“Es war das Allerbeste, eine Praxis zu haben!” Auf die Frage, was sie am meisten erfüllt habe in den Jahrzehnten ihrer hausärztlichen und berufspolitischen Tätigkeit, gibt es kein Zögern: Die eigene Praxis in Hannover, die sie 32 Jahre lang zusammen mit ihrem Mann führte, nennt Dr. Cornelia Goesmann – denn es war ja auch der Wunsch nach Fürsorge für Menschen, der die 71-Jährige einst zur Medizin geführt hatte.
Doch “vielleicht ist es bei praktischen Ärzten so, dass sie nicht nur die Krankheiten sehen, sondern darüber hinaus auch handeln wollen”, meint sie, und so führte Goesmanns Weg sehr bald in die Berufspolitik.
Für ihr umfangreiches, unermüdliches Engagement hat die Bundesärztekammer (BÄK) die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie vergangenes Jahr mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet.
“Es ging mir nicht nur um Interessen der Ärztinnen und Ärzte, sondern es ging mir darum, für die Bedarfe der Patienten da zu sein”, umschreibt Goesmann ihre Motivation. “Es nützt nichts, in der Praxis oder zum Beispiel in der Obdachlosenhilfe zu arbeiten, man muss auch versuchen, etwas zu verändern, wenn man die zugrundeliegenden Problematiken sieht.”
Vielzahl an Ämtern
Dieser Wunsch nach Veränderung, ihr Wille, Neuerungen auch gegen Widerstand durchzusetzen, und die Vision einer besseren Gesundheitsversorgung insbesondere für Menschen, die durchs soziale Netz gefallen sind, wurden zum Motor ihres Engagements in einer Vielzahl an Ämtern.
1990 wurde sie Mitglied der Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen und Delegierte des Deutschen Ärztetages, später stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen.
Sie war stellvertretende Vorsitzende des Hausärzteverbandes Niedersachsen, leitete in der Ärztekammer die Ethik-Unterkommission für allgemeine ethische Fragen und war Vorsitzende der interdisziplinären Arbeitsgruppe “Frauenbelange in der Medizin” beim Niedersächsischen Landesgesundheitsministerium. Auf Bundesebene war sie Vorsitzende der Deutschen Akademie für Allgemein-medizin der BÄK, Mitglied im BÄK-Vorstand und schließlich Vizepräsidentin.
Themen frühzeitig platziert
Zu ihren Anfängen sei die ärztliche Berufspolitik eine “Männerdomäne” gewesen, erinnert sich Goesmann, obwohl sich schon damals abgezeichnet habe, dass die Medizin zunehmend weiblich wird. Mit einem klaren Programm – “wir waren die ersten, die die Förderung von Frauen und den Umweltschutz in der Medizin als Ziele formulierten” – habe man es geschafft, auf Anhieb stärkste Fraktion in der Kammer zu werden.
Cornelia Goesmann war dabei immer eine Ärztin und Berufspolitikerin mit Weitblick. Sie “hat sich früh für Themen eingesetzt, deren Bedeutung für das Gesundheitswesen erst lange danach wirklich deutlich wurden”, heißt es in der Laudatio zur Verleihung der Paracelsus-Medaille.
Als stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen setzte sie sich für die wissenschaftliche und berufspolitische Gleichstellung von Ärztinnen ein und gründete nach dem Vorbild des Mainzer Mediziners und Professors für Sozialmedizin Gerhard Trabert in Hannover eine Obdachlosenhilfe mit, die noch heute bedürftigen Menschen zugutekommt.
Die Arbeit in der niedersächsischen Berufspolitik habe sie wegen des engen Kontakts zu den Ärztinnen und Ärzten geschätzt, mit denen sie in der Praxis täglich zusammengearbeitet habe, erinnert sie sich. “Das war ein tolles Team.”
Sie hätte diese Arbeit vielleicht über die Abgabe ihrer Hausarztpraxis hinaus weiterführen können, doch das lehnte sie ab: “Wenn man ein solches Amt bekleidet, muss man hausärztlich tätig sein, um wirklich ein Gespür für die Themen zu behalten.”
Bis heute für Bedürftige aktiv
Was sie nicht aufgegeben hat: Ihre wöchentliche Sprechstunde in der Obdachlosenhilfe. Im Jahr 2000 hatte sie das Wohnungslosenprojekt initiiert, das unter anderem Menschen ohne festen Wohnsitz medizinische Hilfe anbietet. Mit finanzieller Unterstützung der Caritas und der Diakonie kommt es auf diese Weise zu mehr als 5.000 Patientenkontakten pro Jahr. Bis heute ist Goesmann hier engagiert.
“Ich würde mir wünschen, dass die Versorgung der nicht versicherten Personen, die sich Zuzahlungen nicht leisten können, dieser ganzen verzweifelten Menschen, nicht rein ehrenamtlich organisiert wäre, sondern dass diese eine staatliche und selbstverständliche Leistung wird.”
Das berufspolitische Engagement auf der deutschlandweiten Bühne nutzte Cornelia Goesmann insbesondere dafür, die haus- und familienärztliche Medizin sowie die ärztliche Psychotherapie zu fördern und die Arbeitsbedingungen und das Ansehen der Medizinischen Fachangestellten (MFA) zu verbessern.
Wichtig war ihr auch, die Allgemeinmedizin als Fach insgesamt sichtbarer zu machen. “Sie kämpfte dafür, die Weiterbildung besser zu strukturieren und der Allgemeinmedizin einen Platz an den Universitäten zu verschaffen”, lobt die Bundesärztekammer. Einen Platz, den sie auch selbst füllte: Seit 1992 ist Goesmann Lehrbeauftragte an der Medizinischen Hochschule Hannover für die Fächer Allgemeinmedizin und Sozialmedizin.
Mit 71 Jahren ist Cornelia Goesmann unvermindert politisch aktiv, unter anderem als Vorsitzende des Seniorenbeirats der Stadt Hannover. Eventuell sei es an der Zeit, kürzer zu treten, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Bis es aber soweit ist, kann man auf sie zählen.