Serie KollegentippsEine Praxis durchgängig digital

Hausarzt Stefan Spieren probiert gern neue Technik aus. Für "Der Hausarzt" gibt er einen Einblick, wie inzwischen digitale Anwendungen sein Praxisteam an vielen Stellen entlasten und somit Ressourcen sparen.

Wer seine Daten nicht online vorab ausfüllt, macht dies in der Praxis per Tablet.

Montagmorgen, das Telefon schweigt. In der Praxis von Stefen Spieren und seinen vier Kolleginnen und einem Kollegen beginnt der ansonsten stressigste Morgen der Woche – entspannt. Ab halb acht kommen die ersten Menschen, um sich Blut abnehmen zu lassen. Um acht startet die Sprechstunde. Stau im Wartezimmer gibt es selten. Vor allem ist es angenehm ruhig.

Denn das sonst übliche Dauerklingeln am Morgen und die damit verbundene Terminvergabe, die meist eine Medizinische Fachangestellte (MFA) übernimmt, gibt es in der Praxis in Südwestfalen nicht. Der Grund für die Ruhe und den entspannten Wochenstart liegt in der Technik.

Die Praxis Spieren und Kollegen, die der Allgemeinarzt und Chirurg mit seiner Frau Julia, ebenso Allgemeinärztin, betreibt, setzt seit Jahren auf digitale Prozesse. Und das durchgängig. Anrufer empfängt beispielsweise ein Bot. Die Sprachsoftware lotst sie per Fragen durch ein System. Patientinnen und Patienten können Termine über den Bot buchen und werden direkt in den Praxiskalender eingetragen.

EDV-affinere Menschen greifen aber erst gar nicht zum Telefon, sondern klicken sich auf der Praxiswebseite durch die Fragen und landen bei der digitalen Terminvergabe. Dort angekommen, wählen sie eigenständig einen Termin aus. Ohne MFA-Hilfe oder ein Telefongespräch.

Stefan Spieren, der einen MBA in Betriebswirtschaft hat, bezeichnet sich selbst als “Early Adopter”. Also als jemanden, der gerne zu den ersten gehört, wenn es darum geht, Software oder dazugehörige Endgeräte auszuprobieren – um sie letztlich in den Praxisalltag zu integrieren.

“Wir suchen permanent nach Neuem und setzen ein, was uns die Arbeit erleichtert”, beschreibt der Sauerländer seine Prämisse. Das war schon so, als der inzwischen verstorbene Vater Werner noch die Praxis leitete und in den 1990er Jahren den ersten PC installierte.

Datenzugriff von überall

Inzwischen sind 30 Jahre vergangen. Die Praxis hat der Sohn 2015 als Quereinsteiger, nach seiner Facharztausbildung zum Chirurgen im Krankenhaus, übernommen und von da an sukzessive die IT ausgebaut. Heute läuft alles webbasiert und zentral gespeichert in einem 150 Kilometer entfernten Rechenzentrum.

Einen Server im Praxiskeller gibt es nicht mehr. “Alle Daten liegen schon seit Jahren sicher und jederzeit abrufbar in Frankfurt in der Cloud”, so Spieren, der sich an keinen signifikanten Ausfall erinnern kann. Stattdessen aber von überall auf Patientendaten Zugriff hat.

So können einige der fünf MFA sogar im Home-Office arbeiten und müssen nicht in den Praxisräumen sitzen. Von da aus kümmert sich die Kollegin um E-Rezepte, beantwortet E-Mails, ruft, falls nötig, Patientinnen und Patienten zurück und übernimmt Abrech-nungen. Alle Prozesse laufen papierlos.

Und das schon seit fast zwei Jahren. “Die Prozesse waren ja da, nur genutzt haben sie nicht alle Praxen oder Apotheken”, sagt Spieren, der den umliegenden Pharmazeuten signalisiert: Ab sofort gibt es elektronische Rezepte. Nach anfänglichen Bedenken ziehen diese mit. Und als im vergangenen Sommer das E-Rezept via Versichertenkarte transportabel wird, “ruft mich der Apotheker aus dem Nachbarort an und ist total happy, schon umgestellt zu haben”, berichtet Spieren stolz. Der umtriebige Arzt sieht sich in seinem Handeln bestätigt.

Tablet erkennt Patientenprofil

Das war schon 2016 so: “Wir gehörten damals zu den Ersten, die einen Telefon-Bot einsetzten”, erinnert sich der 46-jährige Vater von vier Kindern. Und weil der Markt noch nicht die passenden Lösungen im Angebot hatte, ließ Spieren den ersten Sprachroboter auf die eigenen Bedürfnisse programmieren. Inzwischen geht in der Hausarztpraxis in der 3.500-Einwohner großen Gemeinde Wenden nichts mehr ohne vernetzte Computer.

Patientinnen und Patienten, die nicht schon online vorab ihre Fragebögen ausgefüllt haben, tippen in der Praxis auf ein Tablet. Auch hier eine Arbeitserleichterung: Die dahinter liegende Software erkennt anhand der Versichertenkarte das Patientenprofil und sortiert automatisch die passenden Fragebögen zusammen. Inklusive Datenschutzvereinbarung, die jährlich frisch unterzeichnet werden muss.

Täglich am Vormittag bietet die Hausarztpraxis zudem Videosprechstunden an. Der Kreis Olpe liegt in einer Flächenregion: Für viele ist der Weg zur Praxis oft mühsam. Busverbindungen sind rar und so nutzen inzwischen etliche das Videoformat, das online über die Webseite der Praxis gebucht wird.

Dort findet sich das Angebot übersichtlich gegliedert: Wer akute Beschwerden oder einen Infekt hat, landet mit drei Klicks auf einem Online-Kalender. Auf dem er oder sie wahlweise einen Videotermin buchen kann – oder einen Termin in der Praxis. Die Sprechzeiten dahinter sind täglich dieselben.

Am Mittag ist Akut- und Infekt-Zeit. Neben einer Route für Neupatienten finden sich auf der Startseite ferner Klickstrecken zu Vorsorgechecks, Impfterminen und das AU-Telefon. Außerdem können sich Interessierte für einen Newsletter anmelden, um Neuigkeiten aus der Praxis per Mail zu erhalten und es gibt ein Digitaltraining.

Digitaltraining für Patienten

Bei Letzterem zeigen MFA, wie das Online-System der Praxis funktioniert. Und zwar persönlich und live. “Wir machen keine Gruppenseminare”, sagt Spieren. Stattdessen habe es sich bewährt, die Leute individuell zu trainieren. Denn die Masse sei heterogen, was eine Standardschulung quasi unmöglich mache. Vielmehr setzten die Fachkräfte da an, wo Bedarf besteht.

“Manchmal erklären wir Rudimentäres wie die Funktion eines Browsers oder einer E-Mail”, verdeutlicht Spieren, der den Hinweisen seiner MFA folgt, wenn es um neue IT-Gadgets geht. Eine Zusatzausbildung zur Digitalmanagerin sei für die Fachkräfte übrigens sinnvoll. Vor allem entlaste eine digital ausgebildete MFA die Vorgesetzten – falls diese weniger IT-affin sind, findet Spieren.

Mehr Zeit für Gespräche

Mit etwa 1.000 Euro monatlichen Softwarekosten rechnet der Mediziner für die inzwischen fast vollständig digitalisierte Praxis. Im Gegenzug dafür ist es “mir aber möglich, mehr qualifizierte Gespräche zu führen”, sagt Spieren. Denn Teil der Wahrheit sei auch, dass durch das digitale Angebot weniger Patientinnen und Patienten in die Praxis kommen – etwa, weil sie ihre Rezepte, Facharztüberweisungen und Krankschreibungen nicht mehr abholen müssen.

Damit fehle abrechenbare Zeit und letztlich Geld in der Kasse. Dafür hat Spieren mehr Kapazitäten für persönliche Patientenkontakte, um etwa Vorsorgen anzubieten: Darmkrebsvorsorge, Patientenverfügung, Stuhlproben, Impfauffrischung, Langzeit-EKG – oder einfach den Blutdruck messen. Dank straffer Prozesskette bleibe dafür mehr Zeit.

Und was ist die größte Schwierigkeit, um eine Praxis zu digitalisieren? “Das Schnittstellenmanagement”, antwortet Spieren. Der beste Telefon-Bot bringe nichts, wenn er nicht an den Terminkalender angebunden sei. Auch der automatisierte Zugriff auf die Patientendaten bei der elektronischen Anamnese sei zwingend.

Das hat schon Vater Werner vor Jahrzehnten verstanden: So sind Praxis und Wohnhaus in einem Gebäude untergebracht. “Ich gehe zwei Stufen hinunter und stehe in der Praxis”, verdeutlicht Spieren. “Meine Frau fand das zunächst, wie viele Kollegen, fürchterlich”, lacht Spieren. Doch nur durch die Nähe von Wohnen und Arbeiten sei es möglich, den vier gemeinsamen Kindern gerecht zu werden. Auch hier passt die Schnittstelle.

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