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KongressberichtPräzisionsmedizin: Wünsche und Wirklichkeit

Was ist wirklich dran an der Präzisionsmedizin? Wird die Vervielfältigung molekularer Zielmoleküle randomisierte Therapiestudien obsolet machen? Das sind nur zwei Fragen, die beim diesjährigen DGIM-Kongress diskutiert wurden.

Neuroleptika werden bei betagten Patientinnen und Patienten häufig eingesetzt.

Absetzen von Psychopharmaka: Nicht zu früh und nicht zu schnell!

Die Polypharmazie bei älteren multimorbiden Patienten ist ein großes Problem. Häufig erhalten solche Patienten auch Psychopharmaka. Doch müssen diese unbedingt dauerhaft verordnet werden? Ist weniger vielleicht sogar mehr?

Psychopharmaka stehen auf der Wunschliste der Hausärzte für Substanzen, die sie gerne absetzen möchten, ganz oben. Darin spiegelt sich die große Angst vor etwaigen Nebenwirkungen wieder. Diese sind die QTc-Zeit-Verlängerung, die den Nährboden für vital bedrohliche ventrikuläre Tachykardien darstellt, Stürze mit konsekutiven Frakturen und die Demenz, letztere vor allem bei trizyklischen Antidepressiva. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Indikation immer wieder zu überprüfen und eventuell einen Absetzversuch zu wagen.

Depressive Störungen sind die häufigsten affektiven Störungen im Alter. Sie gehen meist mit somatischen Beschwerden und Komorbiditäten einher. Nicht selten wird die Depression in dieser Altersgruppe auch übersehen.

Doch darf man Trauer und Depression nicht verwechseln. Gerade der alte Mensch muss manchmal in kurzer Zeit viele Verlustsituationen betrauern. Bei einer leichten Depression zeigt die medikamentöse Therapie im Vergleich zu Placebo auch nur eine geringe Wirkung, so dass man durchaus auf ein Antidepressivum verzichten kann.

Bei einer mittelschweren bis schweren Depression sind jedoch Antidepressiva indiziert. Bei alten Patienten werden SSRI wie Citalopram, Escitalopram und Sertralin empfohlen.

Doch darf man Antidepressiva auch mal wieder absetzen? Ja, aber nicht zu früh und nicht zu schnell. Ein zu frühes Absetzen erhöht das Rezidivrisiko. Empfohlen wird daher, das Antidepressivum vier bis neun Monate über die Remission hinaus zu geben. Und das Absetzen sollte ausschleichend über vier Wochen erfolgen.

Doch dabei kann es zu einem Absetzsyndrom kommen, das über ein bis zwei Wochen anhält und mit vielerlei Symptomen einhergeht. Dazu gehören Unruhe, Übelkeit, Schlafstörungen und grippeähnliche Symptome. Bei einem leichten Absetzsyndrom kann man zuwarten und den Patienten beruhigen. Bei starken Symptomen muss man das Antidepressivum wieder ansetzen und dann später langsamer über einen längeren Zeitraum erneut ausschleichen.

Auch Neuroleptika werden häufig bei betagten Patienten eingesetzt. Sie werden vor allem verordnet bei demenzbedingten Verhaltensauffälligkeiten, nämlich bei einem aggressiven herausfordernden Verhalten und bei demenzbedingten Schlafstörungen. Auch sie gehen mit einer Reihe von Nebenwirkungen einher insbesondere extrapyramidal-motorischen und kognitiven Störungen und Verlängerungen der QTc-Zeit.

Deshalb wird auch von Angehörigen und Pflegenden häufig eine Dosisreduktion bzw. ein zumindest zeitweiliges Absetzen gewünscht. Auch hier empfiehlt sich ein allmähliches Ausschleichen mit einer Dosisreduktion von 25 bis 50 Prozent innerhalb von ein bis zwei Wochen, so dass man insgesamt vier Wochen benötigt.

Sollte der erste Absetzversuch nicht erfolgreich sein, so sollte man einen erneuten Versuch nach drei Monaten wagen (Cornel C. Sieber, Winterthur).

RSV: Risikokinder identifizieren

RSV (respiratory syncytial virus) ist weltweit eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität bei Kindern. Es stellt die zweithäufigste Todesursache bei Kindern < 1 Jahr dar. 90 Prozent der Kinder infizieren sich in den ersten zwei Lebensjahren. 50 Prozent aller Fälle einer Pneumonie und 90 Prozent der Fälle einer Bronchiolitis sind auf RSV zurückzuführen.

Für die Manifestation einer RSV-Infektion konnte eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert werden. Diese umfassen medizinische, sozial- und saisonal-bedingte Risiken.

Zu ersteren gehören neben der Frühgeburtlichkeit die Immunschwäche bzw. Immunsuppression, neurologische bzw. neuromuskuläre Erkrankungen, relevante angeborene Herzfehler, Down-Syndrom, niedriges Geburtsgewicht, männliches Geschlecht, kurze Stillzeit (< 2 Monate), Ernährungsdefizite, Mehrlingsgeburt, Tabakrauch, Atopien und Asthma/Giemen in der Familienvorgeschichte.

Die sozial bedingten Risiken umfassen Geschwister im Kindergarten- oder Schulalter, Besuch einer Kindertagesstätte, enge Wohnverhältnisse und niedriger Sozialstatus.

Aktuell hat sich die STIKO für eine RSV-Prophylaxe mit Nirsevimab ausgesprochen. Sie empfiehlt den monoklonalen Antikörper für alle Neugeborenen und Säuglinge in ihrer ersten RSV-Saison. Laut BMG ist ab Herbst mit der Kostenerstattung für Nirsevimab zu rechnen. (Tino Schwarz, Würzburg).

Autoinflammationssyndrome: Unklares Fieber

Es handelt es sich um seltene Erkrankungen und es vergehen oft viele Jahre, bevor die richtige Diagnose gestellt wird. Die Rede ist von den Autoinflammationssyndromen. Dazu gehören die Systemische juvenile idiopathische Arthritis (SJIA), auch Morbus Still genannt, und periodische Fiebersyndrome wie das Familiäre Mittelmeerfieber.

Bei der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis ist der ganze Körper betroffen, nicht nur die Gelenke. Der Krankheitsverlauf ist sehr variabel, nämlich persistierend oder polyzyklisch. Typisch für die Erkrankung sind wiederholte Fieberschübe mit Spitzen spätnachmittags oder frühmorgens, ein flüchtiger lachsfarbiger Hautausschlag und schmerzhafte Gelenk- und/oder Sehnenscheidenentzündungen.

Zusätzlich können eine Lymphadenopathie bzw. eine Hepatosplenomegalie auftreten. Schwerwiegende Komplikationen sind das Makrophagen-Aktivierungssyndrom und die Amyloidose.

Auch bei den periodischen Fiebersyndromen finden sich neben den Fieberschüben Hautausschläge und Schmerzen im Bauch-und Brustbereich. Dazu gehört neben anderen Formen (CAPS, HIDS, TRAPS) das Familiäre Mittelmeerfieber, das überwiegend bei Menschen aus der östlichen Mittelmeerregion auftritt. Es handelt sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung und die Diagnose kann durch eine genetische Untersuchung gesichert werden.

Bei der Pathogenese der Autoinflammationssyndrome spielt das Interleukin-1β die entscheidende Rolle. Dieses entzündungsfördernde Zytokin wird bei all diesen Erkrankungen vermehrt freigesetzt. Daraus ergibt sich als Therapieziel die Blockade von Interleukin-1.

Mit Canakinumab steht ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der selektiv Interleukin-1β hemmt und somit eine hocheffektive Therapiestrategie für alle Autoinflammationssyndrome darstellt. Beim familiären Mittelmeerfieber ist Colchicin das Mittel der ersten Wahl.

Bei Versagen dieser Therapie sollte dann Canakinumab eingesetzt werden. Mit dieser Substanz können 60 bis 70 Prozent der Patienten eine Vollremission erreichen (Michael Pankow, Berlin).

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