Leipzig. Die Bundesärztekammer (BÄK) unter Benehmen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat beschlossen, die Arbeit des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) einzustellen. Das berichtete Dr. Sandra Blumenthal, Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg, am Samstag (13.4.) bei der Frühjahrstagung des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes in Leipzig.
„Mit Auflösung des ÄZQ ist das NVL-Programm massiv gefährdet!“, betonte Blumenthal. Die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) sind aber essenziell, um die hausärztliche Rolle innerhalb der Versorgung und auch eine evidenzbasierte Medizin zu stärken, empörten sich zahlreiche Rednerinnen und Redner in der hitzigen Diskussion. Die NVL bilden vielfach einen wichtigen Gegenpol zu den gebietsfachärztlichen Leitlinien und sind damit eine zentrale Säule von Hausärztinnen und Hausärzten insbesondere in der Therapie von Menschen mit chronischen Erkrankungen.
Fortsetzung der NVL noch ungewiss
Ob oder wie genau die NVL fortgeführt werden sollen, war am Samstag noch nicht klar. Die Delegierte und Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung Dr. Petra Reis-Berkowicz brachte zu den Hintergründen ein wenig Licht ins Dunkel:
Nach Informationen von Dr. Stephan Hofmeister, hausärztlicher Vorstand der KBV, sollen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) für ein neues Institut der Anlass sein, dass BÄK und KBV die Auflösung des ÄZQ schon im Februar besiegelt haben. Dieses solle unter ministerieller Aufsicht die NVL erarbeiten. Hofmeister zufolge sollen alle Verträge des ÄZQ-Personals am Dienstag (9.4.) gekündigt worden sein. Bis Ende dieses Jahres soll das ÄZQ aufgelöst werden.
Wann und wie das geplante neue Institut unter Leitung des Robert Koch-Instituts (RKI) die NVL fortführen soll, war noch offen. „Laut Hofmeister versucht man, die für DMP nötigen Leitlinien zurück zur KBV zu holen“, sodass diese nicht von dem neuen Institut erarbeitet würden, ergänzte Reis-Berkowicz. Die KBV-VV-Vorsitzende hatte selbst erst am Samstagmorgen von dem Februarbeschluss erfahren – „das wusste keiner von uns“.
Bei dem Institut könnte es sich um das Bipam handeln, wurde in Delegiertenkreisen gemunkelt, das nach Plänen Lauterbachs 2025 seine Arbeit aufnehmen soll. Es könnte sich aber auch um ein weiteres Institut unter RKI-Leitung handeln. Konkretes wurde noch nicht bekannt.
Leitlinien aus staatlicher Hand „bedenklich“
„Wenn Versorgungsleitlinien unter staatlicher Steuerung entstehen, macht es das Ganze noch bedenklicher“, kritisierte Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Verbandes. Und sein Vorstandskollege Dr. Oliver Funken fügte hinzu: „Ich habe 1995 das ÄZQ mitgegründet. Es wurde schon damals errichtet, um die ärztliche Unabhängigkeit zu stärken.“ Wenn dies nun in staatliche Hände falle, „verlieren wir damit die Deutungshoheit über Medizin“.
Auch DEGAM-Präsident Prof. Martin Scherer zeigte sich gegenüber „Der Hausarzt“ schockiert über die Nachricht: „Die NVL waren und sind für die DEGAM ein wichtiger Bestandteil der Leitlinienarbeit und es gab keine NVL, bei der wir nicht vertreten waren. Eine Beerdigung des NVL Programms ist für uns undenkbar.“
Einstimmig nahmen die Delegierten daher auch den federführend von Blumenthal gestellten Antrag 43 an. Dieser beauftragt den Hausärztinnen- und Hausärzteverband, bei BÄK und KBV darauf hinzuwirken, die Angebote des ÄZQ und die NVL nahtlos fortzusetzen sowie bis 2025 eine geeignete Anschlussstruktur zu schaffen.
DEGAM-Leitlinien stärken
Anschließend sprachen sich die Delegierten in einem weiteren Antrag dafür aus, sich gegenüber Kammern, KVen und Politik dafür einzusetzen, dass in der hausärztlichen Versorgung die Leitlinien der hausärztlichen Fachgesellschaft (DEGAM) Vorrang vor gebietsärztlichen Leitlinien haben sollen. Kurzfristige Aktualisierungen von gebietsfachärztlichen Leitlinien dürften nicht dazu führen, dass jedes Mal das hausärztliche Handeln geändert werden müsse – insbesondere wenn sie im Widerspruch zu NVL stünden.
Als Negativbeispiel nannte Dr. Ralph Krolewski in der Diskussion die kardiologischen Leitlinien. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie übernehme einfach nur die europäischen Leitlinien der ESC. Diese erfüllten aber nicht die Qualitätsstandards der AWMF.