Diabetes und Schwangerschaft
In früheren Jahrzehnten wurde Frauen mit Typ-1-Diabetes von einer Schwangerschaft abgeraten. “Heute steht ihnen in der Regel bei einem Kinderwunsch dank moderner Insulintherapien und Glukosemesssystemen nichts mehr im Weg”, so Dr. Heinke Adamczewski, Köln. Doch viele Typ-1-Diabetikerinnen mit Kinderwunsch haben trotz moderner Therapien Zweifel, ob sie schwanger werden und ihr Kind gesund zur Welt bringen können.
Die Zahl Schwangerer mit Typ-1-Diabetes, aber auch mit einem bereits bestehenden Typ-2-Diabetes nimmt zu. Gründe hierfür sind unter anderem ein in der Bevölkerung durchschnittlich gestiegener BMI sowie das im Mittel höhere Alter der schwangeren Frauen.
Der Gestationsdiabetes (GDM) ist die häufigste Komplikation bei bislang stoffwechselgesunden schwangeren Frauen. Ca. 65.000 Frauen erkranken jährlich in Deutschland daran. GDM bereitet keine Beschwerden und wird daher meist nur im Rahmen des in den Mutterschaftsrichtlinien verankerten Screenings erkannt.
Unerkannt und somit auch unbehandelt führt der GDM häufiger zu Geburtskomplikationen als bei stoffwechselgesunden Müttern. Und die Hälfte der Schwangeren mit einem GDM entwickelt innerhalb von zehn Jahren nach der Entbindung einen Typ-2-Diabetes.
Diabetes und Gehirn
In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass das Gehirn ein insulinsensitives Organ ist. Die Wirkung des Insulins im Gehirn spielt eine wichtige Rolle im menschlichen Körper. Sie beeinflusst unter anderem den Gesamtkörperstoffwechsel, die Körperfettverteilung und das Essverhalten.
Doch bei einer Reihe von Menschen spricht das Gehirn nicht auf Insulin an. Man spricht von einer Insulinresistenz des Gehirns. Studien mit männlichen Teilnehmern ergaben, dass Personen mit einer verringerten oder sogar fehlenden Reaktion auf Insulin im Gehirn zu einer Gewichtszunahme und einer Ansammlung von viszeralem Fett neigen.
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten auf Geschlechtsunterschiede bei der zerebralen Insulinempfindlichkeit hin. “Auch konnte gezeigt werden, dass der Menstruationszyklus die Insulinaktivität im Gehirn beeinflussen kann und bei Frauen die Insulinwirkung mit zunehmenden Alter abnimmt”, so Prof. Dr. Martin Heni, Ulm.
Die Insulinresistenz betrifft vor allem die limbische Region wie den Hippocampus. Interessanterweise zeigt sich nur bei Frauen nach dem 50. Lebensjahr eine Abnahme der Insulinwirkung im Hippocampus, während sich die Insulinwirkung im Hippocampus bei Männern mit zunehmendem Alter zwischen 20 und 70 Jahren nicht verändert. Da der Hippocampus für die Gedächtnisprozesse wichtig und beim Morbus Alzheimer betroffen ist, könnte dies für kognitive Beeinträchtigungen und möglicherweise bei der Manifestation von Alzheimer eine Rolle spielen.
“Neue Daten legen nahe, dass eine Insulinresistenz des Gehirns zu kognitiven Beeinträchtigungen führen kann und zwar unabhängig von einer Ganzkörper-Insulinresistenz”, so Prof. Dr. Stephanie Kullmann, Tübingen. Es konnte auch gezeigt werden, dass eine nasale Insulingabe bei Frauen während der Follikelphase, also vor dem Eisprung eine höhere Insulinsensitivität besteht als während der Lutealphase, also der Zeit nach dem Eisprung, was für eine Insulinresistenz in dieser Zyklusphase spricht.
GLP-1-RA und Adipositas
Beim Kongress gab Prof. Baptist Gallwitz einen Überblick über GLP-1-Rezeptoragonisten. Sie hätten in Studien eine sehr gute Wirksamkeit und Sicherheit gezeigt. Neben der Blutzuckersenkung ohne ein eigenes Hypoglykämierisiko verlangsamten sie die Magenentleerung und steigerten durch eine direkte Wirkung im Stammhirn das Sättigungsgefühl, das zu Beginn der Therapie oft auch bis zur Übelkeit reichen kann. Dies führe zu einem Gewichtsverlust und auch der Blutdruck werde leicht gesenkt.
Die GLP-1-RA Albiglutid, Dulaglutid, Liraglutid und Semaglutid zeigten in Langzeitstudien eine organprotektive Wirkung bzgl. kardiovaskulärer Endpunkte (kombinierter MACE-3-Endpunkt aus plötzlichem Herztod, nicht tödlichem Herzinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall). Auch das Risiko eines renalen Endpunkts wurde gesenkt.
Deshalb werden die GLP-1-RA in den Leitlinien bei Menschen mit einem Diabetes Typ-2 und kardiovaskulären oder renalen Erkrankungen bzw. bei einem erhöhten Risiko für eine solche Erkrankung als bevorzugte Therapieoption empfohlen, sagte Gallwitz.
Der gewichtssenkende Effekt hat zur Zulassung von Liraglutid und Semaglutid in höheren Dosen bei Typ-2-Diabetes zur Adipositastherapie geführt. Semaglutid konnte in einer Langzeitstudie (SELECT-Studie) bei Adipösen mit hohem kardiovaskulären Risiko oder manifester kardiovaskulärer Erkrankung das kardiovaskuläre Risiko senken. Allerdings lehnte die EMA Ende Juli eine Zulassungserweiterung zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse ab.
Mittlerweile ist mit Tirzepatid ein erster Inkretin-Doppelagonist, der sowohl die Rezeptoren von GIP als auch von GLP-1 stimuliert, zur Therapie des Diabetes und der Adipositas zugelassen. Die Strategie, Doppel- und Mehrfachagonisten für Inkretine und Glucagon zu entwickeln, beruht auf der Hypothese, dass diese Doppel- und Mehrfachagonisten stärker wirken als die klassischen GLP-1-RA. “Tirzepatid war in einer Studie im Direktvergleich mit Semaglutid stärker HbA1c-senkend und auch der Gewichtsverlust war größer”, so Prof. Baptist Gallwitz, Berlin.
Neue Entwicklungen bei der diabetischen Polyneuropathie
“Der klinische Stellenwert der diabetischen Polyneuropathie (DSPN) wird häufig unterschätzt. Sie kann bereits im Stadium des Prädiabetes auftreten. Das Krankheitsbild ist unterdiagnostiziert und untertherapiert. Die DSPN ist auch mit einem erhöhten Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis und einer erhöhten Sterberate assoziiert. Die Pathophysiologie ist komplex und noch nicht vollständig aufgeklärt”, so Prof. Dr. Julia Szendrödi, Heidelberg.
Sie resultiert aus einer Vielzahl von Störungen auf zellulärer und Gewebeebene, die sowohl vaskuläre als auch neuronale Dysfunktionen hervorrufen. Das unzureichende Verständnis der Pathophysiologie ist ein Grund dafür, dass bislang keine wirksamen krankheitsmodifizierenden Medikamente zur Verfügung stehen.
Der wichtigste Ansatz zur Behandlung ist die Optimierung der Diabetestherapie. Ansonsten steht die Symptomlinderung im Vordergrund.
In einer neueren Studie wurde die Wirksamkeit von Amitriptylin, Duloxetin und Pregabalin als Monotherapie und als Kombinationstherapie miteinander verglichen im Hinblick auf Schmerzreduktion.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Ansprechen auf eine Monotherapie ähnlich war. Bei Patienten, die auf eine Monotherapie nicht ausreichend reagierten, führte die Kombinationstherapie zu einer signifikant stärkeren Schmerzreduktion. Zwischen den unterschiedlichen Kombinationen fanden sich jedoch keine signifikanten Unterschiede (S. Tesfaye et al., Lancet. 2022 Aug 27;400(10353):680-690).