UrteilWenn sich Eltern uneinig sind bei der Corona-Impfung

Aus Anlass einer amtsgerichtlichen Entscheidung erörtert der Münchner Professor für Medizinrecht, Matthias Krüger, auf welche Art und Weise juristisch zu verfahren ist, wenn sich Eltern uneinig darüber sind, ob das gemeinsame minderjährige Kind eine Corona-Schutzimpfung bekommen soll.

Kind zwischen den Eltern: Was tun, wenn sich die Eltern vor Gericht streiten, ob das Kind gegen Corona geimpft werden soll?

Sachverhalt

Die Parteien eines Familienrechtsstreits vor dem AG Bad Iburg sind geschiedene Eheleute und haben das gemeinsame Sorgerecht für die gemeinsamen minderjährigen Söhne, von denen einer an Asthma leidet. Vor Gericht streiten sie darüber, ob die Kinder gegen Corona geimpft werden sollen.

Während es der Vater auf Anraten der behandelnden Kinderärztin will, ist die Mutter dagegen. Beide Eltern haben jeweils beantragt, dass sie im Wege einer Eilentscheidung die Gesundheitssorge in dieser Frage übertragen bekommen.

Die Mutter sagt, dass die Söhne eine Impfung ablehnen, und meint, dass diese Entscheidung zu respektieren und damit ausschlaggebend sei, weil die Söhne selbst voll entscheidungsfähig seien. Die Entscheidung sei im Übrigen richtig, weil die Nebenwirkungen einer Impfung noch nicht hinreichend erforscht seien und das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bei Kindern vergleichsweise gering sei.

Das Gericht hat beide Kinder persönlich angehört. Argumente für oder gegen eine Impfung konnten sie dabei auf Nachfrage des Gerichts nicht benennen. Ein Sohn gab an, dass es “okay” sei, wenn er auf Anraten seiner Kinderärztin geimpft wird.

Entscheidung des AG Bad Iburg

Das AG Bad Iburg als zuständiges Familiengericht hatte Anfang 2022 über diesen Rechtsstreit zu befinden [1]. Sein Maßstab dabei war § 1628 BGB, wonach Familiengerichte einem Elternteil auf dessen Antrag die alleinige Entscheidungsbefugnis übertragen (können), wenn “sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen” können.

Nach den zugrunde liegenden Verfahrensnormen kann es dies sogar im Wege einer Eilentscheidung tun. Eine solche hat das AG gefällt und mit der grassierenden Omikron-Welle begründet. Interessanter als dieser – eher prozessuale – Aspekt ist die inhaltliche Frage, welchem Elternteil im Wege von § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis in solchen und vergleichbaren Konfliktfällen zuzusprechen ist bzw. ob darauf verzichtet werden kann, weil sich die Kinder eine eigene Meinung gebildet haben.

Dazu heißt es vom AG Bad Iburg: “Eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB ist auch deshalb nicht entbehrlich, weil die Kinder nach § 630d BGB für den medizinischen Eingriff bereits einwilligungsfähig im Verhältnis zu der ärztlichen Impfperson sein könnten. Denn selbst bei einer Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen betrifft § 630d BGB lediglich die Einwilligungsfrage in die tatsächliche ärztliche Behandlung und nicht die rechtliche Vertragsbeziehung des der Behandlung zugrundeliegenden Vertrages zwischen dem Minderjährigen bzw. seinen Eltern und dem impfenden Arzt […].

Auch das Gericht teilt die wohl überwiegend vertretene Ansicht, dass es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff – wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus – zur Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sogenannten Co-Konsens bedarf […].

Die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung der gemeinsamen Kinder […] war dem Vater zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Gemäß Satz 2 der Vorschrift können mit der Übertragung Auflagen und Weisungen verbunden werden.

Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB […]. Die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird […]. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt […].

STIKO-Empfehlungen anwenden

Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen nach § 1628 Satz 1 BGB auf einen Elternteil kann grundsätzlich nach inzwischen gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt werden, dass die Entscheidungsbefugnis grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen […].

Die Impfempfehlungen der STIKO sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden und dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer Impfempfehlung nach der dortigen sachverständigen Einschätzung der Nutzen der jeweiligen Impfung das Impfrisiko überwiegt […]. Es handelt sich dabei um die Feststellung einer auf Sachverständigenerkenntnissen hierfür eingesetzten Expertenkommission, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres anzuzweifeln ist.”

Anschließend führt das Gericht weiter aus, dass zwar “der Kindeswille nicht unbeachtet bleiben kann. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden kann […].”

Freilich sah sich das Gericht davon überzeugt, dass ein Sohn “aufgrund des massiven, auf Angsterzeugung abzielenden Verhaltens der Mutter nicht im Stande ist, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona-Schutzimpfung zu bilden. Argumente für oder gegen eine Impfung konnte er nicht benennen. Bei der Anhörung hinterließ er keinen reifen und reflektierten, sondern vielmehr einen verängstigten, erstarrten Eindruck. Der Kinderwille steht somit einer Entscheidung, die Befugnis für die Impfung auf den impfbefürwortenden Vater zu übertragen, nicht entgegen.”

BGH zu Impfungen von Kindern

Mit seiner Entscheidung befindet sich das AG Bad Iburg in bester Gesellschaft. Ähnlich hat bereits das OLG Frankfurt/M. im August 2021 entschieden [2]. Beide Gerichte konnten sich wiederum auf eine Entscheidung des BGH stützen [3]. Er hat bereits vor Jahren in einem vergleichbaren Rechtsstreit einen Vater als besser geeignet angesehen, über die Durchführung der Impfungen des Kindes zu entscheiden.

Dabei hat er “maßgeblich darauf abgestellt, dass der Vater Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. […]. Sie hat als sachverständiges Gremium […] die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben und Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln.

Zweck des Infektionsschutzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (vgl. § 1 Abs. 1 IfSG). Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl. Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben sie einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind – wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist – von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert.”

Fazit

Als Fazit lässt sich für Haus- und Kinderärzte festhalten, dass sie keinesfalls eigenmächtig zum (mutmaßlichen) Wohle des Kindes verfahren dürfen, wenn Eltern uneins sind, ob minderjährige Kinder gegen Corona geimpft werden sollen. Dies kann im Einzelfall bei kurativen Eingriffen wegen Notstands juristisch indiziert sein, wenn etwa im Rahmen einer Notoperation eine lebensrettende Bluttransfusion erfolgen muss, die aus religiösen Gründen von den Eltern abgelehnt wird.

Aber schon bei einer geplanten Operation, bei der eventuell eine Bluttransfusion vonnöten wird, müssen Ärzte den Willen der Eltern respektieren und ggf. eine Entscheidung des Familiengerichts nach § 1666 BGB herbeiführen.

Erst recht müssen Ärzte zurückhaltend sein, wenn es sich um einen präventiven Eingriff handelt. Wenn sich Eltern darin uneins sind, müssen sie vor Gericht ziehen, und Ärzte anschließend den Willen des Elternteils respektieren, der vom Familiengericht die Entscheidungsbefugnis über die Vorsorgeimpfung bzw. -maßnahme zugesprochen bekommen hat.

Dass es um einen präventiven Eingriff geht, ist übrigens zugleich der (wahre) Grund dafür, dass es auf eine mögliche Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Kindes nicht entscheidend ankommt. Selbstverständlich darf man sich nicht über seinen ablehnenden Willen hinwegsetzen. Wenn es die Impfung dagegen befürwortet, bedarf es kumulativ noch der Zustimmung beider Eltern oder des – im vorgenannten Sinne – maßgeblichen Elternteils.

Quellen:

  • AG Bad Iburg, Beschl. vom 14.1.2022 – Az.: 5 F 458/21 EASO.
  • OLG Frankfurt/M., Beschl. vom 17.8.2021 – Az.: 6 UF 120/21.
  • BGH, Beschl. vom 3.5.2017 – Az.: XII ZB 157/16.
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