"Zweiter Berliner Patient"Weiterer Mensch gilt als von HIV geheilt

Weltweit gelten nur wenige Menschen als von HIV geheilt, in Deutschland waren es bisher zwei Patienten. Nun berichten Forscher von einem dritten, der sie selbst überraschte.

Kolorierte elektronenmikroskopische Aufnahme einer T-Zelle, die von HI-Viruspartikeln (gelb) infiziert worden ist.

Berlin. Ein weiterer HIV-Patient ist nach Angaben der Berliner Charité geheilt worden. Bei dem als “zweiten Berliner Patienten” bezeichneten Mann sei trotz abgesetzter antiviraler Therapie seit mehr als fünf Jahren kein HI-Virus mehr nachweisbar, teilten die beteiligten Forscher mit. Damit sei er als dritter Mensch in Deutschland und – je nach Zählweise – als sechster oder siebter Mensch weltweit als geheilt anzusehen.

Der bisher als “Berliner Patient” bekannte Timothy Brown war der erste Mensch, der vor mehr als 15 Jahren vom HI-Virus geheilt wurde.  Der nun vorgestellte “zweite Berliner Patient”, ein heute 60-Jähriger, wurde nach Angaben der Charité 2009 positiv auf HIV getestet. 2015 wurde bei ihm außerdem eine akute myeloische Leukämie (AML) festgestellt. Zusätzlich zu einer Chemotherapie war bei ihm auch eine Stammzellentransplantation nötig.

Dem Patienten wurden Stammzellen einer gesunden Spenderin übertragen. Das Besondere an diesem Fall sei die Behandlungsmethode, sagte Professor Christian Gaebler, Arbeitsgruppenleiter an der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité.

Natürliche Immunität gegen HIV

Das HI-Virus infiziert Immunzellen des Körpers bekanntlich über die Bindung an CCR5-Rezeptoren. Etwa ein Prozent der europäisch-stämmigen Bevölkerung ist nach Angaben der Charité homozygoter Träger für eine bestimmte Mutation dieser CCR5-Rezeptoren, die sogenannte Delta-32-Mutation. Diese verhindert das Eindringen des HI-Virus – Betroffene gelten als natürlicherweise immun gegen HIV.

Beim ersten als von HIV geheilt geltenden “Berliner Patienten” war es gelungen, einen Stammzellenspender zu finden, dessen Gewebeeigenschaften zum Empfänger passten und der die immunitätsstiftende Mutation homozygot in seinem Erbgut trug. Durch die Stammzellenspende wurde sein Immunsystem inklusive der schützenden Mutation übertragen. Weltweit wurden bisher vier weitere Personen auf diese Weise behandelt und gelten als geheilt.

Beim “zweiten Berliner Patienten” gab es nun einen etwas anderen Ansatz: „Weil es für die Stammzellspende leider keine geeignete HIV-immune Person gab, haben wir eine Spenderin ausfindig gemacht, die auf ihren Zellen neben der normalen Version des CCR5-Rezeptors zusätzlich auch die mutierte Version der Andockstelle trägt“, erklärt Professor Olaf Penack, Oberarzt an der behandelnden Klinik, in einer Mitteilung der Charité. „Das ist der Fall, wenn ein Mensch die Delta-32-Mutation nur von einem Elternteil vererbt bekommt (Anm. d. Red. und die Mutation heterozygot in seinem Erbgut trägt). Das Vorhandensein beider Rezeptor-Versionen verleiht allerdings keine Immunität gegen das HI-Virus.“

Seit 2018 kein Hinweis auf erneute Virusvermehrung

Nach der Stammzellspende bekam der Patient auch eine sogenannte antiretrovirale Therapie gegen das Virus. Diese verhindert die weitere Produktion des Virus, hat aber keinen Einfluss auf bereits bestehende Virusreservoirs, die sich nach der Infektion gebildet haben. “Diese Virusverstecke sind die größte Hürde in der HIV-Heilungsforschung”, sagte Gaebler.

Der Patient setzte die antivirale Therapie 2018 aus eigener Entscheidung ab. Er sei schon lange der Überzeugung gewesen, geheilt zu sein, berichteten die Forscherinnen und Forscher. Seitdem gebe es keinen Hinweis auf eine erneute Virusvermehrung. Gaebler: “Wir waren alle sehr erstaunt und erfreut.”

Der zweite Berliner Patient beweist, dass eine HIV-Heilung trotz funktionierender Andockstelle für das Virus möglich ist. „Das bedeutet, dass die Heilung wohl nicht auf die genetische CCR5-Ausstattung der Stammzellspenderin zurückzuführen ist, sondern darauf, dass die transplantierten Immunzellen der Spenderin alle HIV-infizierten Zellen des Patienten beseitigt haben“, erklärt Christian Gaebler in der Charité-Mitteilung. „Mit dem Austausch des Immunsystems haben wir offenbar alle Virus-Verstecke zunichte gemacht, sodass das HI-Virus die gespendeten, neuen Immunzellen nicht mehr infizieren konnte.“

Die Gründe für den Erfolg sind noch unklar

Warum die Stammzelltransplantation in diesem Fall zu einer Heilung geführt hat, während das Virus sich bei vergleichbaren Fällen wieder vermehrte, ist noch unklar. „Möglicherweise hat die Geschwindigkeit einen Einfluss, mit der das neue Immunsystem das alte ersetzt“, erklärt Gaebler. „Beim zweiten Berliner Patienten war dies mit unter 30 Tagen vergleichsweise schnell abgeschlossen. Vielleicht verfügt aber auch das Immunsystem der Spenderin über besondere Eigenschaften, wie beispielsweise besonders aktive natürliche Killerzellen, die dafür sorgen, dass schon eine geringe HIV-Aktivität erkannt und beseitigt wird.“

Weltweit leben geschätzt rund 39 Millionen Menschen mit HIV-Infektionen. Heilungen sind sehr selten. Zählt man auch einen Fall mit, bei dem die Nachbeobachtungszeit erst verhältnismäßig kurz ist, gelten weltweit derzeit sieben Menschen als von HIV geheilt.

dpa/red

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