© doctopia EKG der 63-jährigen Patientin (Papiervorschub 25 mm/s)
EKG-Befund
Das EKG zeigt einen normofrequenten Sinusrhythmus, einen Indifferenzlagetyp und normale Zeiten (PQ, QRS, QTc). Im Prinzip handelt es sich um ein normales EKG. Auffällig sind die ventrikulären Extrasystolen (VES), die verfrüht einfallen und typische kompensatorische Pausen zur Folge haben. Die VES hat einen überdrehten Rechtslagetyp und eine Rechtsschenkelblock-ähnliche Morphologie.
Weiterführende Diagnostik
Aufgrund der beschriebenen Symptomatik leiten Sie weitere diagnostische Schritte ein.
Die Laboranalytik ergibt keinen wegweisenden Befund; Blutbild, Nierenretentionsparameter, Elektrolyte, Leber- und Schilddrüsenwerte sind unauffällig. Das Ergebnis des 24-Stunden-EKG lautet: Aufzeichnungsdauer 23:59 h. Gesamt: 95.435 Schläge. Durchgehender Sinusrhythmus. Minimale Frequenz 42/min, maximale Frequenz 152/min. Zirkadiane Rhythmik vorhanden.
Keine supraventrikulären Tachykardien. 102 supraventrikuläre Extrasystolen (SVES). Keine ventrikulären Tachykardien. 13.467 polymorphe VES. 145 ventrikuläre Couplets. Keine Pausen über mehr als 2 Sekunden.
Bei der Ergometrie finden sich schon zu Beginn einige VES. Bereits bei 50 Watt steigt die Zahl deutlich an. Bei 100 Watt wird die Untersuchung noch vor der maximal berechneten Ausbelastung aufgrund peripherer Erschöpfung abgebrochen. Auf dieser Leistungsstufe fällt zeitweise ein ventrikulärer Bigeminus auf, was ohnehin einen Abbruchgrund darstellen kann.
Echokardiografisch zeigen sich normale Größen von Ventrikel und Atrien. Die systolische linksventrikuläre Funktion liegt im unteren Normbereich ohne regionale Kinetikstörungen und die systolische rechtsventrikuläre Funktion ist normal. Eine Hypertrophie und relevante Klappenvitien sowie ein Perikarderguss können ausgeschlossen werden.
Prozedere
Prinzipiell gilt es, vor Beginn einer Therapie eine strukturelle Ursache für die Extrasystolen auszuschließen. Sind die Befunde der kardiologischen Basisdiagnostik nicht eindeutig, kann ergänzend eine Kardio-MRT durchgeführt werden.
In diesem Fall lässt der stattgehabte grippale Infekt als möglicher Auslöser zusammen mit der niedrig-normalen systolischen linksventrikulären Funktion an eine mögliche Myokarditis denken, die sich echokardiografisch nicht mit letzter Konsequenz ausschließen lässt. Zusätzlich lässt sich – nach Ausschluss einer aktiven Inflammation – in derselben Sitzung per Stress-MRT eine myokardiale Ischämie ausschließen.
Insbesondere bei eingeschränkter Sicht in der transthorakalen Echokardiografie kann die MRT außerdem hilfreich in der Detektion einer hypertrophen Kardiomyopathie (HCM) mit echokardiografisch schwierig einschätzbarer Lokalisation und einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie (ARVC) sein.
Gibt es eine kausale Behandlungsoption, sollte diese zuerst erfolgen. Typische Beispiele wären eine myokardiale Ischämie oder Herzinsuffizienz. Findet sich keine strukturelle Ursache, spricht man von einer idiopathischen ventrikulären Extrasystolie.
Idiopathische VES – was tun?
Für die Entscheidung, ob eine idiopathische ventrikuläre Extrasystolie therapiebedürftig ist, spielen zwei Faktoren eine Rolle:
Symptomatik
prozentualer Anteil der Extrasystolen
Zuerst wird eruiert, ob bei den Patienten eine alltagsrelevante Symptomatik besteht. Lassen sich die Symptome durch eine ausführliche Aufklärung nicht relativieren, besteht die Indikation zur Therapie.
Mittels Langzeit-EKG lassen sich die Extrasystolen quantifizieren. Je höher der Anteil der VES im Vergleich zu Sinusschlägen, desto größer die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Kardiomyopathie als gefürchtete langfristige Komplikation einer ausgeprägten Extrasystolie.
In der Literatur werden unterschiedliche Angaben zu einer kritischen Grenze aufgezeigt. 10 Prozent VES gelten als das Minimum zur Entwicklung einer Kardiomyopathie. Weitere Risiken sind unter anderem ein kurzes Kopplungsintervall, ein epikardialer Ursprung und häufige nichtanhaltende ventrikuläre Tachykardien.
Besteht keine ausgeprägte Symptomatik, ist zumindest eine regelmäßige Echokardiografie sinnvoll. Ab 20 Prozent Extrasystolen wird eine Therapie generell empfohlen.
Nach erneuter Analyse des Langzeit-EKG unserer Patientin mit Fokus auf die ventrikulären Extrasystolen lassen sich zwei dominante Morphologien isolieren, die etwa im Verhältnis 8:1 vorkommen. Der Anteil der VES berechnet sich auf 13.467/95.435, was circa 14 Prozent entspricht.
Ein Kardio-MRT bestätigt die niedrig-normale linksventrikuläre Funktion und schließt eine myokardiale Ischämie aus. Es findet sich ein kleines myokardiales Narbenareal, wie es typischerweise nach einer Myokarditis auftreten kann.
Hinweise auf eine aktive Myokarditis im Sinne eines myokardialen Ödems finden sich nicht. In Zusammenhang mit der von der Patientin beschriebenen Infektion wenige Wochen vor Beginn der Symptomatik wird die postmyokarditische Extrasystolie zur wahrscheinlichsten Differenzialdiagnose.
Wie therapieren?
Grundsätzlich gibt es für die ventrikuläre Extrasystolie zwei Therapieoptionen:
Eine medikamentöse Therapie. Hierfür stehen Betablocker, Calciumantagonisten vom Verapamil-Typ und andere Antiarrhythmika zur Verfügung.
Die kathetergeführte Ablation.
Die Entscheidung für eine bestimmte Therapiestrategie hängt von mehreren Faktoren ab. Liegt der Ursprung nicht im rechtsventrikulären Ausflusstrakt (RVOT) oder dem linken Faszikel und ist die linksventrikuläre Funktion normal, sind Betablocker oder Calciumantagonisten Mittel der Wahl. Steigt der Anteil der Extrasystolen unter Belastung, ist beispielsweise ein Betablocker zu bevorzugen.
Eine Therapie mit Betablockern oder Calciumantagonisten sollte bis zur maximal vertragenen Dosis gesteigert werden, um einen Therapieerfolg wie bestenfalls Symptomfreiheit und/oder eine relevante Reduktion der VES-Last zu erzielen.
Extrasystolen treten nicht selten bei ansonsten gesunden Personen auf. Besteht nicht gleichzeitig eine arterielle Hypertonie, sind Nebenwirkungen von Betablockern umso häufiger. Leider bestehen häufig Limitationen in der Anwendung wegen niedriger Blutdruckwerte, Müdigkeit und Schwindel. Alternativ können nach Ausschluss struktureller Herzerkrankungen auch Klasse-I-Antiarrhythmika wie Flecainid versucht werden.
Für alle idiopathischen ventrikulären Arrhythmien, die aus dem RVOT oder dem linken Faszikel kommen, gilt die Ablation als primär bevorzugte Therapie. Ist die Ablation einer linksfaszikulären Extrasystolie nicht erfolgreich oder gewünscht, gelten Calciumantagonisten als Medikament der ersten Wahl.
VES und ventrikuläre Tachykardien aus dem RVOT zeigen charakteristische EKG-Veränderungen wie einen inferioren Lagetyp (zum Beispiel Steiltyp) und einen frühen R/S-Umschlag spätestens in V3. Linksfaszikuläre VES haben eine rechtsschenkelblockartige Morphologie und aufgrund der partiellen Integration des intrinsischen Leitungssystems einen relativ schmalen QRS-Komplex (circa 130 ms).
Zur Therapiekontrolle erfolgt eine Quantifizierung der Extrasystolen mittels erneuter Langzeit-EKG-Registrierung, am besten mindestens über 48 Stunden, um Tagesschwankungen zu mitteln.
Ablation bei unserer Patientin
Bei der Patientin zeigt sich mit halbmaximaler Betablocker-Dosis eine Reduktion der Extrasystolie auf etwa 10 Prozent. Die initial beschriebenen Symptome treten nun zwar seltener auf, werden aber von der Patientin mit ähnlicher Intensität beschrieben. Sie fühlt sich dadurch im Alltag weiterhin deutlich eingeschränkt.
Eine weitere Steigerung der Dosis ist aufgrund von Nebenwirkungen nicht möglich. Da sich in der Ergometrie eine Zunahme der VES unter Belastung gezeigt hat, wird der Betablocker grundsätzlich dem Calciumantagonisten vorgezogen. Aufgrund des im MRT gestellten Verdachts auf eine myokardiale Narbe wird auf die Therapie mit einem Klasse-I-Antiarrhythmikum wie Flecainid wegen potenzieller proarrhythmischer Nebenwirkungen aus Sicherheitsgründen verzichtet.
In diesem Fall kann eine kathetergeführte Ablation weiterhelfen. Für den Erfolg einer invasiven Therapie ist es wichtig, dass nicht zu viele verschiedene Morphologien im Langzeit-EKG vorliegen. Die Morphologie der VES ist Ausdruck des anatomischen Ursprungs.
Sehen die VES sehr unterschiedlich aus und haben beispielsweise einen deutlich anderen Lagetyp, kommen sie aus verschiedenen Orten der Ventrikel. Während der Ablation ist eine anatomische Lokalisation einer VES mit spezifischer Morphologie nur dann möglich, wenn diese in dem Moment auch auftritt.
Wechseln sich verschiedene VES in kurzen Zeitabständen ab, kann bereits die Terminierung der dominanten Form eine Herausforderung darstellen. Umso wichtiger ist es, in einem Langzeit-EKG-Befund die Prävalenz der einzelnen Morphologien abzuschätzen. Macht eine dominante Form den Hauptanteil aus, kann eine Ablation zielführend sein.
Interessenkonflikte: Der Autor ist Gründer und Geschäftsführer der Doctopia GmbH.
Quelle:
Zeppenfeld K et al. 2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death . Eur Heart J. 2022 Oct 21; 43(40):3997–4126.
*Die Fälle der Serie werden teilweise aus akademischen Gründen etwas abgewandelt.
Doctopia (www.doctopia.de ) ist eine Online-Lernplattform “von Medizinern für Mediziner”. Auf der Webseite finden Sie nach kostenloser Registrierung eine große Bibliothek (Video-Podcasts, Karteikarten, Multiple-Choice-Fragen) aus der gesamten Breite der Inneren Medizin. Zudem hat das Team von Doctopia einen kostenpflichtigen Online-EKG-Kurs entwickelt. Dieser wurde von der Ärztekammer Berlin mit 12 CME-Punkten zertifiziert und bietet neben kompakten Erklärvideos, Karteikarten und Quizfragen einen großen Fundus an EKG-Fällen mit der Möglichkeit der interaktiven EKG-Befundung. Alle EKG lassen sich mit 50 mm/s und 25 mm/s Papiervorschub anzeigen.