Investoren-MVZInvestoren auf Jagd nach Zulassungen

Viele Ketten drängen auf den Gesundheitsmarkt und versprechen, für eine gute medizinische Versorgung zu sorgen. Schon längere Zeit wecken dabei allerdings private Investoren, die ihr Kapital in MVZ stecken, den Argwohn vieler niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. Zu Recht?

Geldanlage: Private Investoren drängen auf den Gesundheitsmarkt.

“Willkommen in Ihrer neuen Hausarztpraxis”, heißt es auf der Webseite der Avi Medical GmbH (www.avimedical.com). Das Unternehmen wurde 2020 in München gegründet. “Avi Medical ist ein völlig neuer Typ Hausarztpraxis: patientenfreundlich, technologieunterstützt und mit besonderer menschlicher Note”, erklärten die Firmengründer vor rund einem Jahr in einem Interview mit “Munich Startup” [1].

Jungunternehmer sammeln 80 Millionen Euro für Hausarzt-MVZ

Mittlerweile betreibt Avi Medical bereits sechs Hausarzt-MVZ in München, ein siebtes soll im Dezember eröffnen. Außerdem gibt es bereits vier der Avi-Praxen in Berlin und fünf in Hamburg. In den nächsten drei Jahren soll die Zahl auf hundert Praxen anwachsen und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, umreißen die Avi-Gründer ihre Pläne für die Zukunft [2].

Avi Medical kauft also fleißig Arztsitze, um in für sie attraktiven Regionen Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu eröffnen. Das Kapital zum Kauf der Sitze erhalten sie von Investment-Unternehmen.

80 Millionen Euro sollen sie bis April dieses Jahres bereits erhalten haben, unter anderem von Addidton, Balderton Capital, Picus Capital und Vorwerk Ventures [2]. Das Versprechen von Avi Medical, auch in unterversorgten Regionen aktiv zu werden, wurde bislang nicht eingelöst.

Dr. Jana Husemann, niedergelassene Allgemeinärztin in Hamburg und Vorsitzende des Hausärzteverbandes Hamburg, glaubt auch nicht, dass das geschehen wird. “Ich habe noch von keinem Plan gehört, dass Avi Medical ein Hausarzt-MVZ in der Uckermark eröffnen will”, bringt Husemann ihre Zweifel zum Ausdruck.

Außerdem vermutet sie stark, dass die jungen, dynamischen Avi-Unternehmer nicht an der Versorgung älterer, multimorbider Menschen interessiert sind. Ein Hinweis darauf sei schon, dass die Praxen in den Großstädten oft in höheren Stockwerken ohne Aufzug beheimatet seien. Terminbuchungen sollen überwiegend online über die Webseite oder eine App erfolgen. Für ältere Menschen dürfte das eine Zugangshürde bedeuten.

Kapitalinteressen bringen hausärztliche Versorgung in Schieflage

Wenn aber vermehrt junge, gesunde Menschen die Angebote der Avi-Medical-MVZ annehmen, auf die die Werbung auch abzielt, werden diese den regulären Hausarztpraxen verloren gehen. Die Niedergelassenen kümmern sich dann vermehrt um die multimorbiden Patienten, deren Betreuung oft versorgungsintensiver ist.

Damit würde die wichtige Mischung bei der Versorgung von jungen und älteren Patienten in eine Schieflage geraten. Diese Form der überspitzt gesagt “Rosinenpickerei” wäre auch für die wirtschaftliche Lage der arztinhabergeführten Praxen fatal, meint Husemann.

Vermeintlich verlockende Angebote für Praxisabgeber

Für Ärztinnen und Ärzte, die einen Nachfolger für ihre Praxis suchen, können die Angebote der Avi Medical oder anderer Investoren-MVZ-Gründer verlockend sein. Allerdings sind die Verhandlungen nicht immer von Erfolg gekrönt, sagt Husemann. Jüngst berichtete ihr ein praxisabgabewilliger Arzt beispielsweise davon, dass die Avi Medical kurz vor Vertragsunterzeichnung abgesprungen sei.

Zu viele kostenintensive ältere Menschen, die nicht ins Konzept passen? Der gescheiterte Abgabeversuch habe den Arzt jedenfalls nicht nur Ärger, sondern auch Geld gekostet: Zum einen hatte er bereits seinen HZV-Patienten gekündigt, zum anderen musste er zunächst die Anwaltskosten für die Vorbereitungen zum Praxisverkauf zahlen. Die Anwaltskosten für den Anwalt hat Avi Medical mittlerweile übernommen.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang: Wenn junge Ärztinnen und Ärzte sich gerne niederlassen wollen, könnten sie in der Konkurrenz um die Arztsitze mit Avi Medical oder anderen kapitalstarken Ketten den Kürzeren ziehen. Die an die Investoren verkauften Sitze wären dann für Ärztinnen und Ärzte, die gerne selbstständig und unabhängig arbeiten wollen, dauerhaft verloren.

“Ärzte müssen das Sagen haben, nicht Controller”

Schon längere Zeit wecken private Investoren, die ihr Kapital in MVZ stecken, den Argwohn vieler niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. Klar – Gewinne erzielen zu wollen, ist erst einmal nichts Verwerfliches. Wenn aber das System am Ende in die Knie gezwungen wird, wird es ernst für alle.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes und Landesvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, Dr. Markus Beier, warnte beim Deutschen Hausärztetag in Berlin gar: “Diese Fehlentwicklung zerfrisst die Versorgung!”

Hausärztinnen und Hausärzte seien nicht grundsätzlich gegen MVZ, “wir brauchen kooperative Formen der Berufsausübung”, betonte auch Ulrich Weigeldt, Ehrenvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Nur bestimmte, investorenbetriebene MVZ seien das Problem. “Es muss klar sein, dass Ärzte das Sagen haben und nicht die Controller.”

Warum von Private-Equity-Investoren gesteuerte MVZ ein Problem für das Gesundheitssystem in Deutschland sein können, hat mehrere Ursachen. Einer liegt schon in der Natur der Sache: Bei Private-Equity-Gesellschaften steht eine gute Versorgung meist nicht an erster Stelle.

Grob gesprochen geht es darum, mit dem Kapital, das bei Banken, Versicherungen, aber auch Privatpersonen eingesammelt wurde, gewinnbringende, risikoarme Unternehmen zu kaufen und sie später mit viel Gewinn wieder zu verkaufen. Zwar betonen auch die Avi-Medical-Gründer, ein Verkauf sei nicht geplant. Aber das kann natürlich nicht ausgeschlossen werden.

KVen sind die Hände gebunden: Strukturen sehr intransparent

Ein weiteres Problem ist, dass die Strukturen hinter den iMVZ in Deutschland nur schwer zu durchschauen und sehr intransparent sind. Wenn eine Trägergesellschaft eines MVZ Arztsitze aufkauft, können Politik und auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) nicht erkennen, welche Investoren wo beteiligt sind.

Dabei ist Transparenz für Patienten wichtig, um zu beurteilen: Lasse ich mich hier in einem von Investoren geleiteten MVZ behandeln, in dem in erster Linie die Rendite interessiert, oder handelt es sich um selbstständige niedergelassene Ärztinnen und Ärzte?

Dass die Antwort auf obige Frage für Patienten wichtig ist, unterstreicht auch ein Gutachten, das die KV Bayerns in Auftrag gegeben hat [3]. Das IGES-Institut hat dabei investorenbetriebene MVZ unter die Lupe genommen.

Unter anderem habe das Gutachten Hinweise darauf gegeben, erklärt Beier, dass es zu sogenannten Ringüberweisungen gekommen sei – also Überweisungen an fast alle Fachgruppen innerhalb eines iMVZ. Ganz davon abgesehen habe sich außerdem gezeigt, dass die Behandlung in den investorenbetriebenen MVZ teurer sei als die Versorgung in Einzelpraxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte.

Verglichen mit der Einzelpraxis steigt dem Gutachten zufolge das Leistungsvolumen der mitversorgenden Ärzte um 19,1 Prozent, wenn ein Arzt in einem iMVZ die Versorgung koordiniert. Davon entfielen zwischen einem Drittel und 70 Prozent auf Ärzte “unter demselben Dach”.

Investoren gehen weiterhin bundesweit auf Hausarztsitz-Jagd

Derweil gehen die Private-Equity-Gesellschaften auch bei Hausarztsitzen weiter auf Zulassungsjagd. So berichtete die Rhein-Hunsrück-Zeitung im März, dass ein Investor aus Irland (Centric Health aus Dublin) die Tagesklinik für konservative Orthopädie in Oberwesel übernehmen und auf diesem Weg mit hausärztlichen Versorgungszentren auf dem deutschen Markt Fuß fassen wolle.

Mit der Kapitalspritze solle die Tagesklinik langfristig stabilisiert werden, heißt es im Bericht [4]. Dass die Tagesklinik von einem irischen Investor übernommen wurde, “haben wir aus der Tageszeitung erfahren”, erklärt Dr. Barbara Römer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz und Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes, gegenüber “Der Hausarzt”.

Mittlerweile ist der irische Konzern offenbar schon wieder an die Rothschild-Bank verkauft, sagt Römer. Dass private Investoren sich in Deutschland überhaupt derartig einnisten können, liegt an der Politik, findet Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes und Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. “Versorgungslücken müssen jetzt nur gefüllt werden, weil die Politik ihre Aufgaben verfehlt hat”, sagte sie beim Deutschen Hausärztetag in Berlin.

Bereits bei der Frühjahrstagung im Mai hatten die Hausärztinnen und Hausärzte einen umfangreichen Forderungskatalog an den Gesetzgeber beschlossen (siehe Kasten unten): Vor allem müsste den Ärztinnen und Ärzten hierzulande Vorrang vor privaten Investoren eingeräumt werden. Außerdem müsse Transparenz ins System, etwa mit einem Register und dem klaren Hinweis – auch auf dem Praxisschild –, wer hinter einem MVZ steckt.

Bereits monopolartige Stellungen in anderen Facharztdisziplinen

Auf ihrem Hausärztetag in Berlin betonten die Delegierten abermals per Beschluss, dass MVZ nur in der Nähe von Kliniken gegründet werden dürfen (siehe Kasten).

Damit soll verhindert werden, dass Private-Equity-Unternehmen in einem Bundesland ein unrentables Krankenhaus aufkaufen und damit in die Lage versetzt werden, etwa Praxissitze mit lukrativer Zukunft in anderen Bundesländern aufzukaufen.

Greift der Gesetzgeber nicht ein, könnte es im hausärztlichen Bereich bald genauso aussehen wie bei den Augenärzten, bei denen der Spuk vor Jahren angefangen hatte. Recherchen hätten ergeben, heißt es beispielsweise in einem ZDF-Bericht von April 2022 [5], dass “drei große, von Finanzinvestoren geführte Augenarztketten mittlerweile eine monopolartige Stellung in mehreren Städten und Landkreisen erreicht haben.”

In Kiel arbeiteten etwa inzwischen mehr als die Hälfte aller ambulant tätigen Augenärztinnen und -ärzte für das Unternehmen Sanoptis. Ähnlich sehe es in und um Augsburg aus.

Fazit

  • Grundsätzlich kann über ein MVZ gute medizinische Versorgung angeboten werden und ist auch als kooperative Form der Berufsausübung wichtig.
  • Allerdings sollte die Beteiligung von Investoren an MVZ auch für Patienten transparenter werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist ebenso, dass Klinik-MVZ nur noch in räumlicher Nähe zum Krankenhaus entstehen sollten, fordern Hausärztinnen und Hausärzte (s. Kasten).
  • Ebenso dürften Ärztinnen und Ärzte bei der Übernahme von Arztsitzen gegenüber privaten Investoren nicht das Nachsehen haben.

Quellen (alle zuletzt besucht am 11.10.2022):

1. “Avi Medical: Dieses Startup modernisiert den Hausarzt”, Munich Startup, 25.10.2021, www.hausarzt.link/vEvTq

2. “Mit stylischen Arztpraxen zum Millioneninvestment”, Deutsche Startups, 13.4.2022, www.hausarzt.link/vghhn

3. Tisch et al. “Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns mit Augenmerk auf MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren”, IGES, März 2022, www.hausarzt.link/Fuycd

4. “Türöffner für den MVZ-Markt: Irischer Investor übernimmt Tagesklinik in Oberwesel”, Rhein-Hunsrück-Zeitung, 22.3.2022, www.hausarzt.link/yRSXU

5. “So machen Investoren Gewinn mit Arztpraxen”, Hintergründe zur heute-show 29.4.2022, abzurufen über ZDFmediathek.

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