GesundheitskompetenzPatientenbriefe stärken Selbstbewusstsein

Leicht verständliche Gesundheitsinformationen steigern die Therapietreue und die Gesundheitskompetenz von Patienten. Das zeigt eine aktuelle Studie – und fordert damit auch Ärzte in ihrem Alltag heraus.

Was bedeutet die Diagnose? Laienverständliche Patientenbriefe können helfen.

Berlin. Patienten fühlen sich gestärkt, wenn sie ihre Erkrankungen verstehen und nicht durch eine medizinische Fachsprache verunsichert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Freitag (14. Juni) vorgestellte Studie von „Was hab‘ ich?“. In der Evaluation des gemeinnützigen Unternehmens, das Entlassbriefe seit 2011 in eine laienverständliche Sprache „übersetzt“, hatten 85 Prozent der Patienten angegeben, dass die Befundübersetzungen sie ermutigt hätten, ihrer Erkrankung „mit Entschlossenheit“ entgegenzutreten.

Für das Forschungsprojekt waren Patienten der Abteilung Innere Medizin an der Paracelsus-Klinik in Bad Ems von November 2015 bis April 2018 mit speziell für sie erstellten Briefen – zusätzlich zu den ärztlichen Entlassbriefen – versorgt worden. Die Patientenbriefe waren frei von medizinischen Fachbegriffen und erklärten Krankheitsbild, Untersuchungen und Behandlungen sowie den Medikationsplan in einer einfachen, laiengerechten Sprache. Das Klinikpersonal hatte dadurch keinen Mehraufwand.

Studie unter allgemeinmedizinischer Federführung

Die begleitende, randomisierte kontrollierte Studie, erstellt von der Allgemeinmedizin der Technischen Universität Dresden unter Leitung von Prof. Antje Bergmann, sollte herausfinden, ob und wie ein individualisierter, verständlicher Patientenbrief wirkt. Die zentrale Forschungsfrage war, ob sich auf diesem Weg die Gesundheitskompetenz der Betroffenen stärken lässt und ob ihnen das schriftliche Dokument hilft, die Erkrankung sowie die Informationen und Anweisungen der Ärzte besser zu verstehen. Die Ergebnisse wurden jüngst auf der Fachtagung „Mit. Sicherheit. Gemeinsam. Patientensicherheit ist Aufgabe aller“, zu der das Bundesministerium für Gesundheit in die Charité nach Berlin eingeladen hatte, vorgestellt.

In der Studie erhielten Patienten der Interventionsgruppe bei der stationären Entlassung den herkömmlichen Entlassbrief, drei Tage später den Patientenbrief sowie weitere drei Tage später einen Fragebogen auf postalischen Weg. Den Patienten der Kontrollgruppe dagegen wurde nur der Entlassbrief ausgehändigt sowie wenige Tage später der Studienfragebogen zugesandt. Insgesamt waren 2553 Patientenbriefe erstellt, 1772 davon im ausgewählten Studienzeitraum versandt worden. Die Studienteilnehmer waren im Durchschnitt 71 Jahre alt und verfügten über einen mittelmäßigen bis schlechten Gesundheitszustand. 79 Prozent von ihnen konnten sich an gar kein oder nur ein kurzes Entlassgespräch erinnern. Dennoch hatten 63,8 Prozent der Patienten aus der Interventionsgruppe den Eindruck, gut und verständlich über die Ergebnisse der Untersuchungen informiert worden zu sein. In der Kontrollgruppe waren nur 42,3 Prozent der gleichen Meinung.

Weitere Ergebnisse:

  • Arznei-Informationen: 54,3 Prozent der Interventionsgruppe gaben an, über die Einnahme der Medikamente voll und ganz aufgeklärt worden zu sein, in der Kontrollgruppe war dies nur bei 40 Prozent der Fall.
  • Unterstützung durch die Klinik: Rund 50 Prozent der Interventionsgruppe fühlte sich bei der Entlassung gut durch das Krankenhaus unterstützt, 85 Prozent tendierten dazu, die Einrichtung in der Familie oder Freunden weiterzuempfehlen. In der Kontrollgruppe hatte nur etwa ein Drittel (36,7 Prozent) das Gefühl, bei der Entlassung durch das Krankenhaus unterstützt worden zu sein und rund 75 Prozent gaben an, dieses bei Bedarf wahrscheinlich oder ganz sicher weiterzuempfehlen.

Ärzte bei „digitalem Lernen“ gefragt

„Mit der aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass eine einfache und leicht verständliche Sprache in einem schriftlichen Dokument wirkt“, sagte Ansgar Jonietz, Gründer und Geschäftsführer der „Was hab‘ ich?“-gGmbH. Die große Mehrheit der Studienteilnehmer (86 Prozent) gab an, den Patientenbrief gelesen zu haben, bei etwa jedem zweiten Patienten hat sich zudem eine weitere Person mit den Informationen befasst. Das Ziel von „Was hab‘ ich?“, dessen Team seit dem Start rund 40.000 Befundberichte übersetzt hat, sei es nun, im nächsten Schritt möglichst alle Patienten mit leicht verständlichen Informationen zu versorgen und die Erstellung des Patientenbriefes weiter zu „automatisieren“, so Jonietz.

Dass gedruckte Informationen allein in Zukunft nicht ausreichen werden, betonte hingegen Dr. Peter Langkafel. Der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Healthcubator und Berliner Landesvorsitzender im Bundesverband Medizininformatik ist überzeugt: „Angesichts der neuen digitalen Angebote in der Medizin müssen Patienten und Bürger dabei unterstützt werden, eine digitale Gesundheitskompetenz auszubilden.“ Es werde immer wichtiger, digitale Angebote im Internet oder in App Stores zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anwenden zu können. Nachholbedarf im „digitalen Lernen“ sieht Langkafel jedoch auch bei Ärzten und Pflegekräften.

Ein umfassender Einsatz von Patientenbriefen auf nationaler Ebene ist unterdessen jüngst durchgefallen. Der Bundesrat folgte Anfang Juni nicht einem entsprechenden Antrag von Brandenburg, Berlin und Hamburg. Die drei Bundesländer wollten, dass Versicherte nach jeder Behandlung in Klinik und Praxis einen „Patientenbrief“ erhalten und darüber verständlich über Diagnose, Behandlung und Einnahme von Medikamenten aufgeklärt werden. Die Gesundheitsministerkonferenz hatte bereits 2018 empfohlen, in einem ersten Schritt Patientenbriefe nach einer stationären Behandlung einzusetzen.

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