ReiseberichtZu Besuch in der Belle Époque

Das belgische Seebad De Haan versprüht auch heute noch den Charme des Jugendstils. Der Name des kleinen Ortes basiert auf einer Legende.

Das Seebad De Haan.

“Der Namen meiner Heimatstadt basiert auf einer Legende”, erzählt Katrien Vanbesien, die im belgischen Seebad De Haan ein nach dem niederländischen Dichter Willem Bilderdijk benanntes kleines Familienhotel betreibt.

“Vor vielen Jahren wütete vor der Küste ein schrecklicher Sturm, ein steuerloses Boot geriet bei meterhohen Wellen, heftigem Schneefall und Nebel in Seenot, als der Bootsführer und seine Mannschaft plötzlich einen lauten Hahnenschrei hörten. Kurz darauf lief das Boot auf Grund. Die Seeleute wurden gerettet, aber der Hahn hatte sich die Seele aus dem Leib geschrien und fiel tot um. Seitdem nennt man den Platz der glücklichen Landung “Le-Coq-sur-Mer” und unser schönes De Haan war geboren”, erzählt die Hotelchefin schmunzelnd weiter.

Die Entstehung des charmanten Seebades hat aber eher etwas mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts aufkommenden Badetourismus und den Vorlieben des belgischen Königshauses zu tun. Denn König Leopold I ließ 1834 seine Sommerresidenz in Ostende bauen und in Klemskerke wurde mit den Gewinnen der Ausbeutung des Kongo ein Golfplatz angelegt.

Erste Villen in den Dünen

1886 wurde die “Kusttram”, die erste Dampfstraßenbahnlinie zwischen Ostende und Blankenberge eröffnet, die dem Adel und finanzkräftigen Familien erschöpfende Kutschfahrten über holprige Küstenwege ersparte. Bald darauf folgten erste Hotelbauten. Im Jahr 1889 erteilte König Leopold II. dann eine Genehmigung (flämisch: Concessie) für die Bebauung eines 50 Hektar großen Dünenabschnittes, der damals dem Staat gehörte, im heutigen De Haan.

Das königliche Erbbaurecht, das privaten Bauherren für 90 Jahre gewährt wurde, umfasste eine Reihe von Auflagen: So durfte die Bauhöhe von 11 Metern nicht überschritten werden, die Häuser mussten freistehend, das heißt von Gärten umgeben sein, und schließlich musste der anglo-normannische Baustil für alle Villen eingehalten werden.

Aufgrund der ursprünglich erteilten Genehmigung trägt der Kern von De Haan bis heute die Bezeichnung “Concessie”. Im Jahr 1909 ließ König Leopold II seinen persönlichen Ratgeber, den renommierten deutschen Stadtplaner Josef Stübben, der unter anderem die Kölner Neustadt konzipiert hat, nach De Haan kommen und beauftragte ihn mit der Planung des Gebietes.

Stübben entwarf den Badeort nach dem Vorbild des englischen Landhausstils in Parzellenform mit dem “Klatschbasentreff” (Französisch: “La Potinière”) als grüner Lunge im Zentrum.

Als Ende der 70 Jahre das Ende des Erbbaurechts nahte, gab es in De Haan erste Bausünden. 1977 gründeten einige Einwohner daher eine Bürgerinitiative für den Erhalt des Concessie-Viertels. Der Abriss einer alten Villa auf dem Deich brachte das Fass dann zum Überlaufen. 1.500 Einwohner und Touristen unterschrieben damals eine Petition und verhinderten so eine Verschandelung des Badeortes.

Da die flämische Regierung inzwischen weitere Bestimmungen zum Denkmalschutz erließ und Fördermittel für den Erhalt der Jugendstil-Villen vergibt, hat sich bis heute der Charme von De Haan, wo es – eine Ausnahme an der belgischen Küste – keine Hochhäuser gibt, erhalten.

Auf Einsteins Spuren

“Spazieren Sie doch auf den Spuren von Albert Einstein durch das Villenviertel”, rät Chris Germonpré vom Tourist Office und gibt einen Plan für den Weg durch die leicht hügeligen Dünen heraus. “Der bekannte Physiker und Nobelpreisträger hat hier 1933 nach seiner Flucht aus Deutschland sechs Monate gelebt.”

Die Tour beginnt beim Tourist Office, das in der historischen, aus Holz gebauten Tram-Station untergebracht ist. Ganz in der Nähe erhebt sich das 1899 erbaute dreigeschossige Grand Hôtel Belle Vue, in dem damals vor allem finanzkräftige englische Gäste abstiegen.

Der Spazierweg streift insgesamt 16 besondere Villen, die teilweise wie Puppenhäuschen, kleine Schlösser mit Türmchen und Erkern aussehen. Besonders markante Stationen des etwa zwei Kilometer langen Spaziergangs sind neben dem “Klatschbasentreff” (La Potinière) das Grand Hôtel du Coq-sur-Mer, einst das erste Luxushotel des Ortes mit fließendem warmem Wasser und einem Aufzug.

Das Hotel erlebte seine Blütezeit während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, u.a. durch eine direkte Kutschenverbindung des Royal Golf Club in De Haan mit dem Bahnhof in Ostende. 1949 wurde das Haus dann zu einer Ferienherberge für wallonische Kinder und seit 1977 ist es das schmucke Rathaus von De Haan.

Danach geht es zur Villa Savoyarde in der Shakespearelaan, in der Einstein von März bis September 1933 mit Frau und Stieftochter lebte, bevor er De Haan aus Furcht vor den Nazis in die USA verließ.

“Trammelant” nicht missen

Zum Abschluss sollte man einen Abstecher in die Normandiëlaan machen, da dort im kleinen Park eine lebensgroße Bronzestatue des Physikers auf einer Bank postiert wurde, neben der sich schöne Fotos machen lassen.

“Vielleicht kommen Sie Ende Juli noch einmal”, sagt Hotelchefin Katrien Vanbesien. Denn dann ist 2023 wieder das seit 1978 stattfindende Belle Époque-Festival Trammelant geplant. Der ganze Ort steht dann quasi Kopf – oder besser gesagt: Groß und Klein sind an diesem Festtag im Jugendstil-Fieber.

“Im Jugendstil gekleidete De Haaner fahren dann mit historischen Straßenbahnen, Oldtimern oder Gehrädern, führen Modenschauen auf oder üben sich in Sportarten der Belle Époque-Zeit.”

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