wirksamer ist als eine feste Statindosis. Außerdem betont die AkdÄ, dass sich die Sterblichkeit bei Patienten mit manifester KHK nicht zwischen einer Hochdosis-Therapie und einer moderaten Statindosis unterscheidet.

Eine Steigerung der Statindosis senke das Risiko für nichttödliche Myokardinfarkte geringfügig; diesem Nutzen stehe ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen gegenüber. Aus Sicht der AkdÄ sind Nutzen und Risiken einer Hochdosis-Therapie daher gemeinsam mit den Patienten individuell abzuwägen.

Sie weist außerdem darauf hin, dass ein Nutzen der Hochdosis-Therapie mit Statinen nur bei manifester KHK ohne begleitende Herzinsuffizienz oder fortgeschrittene Nierenfunktionsstörung gesichert sei; für andere kardiovaskuläre Erkrankungen lägen keine Daten aus randomisierten Studien für eine Steigerung der Statindosis vor.

Zu der Kombination von Statinen mit Ezetimib schreibt die AkdÄ: “Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom senkte Ezetimib, zusätzlich zu einer moderaten Statindosis gegeben, die Häufigkeit von nichttödlichen Herzinfarkten. Der Effekt war jedoch gering.” Am ehesten und deutlichsten profitierten demnach Menschen ab 75 Jahre und Personen mit Diabetes; die Sterblichkeit wurde nicht beeinflusst.

Laut AkdÄ-Leitfaden liegen keine Daten dazu vor, ob Patienten mit einer Statinhochdosis von einer zusätzlichen Ezetimib-Gabe profitieren. Auch für die Gabe von Bempedoinsäure zusätzlich zu einer moderat- bis hochdosierten Statintherapie oder zusätzlich zu Ezetimib lägen nicht genug Studiendaten vor; zudem fehlten Daten, um die Wirksamkeit von PCSK9-Hemmern bei Statinintoleranz oder bei einer vorbestehenden Kombinationstherapie aus Ezetimib und Statinen zu beurteilen.

Quellen:

1. NVL “Chronische KHK”, Version 6

2. AkdÄ, 2023. Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse. 1. Auflage, Version 2.0.

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