Langwirksame Arzneien im Kommen
Ein Therapie-Fokus liegt momentan auf der Anwendung langwirksamer HIV-Medikamenten (Long Acting (LA)-Therapie). Diese Innovation spiegelt nicht nur den Wunsch vieler Patienten, auch die Adhärenz könnte sich dadurch deutlich verbessern.
Dass das Konzept aufgeht, zeigt z.B. die LATITUDE-Studie, die 434 Patienten mit Virämie bzw. mangelnder Adhärenz einschloss. Im Rahmen eines Versorgungsprogramms verringerte man zunächst die Viruslast unter die Nachweisgrenze, anschließend erhielten die Patienten randomisiert entweder Cabotegravir/Rilpivirin (CAB/RPV) als i.m.-Injektion alle vier Wochen oder weiterhin die tägliche orale Standardtherapie. Der primäre Endpunkt war Regimeversagen – eine Kombination aus Therapieabbruch und virologischem Versagen.
Da sich die Long-Acting-Therapie als deutlich überlegen erwies (Regime-Versagen 24 Prozent vs. 38 Prozent, virologisches Versagen 7 Prozent vs. 25 Prozent, permanenter Therapieabbruch 21 Prozent vs. 25 Prozent) wurde die Studie vorzeitig abgebrochen und allen Patienten angeboten, auf CAB/RPV-LA zu wechseln.
Trotz der teils schwierigen Lebensumstände (z.B. Substanz- und Alkoholkonsum, instabile Wohnverhältnisse) war die Adhärenz zur Spritzentherapie sehr gut, jeweils nur drei Prozent hielten den Termin nicht ein oder kamen gar nicht mehr.
Ein weiterer Ansatz, der sich in Zukunft durchsetzen könnte, ist die einmal wöchentliche Tabletteneinnahme – hier zeigte die Kombination aus dem Kapsid-Inhibitor Lenacapavir (LEN) und Islatravir (ISL), einem neuartigen nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Translokations-Inhibitor (NRTTI), vielversprechende Ergebnisse: Zu Woche 24 waren unter diesem Regime genauso viele Patienten virologisch supprimiert (94,2 Prozent) wie unter einmal täglich Bictegravir/Emtricitabine/Tenofovir Alafenamide (BIC/FTC/TAF). (Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn)
Das Stigma bleibt
Menschen mit HIV leiden nach wie vor unter Stigmatisierung – sowohl unter Fremdstigmatisierung als auch unter Selbststigmatisierung. Zur Selbststigmatisierung kommt es, wenn die Betroffenen die Fremdstigmatisierung verinnerlichen, wodurch negative Selbstbilder, Scham- und Schuldgefühle entstehen.
Diese Form der Stigmatisierung lässt sich häufig erkennen, wenn man nach der Art des Coming-outs fragt – war es mit Ablehnungserfahrungen verbunden oder hat der Betroffene gleich ganz darauf verzichtet, um der Fremdstigmatisierung zu entgehen?
Zu den konkreten Folgen der Stigmatisierung zählt eine schlechtere medizinische Versorgung, denn die Betroffenen scheuen sich oft, zum HIV-Test zu gehen. Die Fremdstigmatisierung ist wohl auch der Grund dafür, dass die neuen langwirksamen HIV-Medikamente für viele Menschen eine Erleichterung darstellen, denn dieses Regime ist viel unauffälliger, als die tägliche Tabletteneinnahme. (Steffen Heger, Köln)
Update: Atemwegsviren
In der Saison 2023/2024 wurden deutlich mehr Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) gemeldet als in den Vorjahren. An RSV erkranken neben den Kindern insbesondere Ältere (>60 Jahre) mit zusätzlichen Komorbiditäten wie etwa chronischer Lungenerkrankung oder Diabetes.
Da die Mortalität dieser Patientengruppe erhöht ist, empfiehlt die STIKO die Impfung ab 60 Jahren. Allerdings gibt es auch jüngere, gefährdete Menschen für die bisher erst verschiedene Fachgesellschaften die Impfung empfehlen, eine Stellungnahme der STIKO wird im Sommer erwartet.
Ein neuer Player ist das humane Metapneumovirus (hMPV), das eng mit RSV verwandt ist und ähnliche Symptome verursacht. Weltweit ist hMPV der vierthäufigste Erreger von Atemwegsinfektionen.
Betroffen sind vor allem Kinder bis vier Jahre, jedoch auch Hochbetagte sowie immunsupprimierte Patienten. Hier kann sich die banale Atemwegsinfektion innerhalb einer Woche zu einer ausgeprägten Pneumonie entwickeln. Ein zugelassener Impfstoff ist noch nicht verfügbar; in der Entwicklung sind z.B. ein mit RSV kombinierter hMPV-Impfstoff sowie m-RNA-Kombinationsimpfstoffe. (Priv.-Doz. Dr. Ulrich Seybold, München)
Leicht steigende HIV-Neuinfektionen
Homosexuelle Männer (MSM; Männer, die Sex mit Männern haben) bilden nach wie vor die größte Gruppe der HIV-Neuinfektionen, gefolgt von Heterosexuellen und Menschen mit intravenösem Drogengebrauch. Dabei zeigte sich 2022 in der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ein geringer Anstieg an Neuinfektionen.
“Das erinnert uns daran, dass wir unsere erfolgreichen Bemühungen nicht verringern dürfen”, betonte Prof. Jürgen Rockstroh und verwies darauf, dass viele Menschen nichts von ihrer Infektion wissen.
Wie erfolgreich die moderne HIV-Therapie ist, belegt eine Studie: Der Anteil der Personenzeit mit viraler Suppression (Viruslast <50 Kopien/ml) stieg von 22,2 Prozent im Jahr 1999 auf 92,3 Prozent im Jahr 2018. Eine Viruslast von <200 Kopien/ml erreichten 2018 sogar 95,6 Prozent. (Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn)
Doxycyclin-Postexpositionsprophylaxe (PEP)
Ein Thema, das viele Behandler sehr beschäftigt, ist die Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin (Doxy-PEP). Hintergrund ist, dass insbesondere unter MSM die Syphilis und andere sexuell übertragbare Infektionen (STI) ansteigen.
In der US-amerikanischen Doxy-PEP-Studie verringerte die prophylaktische Anwendung von Doxycyclin nach dem (ungeschützten) Geschlechtsverkehr die Wahrscheinlichkeit einer ersten STI mit Chlamydien und Syphilis um 80 Prozent und die mit Gonokokken um 50 Prozent.
Der Rückgang der STI-Inzidenz blieb in der offenen Verlängerungsphase der Studie bestehen, obwohl die Zahl der Sexualpartner und die sexuellen Kontakte ohne Kondom zunahmen. Der Erfolg der Doxy-PEP bei Gonokokken lässt sich aufgrund weltweit unterschiedlicher Muster an Tetrazyklin-Resistenz noch nicht abschließend beurteilen. (Priv.-Doz. Dr. Carolynne Schwarze-Zander, Bonn)