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Interview mit Dr. Simon Schwill“Quereinsteiger sind oft Machertypen”

Dr. Simon Schwill leitet das Kompetenzzentrum Weiterbildung Baden-Württemberg. Baden-Württemberg hat 2012 mit als erste Kammer den Quereinstieg ermöglicht. Im Gespräch berichtet er, wie sich das auf die Weiterbildung ausgewirkt hat.

Derzeit gibt es in Baden-Württemberg knapp 1.300 geförderte Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW).

Baden-Württemberg hat 2012 mit als erste Kammer den Quereinstieg ermöglicht. Wie hat sich das auf die Weiterbildung ausgewirkt?

Dr. Simon Schwill: Derzeit haben wir knapp 1.300 geförderte Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW), vor zehn Jahren waren es noch 450. Die Zahlen haben sich also verdreifacht: Dafür bleibt die wichtigste Säule die direkte Weiterbildung in Allgemeinmedizin.

Aber der Quereinstieg ist eine weitere Ressource: Aktuell macht hier etwa jeder fünfte ÄiW einen Quereinstieg. Für die hausärztliche Versorgung brauchen wir alle, die sich dafür interessieren.

Wie ist das bundesweit?

Leider führt die Bundesärztekammer noch keine bundesweite Statistik. Hinzu kommt, dass es nicht überall den Quereinstieg gibt und die Kammern es unterschiedlich umsetzen. Aber wo es die Option gibt, etwa Niedersachsen oder NRW, entwickelt es sich ähnlich.

Mit dem Kompetenzzentrum haben Sie ÄiW befragt. Wer wählt den Quereinstieg?

In Baden-Württemberg waren die meisten vorher an der Klinik tätig und mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden. Ein Drittel bis die Hälfte war in der Anästhesie, mit Abstand gefolgt von Innerer Medizin und Chirurgie.

2011 war die große Sorge, der Quereinstieg wäre eine Schmalspurweiterbildung. Da kann ich beruhigen: Die meisten sind sehr engagiert, bringen fünf bis zehn Jahre Berufserfahrung, etwa als Oberarzt, mit. Das sind meist “Machertypen”.

Ich sehe darin einerseits Chancen, langfristig durch deren Doppelperspektive die hausärztliche Fortbildung zu verbessern. Andererseits bringen sie ein gutes Selbstbewusstsein mit, wovon auch das Ansehen der Allgemeinmedizin profitieren kann.

Was erwarten sie vom Quereinstieg?

Meist möchten sie Medizin anders praktizieren, als es in der Klinik der Fall ist. Sie schätzen die stärkere Patientenzentrierung und Langzeitbetreuung. Dabei möchten sie selbstständig handeln, also selbst entscheiden, wie sie ärztlich tätig sind und was sie den Menschen anbieten.

Übrigens zeigen unsere Umfragen, dass später über 90 Prozent hausärztlich arbeiten und kurz nach Abschluss des Quereinstiegs bereits knapp die Hälfte niedergelassen sind!

Viele erwarten eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf – was die strukturierte Weiterbildung auch ermöglicht. Gleichzeitig sind sie mitunter über das Arbeitspensum überrascht: Einige erzählen mir später von ihren großen Praxen mit allein 1.500 bis 1.700 Scheinen – und sie sind trotzdem glücklich, dass sie Weihnachten, Silvester und die Wochenenden frei haben und sich die Arbeitszeiten flexibel einteilen können. Sie arbeiten eben für sich selbst und nicht für irgendwelche Konzerne und spüren ihre Wirksamkeit für ihr direktes Umfeld.

Wovor machen sie sich Sorgen?

Einige fürchten sich, später allein zu arbeiten. Diese Lücke füllen Kompetenzzentren, indem sie die ÄiW und Weiterbildenden vernetzen, und der Verband.

Häufig haben sie bereits Familie und sind Oberarztgehälter gewohnt, da ist das Finanzielle während der nochmaligen Weiterbildung eine Herausforderung. Was zum Risiko für die Weiterbildung werden kann – das gilt grundsätzlich, ist beim Quereinstieg aber besonders ausgeprägt.

Zum Beispiel wenn es dazu führt, dass die ÄiW durch ihre bereits vorhandenen Kompetenzen mehr Sprechstunden übernehmen als sie sollten, um ihre Gehaltsvorstellungen für die Praxis zu kompensieren. Letztlich kommt dann die nötige Zeit für die Weiterbildung zu kurz. KV-Dienste können den finanziellen Druck lindern, realistisch kann man sich so das Weiterbildungsgehalt nochmal um die Hälfte aufstocken.

Medizinisch ist die größte Sorge meist, ob sie später in der Lage sein werden, bei hohem Patientenaufkommen anständige Medizin zu machen. Dafür müssen sie vor allem das fehlende Puzzlestück der hausärztlichen Arbeitsweise lernen können.

Wie erlernt man die “hausärztliche Brille”?

Wechselt man während der Weiterbildung, fällt der Perspektivwechsel meist leichter. Schwieriger wird es, je länger man in einem anderen Fach praktiziert hat: Da wird der Fachwechsel zum Berufswechsel. Gerade in der Anästhesie ist man es gewohnt, sehr exakt bis ins letzte Detail alles abzuklären.

Eine gestufte Diagnostik wird oft erstmal als ungenau empfunden, ist aber eine hausärztliche Kunst. Patienten bringen häufig drei bis vier Anliegen mit in die Sprechstunde, da habe ich ad hoc aber nur wenig Zeit, um das zu sortieren. Das lernt man Schritt für Schritt im engen Austausch mit den Weiterbildenden. Auch die Kompetenzzentren unterstützen dabei ÄiW und Weiterbildende – ebenso bei anderen Themen.

Wer einen Quereinstieg macht, hat meist schon einiges im Leben erreicht. Daher ist gegenseitige Wertschätzung wichtig. Es ist nicht immer einfach, mit den verschiedenen Kompetenzen von Weiterbilder und Quereinsteiger umzugehen.

Als Weiterbildende kann man schnell den Eindruck haben, was soll ich dem medizinisch beibringen? Anders herum meint auch mancher ÄiW, er oder sie müsse nichts mehr lernen. Dabei kann die hausärztliche Arbeitsweise unter die Räder geraten.

Was raten Sie, damit der Wechsel gelingt?

Kompetenzzentren können bei diversen Fragen unterstützen, daher sollte ein Quereinstieg nur mit paralleler Anmeldung im Kompetenzzentrum möglich sein. Sie vermitteln ÄiW hausärztliche Kompetenzen und qualifizieren Weiterbildende in Train-the-Trainer-Kursen.

Legen Sie gemeinsam die Ziele der Weiterbildung fest – ob auf einem Zettel oder nach Vorlagen von DEGAM oder Kompetenzzentren. Besprechen Sie dabei, wie Sie miteinander umgehen und Ihre unterschiedlichen Kompetenzen einsetzen wollen. Planen Sie bewusst Zeit für die Weiterbildung, etwa indem weniger Patienten pro Stunde einbestellt werden.

Zu lernen gibt es genug: von Heim- und Hausbesuchen über weniger Maximalmedizin bis hin zu “wie sortiere ich einen Medikationsplan mit 25 Arzneien aus?”.

Was sollte beim Quereinstieg verbessert werden?

Alle Kammern sollten den Quereinstieg ermöglichen. Dabei sollte es bei zwei Jahren bleiben. Eine Verkürzung – weil diejenigen vermeintlich “schon alles können” – würde die hausärztlichen Kompetenzen herabwürdigen. Auch die Förderung sollte nicht anders sein als für “Direkteinsteiger”.

Eine Erhöhung würde den direkten Weg in die Allgemeinmedizin unattraktiver machen – und damit auch die Breite des Fachs gefährden, für die wir seit Jahren kämpfen. Übrigens raten auch zwei Drittel der befragten Quereinsteigenden Studierenden, direkt in die Allgemeinmedizin zu gehen.

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