Gleich ihr erster Arbeitstag in der Hausarztpraxis hat Prof. Erika Baum den Weg für ihre berufliche Karriere gewiesen. 1982 startete sie als Assistentin bei Ingeborg Siegfried in Biebertal bei Gießen. Diese war gerade auf die Professur für Allgemeinmedizin an der Universität Gießen berufen worden.
Erika Baum arbeitete damals in einem Doppel-Konstrukt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität und Assistentin in der Hausarztpraxis, und das zu einer Zeit, als das Angestelltenverhältnis für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte noch überhaupt nicht vorgesehen war.
“Schon mein erster Tag war eine Kombination aus Praxis, Forschung und Lehre”, erinnert sich Erika Baum heute an die frühen 80er Jahre zurück. “Und wenn man die Dinge beforscht und lehrt, ist klar, dass man auch etwas an den Rahmenbedingungen ändern muss.”
Für ihren langjährigen, außerordentlichen Einsatz für die Allgemeinmedizin ist die 73-Jährige im vergangenen Jahr mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Es ist eine der höchsten Auszeichnungen, die der Staat an seine Bürgerinnen und Bürger verleiht.
Ein Leben für die Medizin
“Sie haben Ihr Leben der Medizin und der ärztlichen Betreuung von Menschen gewidmet”, lobte die damalige hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten Lucia Puttrich (CDU) bei der Verleihung. “In den letzten Jahrzehnten haben Sie viele unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen, sich aber immer dem gleichen Ziel – der medizinischen Versorgung der Menschen – verpflichtet gefühlt.” Sie sei eine “starke Frau mit großer Lebensleistung”.
Erika Baum führte nicht nur von 1988 bis 2018 eine Praxis für Allgemeinmedizin in Biebertal bei Gießen, sondern folgte im Jahr ihrer Praxisübernahme auch dem Ruf der Universität Marburg auf den Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, zunächst als Vertreterin, ab 1990 als Professorin.
Bis 2016 lehrte und forschte sie in Marburg, leistete Grundlagenforschung und einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Akzeptanz ihrer Fachdisziplin in der Öffentlichkeit.
Drei Ebenen fürs Gesundheitswesen
“Unser System hat die Tendenz, die hohe Spezialisierung zu fördern”, sagt Erika Baum, “mir war aber immer völlig klar, dass wir unser System nur dann vernünftig und effizient halten und ausgestalten können, wenn wir so viel wie möglich in die Breite investieren: eine gute Patientenedukation und Empowerment, die gute Einbindung und Kooperation mit nichtärztlichen Professionen und eine qualitativ gute und breit aufgestellte hausärztliche Versorgung.” Diese drei Ebenen zu stärken sei ihr immer wichtig gewesen.
In Marburg leitete Erika Baum lange Jahre die Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive- und Rehabilitative Medizin am Medizinischen Zentrum für Methodenwissenschaften und Gesundheitsforschung und war Sprecherin des Zentrums für Methodenwissenschaften und Gesundheitsforschung im Fachbereich Medizin. Bis heute ist Erika Baum ihrer Universität als Gastwissenschaftlerin verbunden.
Die Medizin war ihr dabei nicht in die Wiege gelegt worden; ihren eigenen Hausarzt in Gießen nennt Erika Baum als Vorbild, selbst diesen Beruf zu ergreifen – und ihr Interesse an naturwissenschaftlichen und psychologischen Themen.
Nach dem Medizinstudium an der Universität Gießen arbeitete sie zunächst als Medizinassistentin in verschiedenen hessischen Städten, absolvierte ihre Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin, bevor sie zu Ingeborg Siegfried in die Praxis ging. [habox:ad]
Schon früh, ab 1993, engagierte sich die Allgemeinmedizinerin beim European General Practice Research Network und später auch in der Weltorganisation der Allgemeinmedizin. Der Blick über den Tellerrand des deutschen Gesundheitssystems sei ihr immer wichtig gewesen, betont sie und nennt insbesondere das niederländische Gesundheitssystem mit der besseren Stellung der Hausärztinnen und Hausärzte als beispielhaft.
Die Position der deutschen Kolleginnen und Kollegen sähe sie gerne mehr gestärkt; dass Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) nun verstärkt vor einem Hausärztemangel warne, sei wichtig, doch nun müsse man alles tun, um den Beruf für die nachfolgenden Generationen tatsächlich attraktiv zu halten.
Leitlinien – ein Steckenpferd
Kaum wurden ihre beiden Söhne erwachsen, nutzte Erika Baum ihr Plus an Zeit für berufspolitisches Engagement in diversen Kommissionen, Vereinen und der Landesärztekammer, insbesondere aber in der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM). Dort war sie über Jahre in verschiedenen Positionen tätig, mehrere Jahre als Präsidentin; heute ist sie Past-Präsidentin.
Ihre Kernthemen: Weiterbildung, Fortbildung, Qualifizierung und Weiterentwicklung der Medizin. Von 2016 bis 2019 war Erika Baum Präsidentin der DEGAM; bis heute arbeitet sie an der Entwicklung und Weiterentwicklung von Leitlinien mit. Unter anderem wirkte sie an der Erarbeitung von fachübergreifenden Leitlinien zur kardiovaskulären Prävention, zur Osteoporose und postmenopausalen Hormontherapie mit.
Die Arbeit in der Hausarztpraxis, in der sie selbst viele Jahre lang Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung in die Hausarztmedizin einführte, hat Erika Baum 2018 abgegeben. Sie vermisse die Praxis nicht, sagt sie. “Wenn ich etwas mache, dann ganz oder gar nicht.” Es sei schön, selbst als Patientin in die Praxis zurückzukommen und alte Patientinnen und Patienten zu treffen.
Doch ihre Zeit gehört heute anderen Aufgaben. Noch immer ist sie berufspolitisch engagiert – und außerdem “Oma vom Dienst”. Dies sei überhaupt ihre beste Empfehlung für fortgeschrittene Semester: “Oma-Dienst hält jung.”