Der FallImpfen bei Morbus Bechterew

Patientinnen und Patienten mit rheumatischen Erkrankungen können ein stark erhöhtes Infektionsrisiko aufweisen. Was gilt es in Bezug auf Impfungen zu beachten?

Menschen mit M. Bechterew erkranken signifikant häufiger an viralen und bakteriellen Infekten.

Frau B., 56 Jahre…

Frau B. stellt sich erstmalig in der Praxis vor. Die Patientin ist sehr schlank (161 cm, 50,6 kg, BMI 19) und wirkt vorgealtert. Sie arbeitet seit vielen Jahren als pharmazeutisch-technische Assistentin in leitender Position in der Apotheke eines großen Krankenhauses. Ihr Mann ist vor zwei Jahren an einem Lungenkarzinom verstorben.

Nennenswert aus der Vorgeschichte ist ein seit etwa dreißig Jahren bestehender Morbus Bechterew mit chronischen Schmerzen im Rücken und an der HWS. Unter NSAR und Kortison hat die Patientin trotz PPI mehrfach Magenulzera entwickelt. Der mitbehandelnde Rheumatologe hat die Patientin vor Jahren auf Enbrel® 25 (Etanercept, TNF-alpha-Inhibitor) eingestellt.

Bei einer zweiten Konsultation erheben wir den Impfstatus:

  • vollständige Grundimmunisierung in Kindheit und Jugend,
  • Tdap zuletzt 2014,
  • Impfungen gegen Hepatitis A und B im Rahmen der betriebsmedizinischen Versorgung,
  • (fast) jährliche Influenza-Impfungen,
  • Impfung gegen Sars-CoV-2 bisher dreimal erfolgt, zuletzt vor vier Monaten.

Das sagt der Hausarzt

Dr. med. Thomas Ledig, Facharzt für Allgemeinmedizin, Ditzingen

Zunächst einmal scheint unsere Patientin gut versorgt zu sein: Die Grundimmunisierungen sind erfolgt und aufgefrischt. Lediglich die für Baden-Württemberg empfohlene FSME-Impfung fehlt – allerdings gibt die Patientin an, diese nicht gewollt zu haben, da sie aufgrund ihrer Behinderung wenig in die Natur geht. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch ein deutliches Defizit.

Zunächst ist die ankylosierende Spondylitis eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die mit einer deutlichen Immunsuppression einhergeht: Die Patienten erkranken signifikant häufiger an viralen und bakteriellen Infekten und können vermehrt subakute Verläufe und Komplikationen erleben [1].

Daher scheint es sinnvoll, mit der Patientin die für diese Personengruppe empfohlenen Impfungen zu diskutieren. Wir empfehlen ihr die sequenzielle Pneumokokken- und die Herpes-zoster-Totimpfung. Außerdem wären eine Polio-Auffrischung sowie die Meningokokken-Impfung (tetravalent, ACWY) denkbar.

Da keine Fernreisen vorgesehen sind, verzichten wir auf Polio und sehen keine Indikation für die Meningokokken-Impfung aufgrund der in den STIKO-Empfehlungen [2] (Tab.2) genannten Indikationen.

Zusätzlich müssen wir berücksichtigen, dass Etanercept ein immunmodulierender Wirkstoff ist, der die Immunantwort (sowohl bei Infektionen wie auch bei Impfungen) beeinträchtigen kann [3]. Es ist also zu erwägen, ob zusätzliche und ergänzende Impfungen notwendig sind.

Dazu finden wir in der Veröffentlichung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zum Thema Immundefizienz und Impfen leicht zugängliche Informationen [1]: In Tabelle A-2 ist Etanercept aufgeführt, die Immunantwort auf infrage kommende Impfungen wird als “leicht reduziert, aber adäquat” berichtet. Lediglich Lebendimpfungen sollten unter Therapie vermieden werden.

Hier prallen medizinischer Anspruch und Versorgungswirklichkeit deutlich aufeinander: Über Jahre erhielt die Patientin eine immunsuppressive Therapie für ihren stark behindernden Morbus Bechterew, aber weder der bisherige Hausarzt noch der behandelnde Rheumatologe haben die Konsequenzen für den erforderlichen Impfschutz in Betracht gezogen.

Die durchaus sachkundige und kluge Patientin weist einen scheinbar vollständigen Impfstatus auf und neben der doch komplexen Behandlung waren zusätzliche Impfungen aus dem Blickfeld der Behandler verschwunden – in meiner Erfahrung ein nicht seltenes Ereignis!

Quellen:

  1. DOI 10.1007/s00103-019-02905-1
  2. Epidemiologisches Bulletin 34/2020
  3. Fachinformation Enbrel®, www.hausarzt.link/nMy15, letzter Zugriff 2.5.23

Das sagt der Facharzt

Prof. Dr. med. Klaus Krüger, Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie, Praxiszentrum St. Bonifatius, München

Die 56-jährige Patientin mit ankylosierender Spondylitis (früherer Name: Morbus Bechterew) ist in einem Alter, wo die entzündliche Aktivität der Erkrankung in der Regel nicht mehr sehr hoch ist. Vielleicht erhält sie deshalb nur noch die Hälfte der bei dieser Erkrankung empfohlenen Dosis des TNF-Inhibitors Etanercept (normale Dosierung 50 mg/Woche, kann aber bei guter Einstellung später auf 25 mg/Woche oder 50 mg nur noch alle zwei Wochen reduziert werden).

Zwar wissen wir heute, dass TNF-Inhibitoren generell nur mit geringer Erhöhung des Infektionsrisikos verbunden sind – das war in der Frühzeit dieser Therapie anders, weil damals vor allem sehr schwer erkrankte Patienten damit behandelt wurden.

Dennoch tragen bei Frau B. zusätzlich zu dieser Therapie ihre Grunderkrankung und ihr Alter zu einer moderaten Erhöhung des Infektionsrisikos bei; auf einen adäquaten Impfstatus ist deshalb zu achten. Hierzu zählen als feste Bestandteile

  • die jährliche Influenza-Impfung,
  • die Pneumokokken-Impfung gemäß STIKO-Empfehlung (also sequenziell PCV13 und nach sechs bis zwölf Monaten PPSV23),
  • Impfung gegen Tetanus/Diphtherie/Pertussis alle zehn Jahre,
  • mittlerweile auch das Zoster-Totvakzin (Monat 0/2), welches ab 50 Jahre bei immunsupprimierten Patienten eine Kassenleistung ist,
  • in Risikogebieten die FSME-Impfung (nähere Einzelheiten s. [1]).
  • Hinzu kommt im Zuge der jüngsten Entwicklung ein ausreichender Impfschutz gegen Sars-CoV-2.

Alle diese Impfungen können unter laufender Etanercept-Therapie durchgeführt werden, der Impfschutz ist unter dieser Therapie ausreichend. Unsere Patientin ist gegen Sars-CoV-2 gut geschützt, ebenso gegen Tetanus/Diphtherie/Pertussis und Influenza.

In der Tat besteht eine zu schließende Impflücke bezüglich sequenzieller Pneumokokken-Impfung und Zoster-Impfung mit dem Totvakzin. Beide Impfungen werden in der Regel gut vertragen (Pneumokokken besser als Zoster) und sorgen bei zweifellos leicht erhöhtem Infektionsrisiko für einen guten Impfschutz.

Inwieweit auch eine FSME-Impfung sinnvoll ist, hängt vom Wohnort ab. Zu berücksichtigen ist, dass die FSME-Verbreitung immer mehr zunimmt, und so ganz überzeugend ist das Argument, die Patientin gehe selten in die Natur, nicht – ich würde ihr zu dieser Impfung raten. Die Meningokokken-Impfung hingegen scheint bei dieser Patientin sicher entbehrlich.

Quelle:

1. DOI 10.1007/s00393-020-00938-5

Das sagt die evidenzbasierte Medizin

Generell können Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, zu denen auch Morbus Bechterew gehört, je nach Schwere der Erkrankung, den vorhandenen Begleiterkrankungen, dem Alter sowie der Art und Intensität der immunsuppressiven Therapie ein stark erhöhtes Risiko für eine Infektion mit Krankheitserregern aufweisen. Impfungen können helfen, dieses Risiko zu senken.

Grundsätzliche Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR) zum Thema Impfen bei Menschen mit rheumatischen Erkrankungen lauten folgendermaßen:

  • Besprechung des individuellen Impfprogramms mit dem Patienten, “shared decision”,
  • Impfungen bevorzugt in Remission,
  • Impfungen bevorzugt vor Therapiebeginn,
  • Totimpfstoffe auch während Steroid- und DMARD (“disease-modifying anti-rheumatic drug”)-Therapie,
  • Lebendimpfstoffe können mit Vorsicht in Betracht gezogen werden (frühere Empfehlung: “sollten vermieden werden”),
  • jährliche Überprüfung des Impfstatus.

Laut STIKO sollten Menschen mit rheumatischen Erkrankungen alle Standardimpfungen wahrnehmen, die mittels Totimpfstoff erfolgen. Die Grundimmunisierung erfolgt in der Regel schon im Kindesalter. Vor allem die Tetanus-Impfung ist unbedingt zu empfehlen (erfolgt in der Regel zusammen mit der Impfung gegen Diphtherie und Keuchhusten).

Darüber hinaus gibt es noch Indikationsimpfungen mit Totimpfstoffen, die die STIKO bei vorliegender Immunsuppression oder Immundefizienz empfiehlt und die idealerweise im Vorfeld einer immunsuppressiven Therapie erfolgen sollten, wie etwa:

  • Influenza (ab dem 60. Lebensjahr Standardimpfung), Impfung mit einem Totimpfstoff sollte jährlich durchgeführt werden,
  • Pneumokokken (ab dem 60. Lebensjahr Standardimpfung),
  • Hepatitis A/B bei gefährdeten Patienten,
  • FSME bei Aufenthalt in entsprechenden Risikogebieten,
  • Meningokokken,
  • Herpes zoster ab dem 50. Lebensjahr.

Wie es in den EULAR-Empfehlungen und in den Anwendungshinweisen zu den von der STIKO empfohlenen Impfungen bei Autoimmunerkrankungen heißt, ist unter Therapie mit Etanercept eine Impfung mit Totimpfstoffen “jederzeit möglich”.

Im Idealfall sollte man die “Immunisierung mindestens zwei, besser vier Wochen vor Therapiebeginn abschließen”.

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