Hausärztinnen und Hausärzte können nicht nur entscheidend dazu beitragen, dass HIV-Infektionen früher erkannt werden – sie können auch die HIV-Prävention fördern. Wann sollten Sie eine HIV-Präexpositionsprophylaxe empfehlen?
Das sagt der Hausarzt…
Auf die Frage nach weiteren Hautveränderungen gab der Patient an, vor circa zwei bis drei Monaten an einem “hartnäckigen Lippenherpes” gelitten zu haben. Diesen habe er über mehrere Wochen zunächst mit einer Pilzcreme, dann mit Aciclovir-Salbe behandelt; “irgendwann” sei er dann verschwunden.
Zwar seien am Hals noch Lymphknotenschwellungen aufgetreten, da diese jedoch auch ohne Intervention verschwanden, habe er keinen Grund gesehen, ärztliche Hilfe einzuholen.
Die Frage, ob ein Zusammenhang des vermeintlichen Lippenherpes mit einer sexuell übertragbaren Infektion (STI) bestanden haben könne, bejahte der Patient. Er habe an einer Sex-Party teilgenommen, bei der es auch zu Oralverkehr gekommen sei.
Die drei P-Fragen nach Partner bzw. Partnerinnen, Praktiken und Prävention ergaben, dass sexuelle Kontakte ausschließlich zu Männern bestanden hätten, neben Oralverkehr sei es auch zu rezeptivem Analverkehr gekommen. Eine Prävention, etwa mit Kondomen oder HIV-Präexpositionsprophylaxe (HIV-PrEP), habe er nicht durchgeführt.
Aufgrund des Befunds und der anamnestischen Angaben teilte ich dem Patienten meine Verdachtsdiagnose einer Lues-Infektion mit. Ich empfahl die Durchführung von Laboruntersuchungen, die auch andere STI (wie Gonokokken, Chlamydien, Hepatitis C und HIV) abklären sollten. Gerade zwischen Lues und HIV besteht eine hohe Koinzidenz.
Leider bestätigte sich meine Verdachtsdiagnose, zudem bestand eine frische HIV-Infektion. Fünf Monate zuvor war der Patient bei uns noch negativ auf HIV getestet worden. Wir behandelten die Lues-Infektion und überwiesen den Patienten an ein infektiologisches Schwerpunktzentrum. Er wird antiviral behandelt und die Viruslast ist bereits drei Monate nach Therapiebeginn unter der Nachweisgrenze.
Dieser Fall hat mich auch deshalb sehr beschäftigt, weil ich den Patienten fünf Monate vor diesem Ereignis wegen einer Gonokokken-Infektion behandelt und auf die Möglichkeit einer HIV-Prophylaxe mittels PrEP aufmerksam gemacht hatte.
Diese lehnte er ab – er lebe noch zu Hause und seine strenggläubigen Eltern wüssten nicht von seiner sexuellen Orientierung. Er war sehr besorgt, dass die Eltern die Medikamente entdecken und ihn aus der Familie verstoßen würden.
Dr. med. Armin Wunder, Facharzt für Allgemeinmedizin, Kompetenzzentrum Weiterbildung Hessen, Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt
Das sagt die Spezialistin
Im dem geschilderten Fall hat der Kollege aus der hausärztlichen Praxis alles richtig gemacht. Warum kam es bei seinem Patienten dennoch zu einer HIV-Infektion?
Die entscheidende und leider fatale Weiche stellte der Patient selbst, als er sich wegen seiner Gonokokken-Infektion in der Praxis aufhielt. Die durchgeführte Sexualanamnese ergab ein hohes HIV-Infektionsrisiko und damit leitliniengemäß die Indikation für eine PrEP. In Deutschland wird derzeit die orale PrEP mit dem Kombinationspräparat Tenofovir/Emtricitabin empfohlen (www.daignet.de).
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für das Medikament ebenso wie für die regelmäßigen Laboruntersuchungen im Verlauf der PrEP. Leider hat sich der junge Mann gegen eine PrEP entschieden, weil er Sorge hatte, seine Eltern könnten das Medikament und damit auch seine Homosexualität entdecken.
Diese enorme Angst vor der Offenlegung der sexuellen Orientierung im familiären Umfeld und einer damit verbundenen Ausgrenzung gibt es leider auch heute noch und sie kann wie im vorliegenden Fall tatsächlich eine erfolgreiche HIV-Prävention verhindern. Dem Patienten hätte in seiner Situation vielleicht eine langwirksame PrEP weitergeholfen, die i.m. verabreicht werden kann.
Eine solche Möglichkeit bietet jetzt der Integrasehemmer Cabotegravir, ein HIV-Medikament, das über einen Zeitraum von zwei Monaten effektive Wirkspiegel aufrechterhalten kann. In den USA steht die Substanz bereits zur HIV-Präexpositionsprophylaxe zur Verfügung (Studien HPTN083 & HPTN084). In Europa läuft derzeit noch die Prüfung auf eine entsprechende Zulassung.
Bei der erneuten Vorstellung des Patienten wurde, wie bereits fünf Monate zuvor, eine STI diagnostiziert – diesmal eine Lues-Infektion. Folgerichtig hat der Hausarzt dem Patienten daraufhin auch einen HIV-Test angeboten, denn STI gehören zu den Indikatorerkrankungen für HIV (siehe Tabelle unten).
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