Notfallsanitäter in rechtlicher ZwickmühleNotfallversorgung zwischen Hilflosigkeit und Körperverletzung

Einem Gesetz zufolge dürfen Notfallsanitäter nur nach Rücksprache mit einem Arzt heilkundlich tätig werden. Im Arbeitsalltag gefährdet das Leben. Das DRK Biberach möchte das ändern.

Biberach. In einer Tagesstätte für Senioren ist ein Mann kollabiert und kurzzeitig in Ohnmacht gefallen. Mehr weiß Notfallsanitäter Adrian Filser nicht. Er bereitet sich auf en Noteinsatz vor. Für ihn sei es jedes Mal eine neue Herausforderung, jedes Mal die Ungewissheit, ob alles gut geht für den Patienten – und für ihn.

Im Seniorenheim sitzt der 81-jährige Mann schief in einem Sessel, sein Oberkörper hängt zur linken Seite, er wirkt desorientiert. Filser fragt den Mann, wie es ihm geht. Sein Patient blickt ihn an und versucht, zu antworten – ohne Erfolg. Ein Helfer vor Ort diktiert Filser die Vitalwerte. Es besteht Verdacht auf Überzuckerung. Für den Diabetiker eine bedrohliche Situation. Er braucht Insulin. Aber Filser darf es ihm nicht geben.

Können aber nicht dürfen

Zwar hat der Notfallsanitäter in seiner dreijährigen Ausbildung gelernt, Zugänge zu legen. In der Rechtsprechung gelten solche invasiven Maßnahmen aber als Körperverletzung, sagt Filser. Rein rechtlich gesehen, müsste er vor dieser Versorgungsleistung zunächst den Vormund des dementen Patienten kontaktieren. Theoretisch zählt auch das Messen des Blutzuckers dazu, da für den Tropfen Blut aus der Fingerspitze die Hautschicht verletzt wird – ebenfalls ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

Ein Heilmittel darf er nur in Absprache mit Ärzten und Heilpraktikern spritzen. Sollte keiner vor Ort sein, gälte es, telefonisch eine Erlaubnis zur Behandlung einzuholen. Nur wenn eindeutig ein lebensgefährlicher Zustand – ein rechtfertigender Notstand – des Patienten gegeben ist, dürfte Filser tätig werden.

In vielen Fällen entsteht aber gerade durch den ausbleibenden Eingriff erst eine solcher Notstand. Filser hatte vor einigen Wochen ein solches Erlebnis: Blutung im Magen-Darm-Bereich, Vitalwerte nicht akut lebensbedrohlich, Notarzt nicht erreichbar. Filser gab eine Kochsalzinfusion, um den Blutdruck auf einem Level zu halten.

Haftungsgefahr in allen Fällen

Wäre etwas als Folge auf seine Infusion passiert, ist Filser wie alle Notfallsanitäter nicht abgesichert. Er hätte privat haften müssen, weil er geholfen hat. Gleiches hätte gegolten, wenn er nicht geholfen hätte. In solchen Fällen besteht die Gefahr, sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten zu müssen. „Wenn ich jedes Mal überlegen muss, ob ich helfen darf oder nicht, dann läuft etwas schief. Immer stellst du dir die Frage: Kriege ich das vor Gericht durch?“, fragt sich Filser.

Manchmal liege die Spritze bereit und man wartet auf den Arzt, erzählt Filser. „Dann sitzt du vor dem Patienten, der fast so grau ist, wie die Betonwand und weißt, der hat Schmerzen wie ein Gaul, aber du darfst nichts geben.“ In solchen Situationen fühle er sich wie angebunden. „Notärzte fragen, warum nicht eingegriffen wurde: „Du kannst das doch, warum machst du es nicht?“, heißt es dann. „Man muss sich jedes Mal rechtfertigen“, erzählt Filser. Die Gesetzgebung müsste schauen, dass die Notfallsanitäter nicht die ganze Zeit mit einem Fuß im Gefängnis stehen.

DRK bitte um Hilfe der Politik

Sein Kreisverband hat sich nun an die Regierung gewandt, um diesem Dilemma entgegenzuwirken. Die Forderung: Die unklare rechtliche Situation durch eine entsprechende Anpassung des bundesweiten Gesetzes klarzustellen und die Fragen nach dem Versicherungsschutz zu klären. Das Bundesgesundheitsministerium habe das Thema bereits im Blick und ist im Austausch mit den Ländern. Konkrete Festlegungen gebe es noch nicht, sagt ein Ministeriumssprecher.

„Wir wollen keinen Notarzt ersetzen, sondern Erkrankten schnelle Hilfe ermöglichen“, meint Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Biberach, Michael Mutschler. „Wir sind ländlich strukturiert und haben lange Wege. Das therapiefreie Intervall könnte so verkürzt werden.“ Notärzte wären schneller verfügbar für andere Patienten und nicht jeder Patient müsste sofort ins Krankenhaus gebracht werden. So wie der Senior aus der Tagesstätte. Er kann schon wieder lachen, als ihn Filser auf einer Trage in den Rettungswagen schiebt. Das Insulin wird ihm ein Arzt in der Notaufnahme verabreichen. Doch dort heißt es erstmal: warten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist am Freitag in Biberach, um über das umstrittene Notfallsanitätergesetz beim DRK zu diskutieren. Das DRK plant, Spahn Lösungsansätze für eine Anpassung des Gesetzes vorzustellen.

Mit Material von dpa/lsw

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