LeserbriefNutzung der Corona-App lässt im Praxisalltag Fragen offen

Die Corona-Warn-App ist zur Eindämmung der Pandemie ein vielgelobtes Instrument. Doch gerade mit Blick auf die AU-Bescheinigung ist die Nutzung nicht in allen Punkten geklärt. Ein Leserbrief von Stefan Streit.

Auf dem Weg zur Arbeit schlägt die Corona-Warn-App Alarm. (…) Niemand hätte Verständnis, wenn man sich nach einem App-Signal und einem Corona-Abstrich beim Arzt umstandslos auf den Weg macht zu den Kollegen (…). Intuitiv (…) möchte man nach dem Abstrich vom Arzt eine Krankschreibung. (…) Die Sachlage rund um die Arbeitsunfähigkeit (AU) ist nicht so einfach. (…)

In der AU-Richtlinie regelt Paragraf 2, wann eine AU vorliegt. Neben Krankheit rechtfertigt nur die stufenweise Wiedereingliederung nach Krankheit, Organtransplantation, die Herbeiführung einer Schwangerschaft, Dialysebehandlung oder der Defekt eines für die Arbeitstätigkeit oder zum Erreichen des Arbeitsplatzes erforderlichen Hilfsmittels eine Krankschreibung. Das trifft alles nicht zu.

Paragraf 3 stellt die Ausnahmetatbestände, die keine AU rechtfertigen, dagegen. Unter Absatz (2) findet man die Formulierung: „Arbeitsunfähigkeit liegt insbesondere nicht vor (…) für Zeiten, in denen ärztliche Behandlungen zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken stattfinden, ohne dass diese Maßnahmen selbst zu einer Arbeitsunfähigkeit führen“ .[1] Dies beschreibt eindeutig die Situation des Corona-Abstrichs bei einem unbeeinträchtigten Menschen nach einer App-Warnung. (…)

Die 02402 EBM sieht eindeutig vor, dass der Arzt die zehn Euro (…) nur bei einem symptomfreien Patienten (…) aufgrund einer Warnung (..) abrechnen darf [2] (Anm.d.Red.: Hat sich zum 1.10. geändert). (…) Auf der Homepage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) [3] findet man unter der Rubrik „Neu: Test nach Risikobenachrichtigung durch Corona-Warn-App“ den Punkt „Quarantäne und Krankschreibung“. Hier finden sich die Durchführungsbestimmungen (…): „Die Warnung durch die App dient lediglich als Hinweis, dass Betroffene einen Arzt konsultieren sollten. Der Nutzer erhält zudem die Empfehlung, soziale Kontakte zu reduzieren. Ob er sich in häusliche Quarantäne begeben muss, legt das Gesundheitsamt fest. Die Entscheidung über eine Krankschreibung trifft der behandelnde Arzt.“

Die AU-Richtlinie erfordert eine Krankheit, während die Gebührenordnung beim App-­Abstrich Krankheit ausdrücklich ausschließt. In diesem juristischen Kontext, der keine Rechtfertigung für eine Krankschreibung erkennen lässt, räumt die KBV den Ärzten einen Ermessensspielraum ein. Auf welcher Grundlage, ist an dieser Stelle völlig unklar. Gleichzeitig torpediert die Verweigerung einer AU die Unterbrechung der Infektionsketten.

Dieses Problem kann mit den üblichen Vorstellungen von körperlicher, seelischer oder geistiger Krankheit nicht aufgelöst werden. (…) Damit eine nachvollziehbare Einordnung der krankmachenden Wirkung von äußeren Gesundheitsinformationen möglich wird, ist eine Erweiterung des Krankheitsbegriffs erforderlich. Dazu gilt es anzuerkennen, wie die Information der Corona-App-Warnung den Menschen in einer besonderen Weise krank werden lässt.

Erweitert man den Krankheitsbegriff Thure von Uexkülls auf einen bio-psycho-sozioinformationellen Krankheitsbegriff, dann gilt dieser Mensch nun als informationell erkrankt. Eine ausführliche Einführung in das Konzept der informationellen Erkrankung finden Sie unter [4]. Seit dem 15. Juni, mit der Einführung der Corona-Warn-App, ist die bisher nur theoretisch formulierte „informationelle Erkrankung“ in der vertragsärztlichen Versorgungsrealität zur Voraussetzung für das Attest der AU, für die Zeit zwischen dem Corona-Warn-App-Alarm und dem Vorliegen des Abstrichergebnisses, geworden.

Neue technologische Lösungen in der Medizin müssen durch neue soziale Übereinkünfte unterlegt werden, damit dann mehr Gesundheit herauskommt. Natürlich könnte man durch einen Verwaltungsakt einfach den Punkt „Warnung der Corona-App“ in die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie aufnehmen… (…) Eine nachhaltige Lösung wäre durch den informationellen Erkrankungsbegriff möglich. Dann funktionieren „die alten Regeln“ (…) ohne jede formale Änderung. (…) Gegenwärtig bleibt die Corona-App vom echten Leben abgekoppelt und erfordert für ein Funktionieren im Alltag letztlich ein rechtsunsicheres Handeln der Menschen. (…)

Stefan Streit, Facharzt für Allgemeinmedizin, Köln

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