Um das Gesundheitswesen kontinuierlich zu verbessern, bedarf es der Konzeption und Erprobung neuer Versorgungsformen [1]. In Deutschland fehlten gerade für komplexe klinische Forschung lange Zeit unabhängige und stabile Förderlinien.
Einen maßgeblichen Schritt nach vorne sollte der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bringen [2]: Im Jahr 2015 eingerichtet, zielt er über die Entwicklung neuer Versorgungsmodelle auf eine evidenzbasierte Weiterentwicklung der umlagefinanzierten Gesundheitsversorgung ab [2-4].
Hausärztliche Beteiligung nötig
Die Anforderungen an Innovationsfonds-geförderte Projekte sind erheblich. Entscheidend ist, dass sie mittels wissenschaftlicher Evaluation und eindeutigen Wirksamkeitsnachweisen in der Lage sind, Mehrwerte deutlich zu machen [2]. Unter diesen Voraussetzungen ist es idealerweise möglich, dass entwickelte Versorgungsformen dauerhaft in die Regelversorgung übernommen werden können [3].
Ein Beispiel hierfür ist der Telenotarzt Bayern, der den Rettungsdienst während der Einsätze telemedizinisch unterstützt und für Diagnosestellung und Erstbehandlung Daten direkt analysiert, sodass die Behandlung der Patienten früher und effektiver beginnen kann. Der G-BA hat das Projekt Ende 2020 positiv evaluiert und die Gesundheitsministerien der Länder gebeten, die Einrichtung eines Telenotarzt-Systems zu prüfen.
Weil neue Versorgungsmodelle vor allem im Niedrig-Prävalenz-Bereich mit einer ausreichend großen Patientenpopulation realisiert werden müssen, ist die Beteiligung von hausärztlichen Praxen essenziell [5, 6]. Allerdings kann es herausfordernd sein, genug Hausärztinnen und Hausärzte für solche Forschungsvorhaben zu gewinnen.
Immer wieder kommt es in verschiedenen Modellstudien zu einer veritablen Knappheit an rekrutierbaren Hausärzten; ursprünglich anvisierte Ärzte- und Patientenzahlen werden nicht immer erreicht [7-10]. Bislang mangelt es an Studien, die untersuchen, welche Ansichten Hausärzte in Bezug auf den Innovationsfonds vertreten und welche Erfahrungen sie bei Projektteilnahme machen.
Die Perspektive der Hausärzte
Im Herbst 2021 hat das Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie der Universitätsmedizin Mainz insgesamt 3.556 Hausärzte in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zu diesem Thema befragt. Ergänzend wurden Interviews mit Hausärzten geführt.
Es fällt auf, dass der Innovationsfonds mittlerweile den meisten Hausärzten ein Begriff ist. Jeder zweite Befragte beurteilt seine Einrichtung positiv, jeder Fünfte ist skeptisch. 38 Prozent sehen im Innovationsfonds einen großen Nutzen für die Patientenversorgung, weitere 24 Prozent einen immerhin begrenzten Nutzen.
Ein großer Teil der Befragten verbindet den Innovationsfonds mit Chancen für das Gesundheitswesen, allem voran mit Blick auf eine unabhängige Finanzierung und eine Bekämpfung von Versorgungsdefiziten. Zudem begrüßt eine Mehrheit, dass Hausärzte sich tendenziell stärker in wissenschaftliche Forschung einbringen können.
Zugleich sorgen sich viele, dass es nicht sie und ihre Patienten sein könnten, die aus Innovationsfondsstudien unmittelbare Vorteile ziehen. Zweifelhaft erscheint einem Teil der Befragten auch, inwiefern geförderte Versorgungsmodelle überhaupt den Weg in die Regelversorgung finden werden.
Viele Ärzte (noch) zurückhaltend
Für 31 Prozent käme es in Frage, künftig an einem Innovationsfonds-Projekt teilzunehmen; weitere 24 Prozent geben an, bereits an wenigstens einer assoziierten Studie partizipiert zu haben. Beinahe jeder Zweite schließt vorerst aus, an einer Innovationsfonds-Studie teilzunehmen.
Als Begründung für ihre Teilnahmebereitschaft nennen die Ärzte vor allem Neugier und Partizipation an wissenschaftlicher Forschung (35 Prozent) sowie den Wunsch, zu einer besseren Versorgung und Lebensqualität ihrer Patienten beizutragen (45 Prozent).
Befragte, für die eine Teilnahme nicht infrage kommt, begründen dies meist mit hoher Arbeitsbelastung (54 Prozent), Sorge vor Überbeanspruchung (44 Prozent) sowie teilweise mit Skepsis in Bezug auf den praktischen Nutzen von klinischer Forschung für die Primärversorgung (29 Prozent).
Für jene Ärzte, für die eine Innovationsfonds-Teilnahme infrage käme oder die schon an einem oder mehreren Projekten mitgewirkt haben, spielen als Voraussetzungen neben dem absehbaren Nutzen in der Patientenversorgung (55 Prozent) Fragen der (begrenzten) Mehrbelastung (68 Prozent, etwa Dokumentation, Vor- und Nachbereitung), der angemessenen Honorierung (59 Prozent) sowie der strukturellen Stärkung der hausärztlichen Tätigkeit innerhalb des Gesundheitssystems (57 Prozent) eine entscheidende Rolle.
Ebenfalls wichtig ist den Befragten, dass Projekte keine größeren Veränderungen von Arbeitsabläufen, Routinen und Zuständigkeiten innerhalb der Praxis nach sich ziehen (42 Prozent).
Positive Erfahrungen
Befragte, die bereits Projekterfahrung sammeln konnten, haben an Versorgungsmodellen mitgewirkt, die sich mehrheitlich mit spezifischer Patientenversorgung, regionalen und multiprofessionellen Versorgungsstrukturen sowie der Förderung von Evidenzbasierung bzw. Leitlinienadhärenz befasst haben.
Diese Gruppe zieht ein positives Fazit in Bezug auf den Nutzen der jeweils erprobten Intervention: Drei von vier Befragten geben an, die Versorgung bzw. Therapie der einbezogenen Patienten habe deutlich profitiert. Analog bilanzieren zwei Drittel, der Nutzen der Projektteilnahme habe im Verhältnis zum Aufwand überwogen.
Eine Nachfrage ergab, dass die Ärzte neben den beobachteten (Therapie-)Resultaten vor allem mit einer besseren Zusammenarbeit mit anderen Versorgungsakteuren und Sektoren (52 Prozent) und der Erweiterung diagnostischer bzw. therapeutischer Kompetenzen zufrieden sind.
Als negativ wurden Dokumentationspflichten (zum Beispiel Einschreibung von Patienten) und ein oftmals hoher bürokratischer Aufwand erlebt, die Beeinträchtigung von Praxisroutinen aufgrund der Projektteilnahme (etwa weil Schulungen notwendig waren oder die Intervention Eingriffe bedingte) sowie eine aus Sicht mancher Ärzte zu geringe Einbeziehung in Forschungsprozesse und projektbezogene Entscheidungen.
Was lässt sich verbessern?
Die Hausärzte, die an Innovationsfonds- Projekten teilgenommen haben, regen eine Reihe von Verbesserungen an.
Diese beziehen sich auf eine Begrenzung von Dokumentationspflichten, mehr organisatorische Klarheit in Bezug auf die Projektkoordination, die Ermöglichung von mehr ärztlicher Entscheidungsflexibilität (etwa bei der Patienteneinbestellung und therapiebezogenen Entscheidungen), geringere Eingriffe in Praxisabläufe sowie die Stärkung und bessere Strukturierung der Kommunikation bzw. Kooperation an den Schnittstellen mit anderen Versorgungsakteuren.
Ferner sprechen sich die Ärzte für eine aufwandsgerechte(re) Honorierung aus.
Fazit
Viele Hausärzte stehen dem Innovationsfonds prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Ärzte, die schon Projekterfahrung sammeln konnten, ziehen eine deutlich positive Bilanz. Dennoch ist ein erheblicher Teil nicht bereit, an Studienvorhaben teilzunehmen. Um die Teilnahmebereitschaft zu erhöhen, ist Folgendes wichtig:
- Hausarztkonformität (unter anderem: ärztliche Entscheidungsspielräume, Limitierung von Dokumentationspflichten, Aufrechterhaltung von Praxisroutinen, stärkere Involvierung bei Forschungsplanung)
- aufwandsadäquate Honorierung
- klare Relevanz für den hausärztlichen Alltag.
Literatur:
- Schmitt J, Petzold T, Nellessen-Martens G, et al. Priorisierung und Konsentierung von Begutachtungs-, Förder- und Evaluationskriterien für Projekte aus dem Innovationsfonds: Eine multiperspektivische Delphi-Studie. Gesundheitswesen 2015; 77: 570-579
- Deutscher Bundestag. Drucksache 19/8500, 2019 (letzter Zugriff am 6.12.2023)
- Heytens H, Walther F, Keßler L, et al. Charakteristika von durch den Innovationsfonds geförderten Interventionsstudien: Review und Dokumentenanalyse von Studienprotokollen, Publikationen und Abschlussberichten. Gesundheitswesen 2021; 83: 20-37
- Schmitt J, Geraedts M, Maier B, et al. Zum Status quo und der vorgesehenen Weiterentwicklung des Innovationsfonds (Version 3, 4.2.2020). Gesundheitswesen 2020; 82: 374-377
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Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.