Im politischen Berlin findet ein andauernder Wettstreit um die Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit statt. Nur wer seine Themen auf die Agenda setzt, kann im Anschluss dafür werben, dass diese aufgegriffen und von der Politik dann auch mit entsprechenden Lösungen bedacht werden.
Dieses Phänomen ist in allen Politikfeldern zu beobachten, in der Gesundheitspolitik ist es jedoch aufgrund der sehr vielfältigen Interessenslage besonders ausgeprägt. Nicht umsonst wird das Gesundheitswesen im politischen Berlin häufig als “Haifischbecken” bezeichnet.
Im Fokus der Ampel-Koalition stand lange der stationäre Sektor. Und auch die Politik vor Ort eröffnet lieber feierlich den sanierten Westflügel irgendeines Krankenhauses als sich mit der ambulanten Versorgung auseinanderzusetzen. Doch das Funktionieren des ambulanten Sektors wurde zu häufig als selbstverständlich angesehen.
Das hat auch damit zu tun, dass das Wegbrechen ambulanter Strukturen nicht mit einem großen Knall erfolgt, sondern leise Schritt für Schritt stattfindet. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind für Politik und Öffentlichkeit erst nach und nach sichtbar. Wer allerdings im System arbeitet, weiß es besser.
Gerade der aktuelle Infektwinter hat die Probleme im ambulanten und insbesondere im hausärztlichen Bereich noch einmal deutlich zu Tage treten lassen. Die immer dramatischere Lage vielerorts machte eine noch deutlichere Kommunikation seitens des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes notwendig.
Manchmal braucht es die große Bühne
Dies geschah unter anderem über verschiedene Proteste auf Bundes- und Landesebene (www.hausarzt.link/kvw6N). Damit diese aber im Anschluss auch politisch Wirkung entfalten konnten, war es wichtig, die politisch Verantwortlichen und insbesondere Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) zu einer noch stärkeren politischen und medialen Auseinandersetzung mit dem Thema zu bewegen.
Aus diesem Grund haben wir über Monate hinweg sowohl öffentlich als auch hinter den Kulissen für einen Krisengipfel geworben. Diese Fokussierung hat es erlaubt, das Thema auf die Agenda zu heben und gleichzeitig die Verantwortlichen dazu zu bewegen, sich öffentlich zu positionieren und zur hausärztlichen Versorgung zu bekennen.
Hintergrundgespräche sind zweifelsohne unverzichtbar und bleiben auch in Zukunft wesentlicher Teil unserer politischen Arbeit. Die Verbindlichkeit steigt jedoch deutlich, wenn Themen auf offener Bühne zur Sprache kommen.
Das Ergebnis des Krisengipfels war ein Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums, in welchem eine ganze Reihe von Forderungen der Hausärztinnen und Hausärzte aufgegriffen wurden (www.hausarzt.link/qQggm) – verbunden mit der Ankündigung, dies noch in diesem Jahr in ein Gesetz zu gießen. Ohne die Einberufung eines Krisengipfels und dem damit verbundenen öffentlichen Druck wäre dies nicht zu Stande gekommen.
Lösungen aufzeigen statt nur zu jammern
Ein weiterer strategischer Ansatz, der uns auch teilweise von anderen Verbänden unterscheidet, ist, dass wir der Politik mit konkreten und umsetzbaren Lösungsstrategien begegnen. Das Hinweisen auf Missstände ist richtig und notwendig.
Damit sich dies in der Folge dann aber auch gesetzgeberisch niederschlägt, braucht es konkrete Vorschläge, wie eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung aussehen kann. Diese dürfen sich nicht im Abstrakten verlieren oder inhaltlich völlig überzogen sein, sondern müssen unter den politischen Rahmenbedingungen auch konkret umsetzbar sein. Ansonsten steht man schnell als quengelndes Kind im politischen Abseits.
Zwangsläufig bedeutet das auch, dass nicht alles, was inhaltlich wünschenswert und geboten ist, auch eins zu eins umgesetzt werden kann. Aber nur wer sich die Mühe und Arbeit macht, konkrete Vorschläge zu erarbeiten und vorzulegen, kann darauf hoffen, Gehör zu finden.
Komplexe Gesetzgebung steht noch aus
Zur Wahrheit gehört aber natürlich auch: Das Bekenntnis des Bundesgesundheitsministers, die hausärztliche Versorgung mit konkreten Maßnahmen zu stärken, ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Erreicht ist allerdings noch nichts.
Zunächst steht ein komplexes parlamentarisches Verfahren bevor, in welchem auch die schwierigen Dynamiken innerhalb der Ampel-Koalition eine große Rolle spielen. Alle drei Koalitionspartner müssen das Vorhaben am Ende des Tages unterstützen. Dass dabei nicht nur die Inhalte, sondern häufig auch die Interessen und Machtverhältnisse innerhalb der Koalition eine entscheidende Rolle spielen, ist offensichtlich.
Und auch wenn das Gesetz hoffentlich bald entschieden ist, werden damit voraussichtlich viele Aufgaben mit Blick auf die konkrete Verhandlung und Umsetzung an die Selbstverwaltung, also Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), übergeben.
Es wird also noch einiges Wasser die Spree hinabfließen, bevor der erste Euro Richtung Hausärztinnen und Hausärzte fließt. Wir werden uns auf einen Marathon einstellen müssen, auf dem wir die Interessen unserer Mitglieder mit Nachdruck vertreten werden.