HarnwegsinfektionHarnwege: Therapie akuter Infekte wird schwieriger

Etwa die Hälfte aller Frauen hat zumindest einmal in ihrem Leben eine Harnwegsinfektion (HWI), etwa 10 Prozent eine zweite, 3 Prozent aller Frauen geben rezidivierende HWI-Episoden an und 2,4 Prozent leiden unter häufig rezidivierenden Zystitiden.

Wir sprechen also von einem häufigen Krankheitsbild, welches jedoch wie eine Fata Morgana erscheint: “Signifikante Bakteriurie hat wenig Signifikanz, wenn es um die Erfassung jener Personen/Patienten geht, die von einer Therapie profitieren würden” schreibt Finucane im J Am Geriatr Soc 2017. Auch die Symptome des Harnwegsinfekts sind wenig hilfreich, sie kommen und gehen spontan.

Patienten, Keime und Antibiotika

Die aktuelle S3-Leitlinie definiert als Patientengruppen ohne sonstige relevante Begleit-erkrankungen mit unkomplizierten HWI

  • Nicht schwangere Frauen in der Prämenopause
  • Schwangere
  • Frauen in der Postmenopause
  • Jüngere Männer
  • Patienten mit Diabetes mellitus und stabiler Stoffwechsellage

Angesichts der überall präsenten Resistenzproblematik und der möglichen Übertherapie kann man den Eindruck gewinnen, dass kein Antibiotikum die beste Therapieoption ohne Selektionsdruck und ohne Kollateralschäden (z.B. Clostridium difficile Infektion) wäre. Entsprechende Ansätze gibt es, indem dem Einsender einer Harnkultur vom mikrobiologischen Labor mitgeteilt wird “This POSITIVE urine culture may represent asymptomatic bacteriuria or urinary tract infection. If urinary tract infection is suspected clinically, please call the microbiology laboratory…for identification and susceptibility results (Daley, Infect Control Hosp Epidemiol 2018).”

Escherichia coli ist immer noch Haupterreger der Akuten Zystitis (Abb. 1), seine Empfindlichkeit gegenüber den Standardantibiotika hat sich jedoch verändert. Enterokokken treten häufig bei Mischinfektionen auf, dann ist die Pathogenität nicht gesichert und die Therapie des Enterobakteriums ausreichend.

Neu, vermehrt dank moderner mikrobiologischer Techniken beschrieben, ist Actinotignum schaalii, ein Gram-positives Stäbchenbakterium, das bei älteren Patienten nachgewiesen werden kann.

Die “Positivliste” der AWMF-Empfehlungen zur Therapie der akuten Zystitis sind in alphabetischer Reihenfolge Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam und Trimethoprim, die “Negativliste” beinhaltet Cefpodoxim-Proxetil, Ciprofloxacin, Cotrimoxazol, Levofloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin. Dosierungen und antibiotikaspezifische Therapiedauer sind der Tab. 2 zu entnehmen.

“Positivliste” und Literatursplitter

Fosfomycin-Trometamol

Die Single-Shot-Gabe ist einer fünftägigen Nitrofurantointherapie unterlegen, in einem Harnblasenmodell konnte gezeigt werden, dass die Effektivität sehr variabel ist und es zum Auftreten von Resistenzen kommt.

Diese Resistenzentwicklung zeichnet sich auch schon in den in vivo-Studien ab. Die rezente Literatur hält fest, dass weitere Studien notwendig sind, um die optimale Dosis und Kombination zur Vermeidung von Therapieversagen zu finden. Fosfomycin-Trometamol in einer Dosierung von zwei bis eventuell drei Gaben im Abstand von 72 Stunden könnte die Zukunft darstellen.

Nitrofurantoin

Bei Langzeitgaben (≥12 Monate) kann es vor allem bei älteren Frauen zum Auftreten von akuter interstitieller Pneumonie (≥1:100 – <1:10) als auch der gefürchteten chronischen Lungenfibrose (<1:10.000) kommen. Desweiteren ist Nitrofurantoin bei Nierendysfunktion mit Kreatinin-Clearance <60 ml/min oder mit erhöhtem Kreatinin-Plasmaspiegel sowie bei Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase- Mangel kontraindiziert. Ebenso ist die Sub-stanz bei schwangeren Frauen im 6. – 9. Schwangerschaftsmonat wegen der Gefahr einer hämolytischen Anämie bei Neugeborenen kontraindiziert. Bei einem sauren Harn-pH ist die Aktivität von Nitrofurantoin besser.

Pivmecillinam

Welche Dosierung von Pivmecillinam ist die richtige? Eine rezente Netzwerkanalyse untersuchte alle (24) randomisierten-kontrollierten Studien und kam zu dem ernüchternden Schluss, dass eine insuffiziente Evidenz zur optimalen Kombination aus Dosierung und Dosishäufigkeit sowie Therapiedauer vorliegt, um eine optimale Therapie der akuten Zystitis abzuleiten. Eine inzwischen zehn Jahre alte Studie empfiehlt bei ESBL-positiven E. coli-Stämmen eine Dosierung von 800 mg Pivmecillinam 3-mal täglich! Aus infektiologischer Sicht stellt sich die Frage, ob unsere Patientinnen wirklich die Compliance aufbringen, Pivmecillinam 3-mal täglich einzunehmen.

Trimethoprim

Ist die Resistenzrate >20 Prozent soll Trimethoprim nicht mehr als Mittel der 1. Wahl zum Einsatz kommen. In Österreich ist die Resistenzrate von E. coli gegen Trimethoprim bzw. Cotrimoxazol jeweils >20 Prozent (AURES 2017), ähnliches gilt auch für Deutschland. Hiermit hat auch der Einsatz des sulfonamidhältigen Cotrimoxazols keinen Mehrwert außer dem Risiko, ein Lyell-Syndrom zu induzieren. Von den klassischen HWI-Therapieoptionen sticht Trimethoprim mit dem größten Risiko für akutes Nierenversagen (OR 1.72) bzw. Hyperkaliämie (OR 2.27) heraus (Crellin, BMJ 2018).

Leitlinie und real world

Wagenlehner präsentierte bei der Jahrestagung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft im Oktober 2018 die Antibiotikaverschreibungen bei Harnwegsinfektionen 2010 und 2015 bei Patientinnen ohne Krankenhausaufenthalt. Führend waren die Chinolone (2010: 318.447 – 2015: 306.729), gefolgt von Cotrimoxazol (2010: 230.824 – 2015: 142.290). Im Jahr 2015 wurde Nitrofurantoin 44.471-mal verordnet, Fosfomycin 185.309-mal.

Warum sind trotz Leitlinienempfehlungen Chinolone immer noch führend? Die extrem hohe Konzentration im Harn und die damit verbundene hohe Aktivität bei exzellenter Compliance-Attraktivität sind sicher nicht außer Acht zu lassende Faktoren. Studien konnten auch zeigen, dass selbst bei mikrobiologisch resistenten E. coli-Stämmen ein klinischer Erfolg zu sehen war. Eine österreichische Studie konnte desweiteren zeigen, dass bei Patientinnen mit einer erstmals aufgetretenen akuten Zystitis die Chinolonresistenz deutlich niedriger war als jene im publizierten Resistenzbericht; in jenen fließen naturgemäß primär die die “Problempatientinnen” ein.

Antibiotikafreie Therapieoptionen

Im Jahr 2010 erschien die erste vielversprechende Pilotstudie, die ein NSAR (Ibuprofen) gegen ein Antibiotikum (Ciprofloxacin) in der Therapie der akuten Zystitis verglich. Randomisierte Nachfolgestudien konnten jedoch mehrfach die Erwartungen nicht erfüllen, da die Symptome länger anhielten und das Pyelonephritis-Risiko erhöht war. Die aktuelle Leitlinie empfiehlt daher, dass primär eine antimikrobielle Therapie empfohlen werden sollte, jedoch bei leichten/mittelgradigen Beschwerden eine alleinige symptomatische Therapie als Alternative erwogen werden kann.

Gibt es andere Alternativen? Es gibt gute Daten zu der Kombination von Xyloglucan, Hibiskus und Propolis sowie eine doppel-blinde, Parallelgruppen randomisierte Multicenterstudie, die Fosfomycin-Trometamol gegen eine Kombination von Liebstöckelwurzel, Rosmarinblättern und Tausendgüldenkraut erfolgreich verglich.

Fazit

  • Die Therapie ist wider Erwarten schwierig geworden, nicht jede akute Zystitis muss antimikrobiell behandelt werden.
  • Zunehmende Resistenzen schränken die – oralen – Therapieoptionen laufend ein.
  • Asymptomatische Patientinnen dürfen nicht antimikrobiell therapiert werden, da ein hohes Risiko besteht, dass diese dann zukünftig unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen leiden.
  • Moderne Phytotherapien sind erfolgversprechend, von Cranberry-Zubereitungen riet sogar 2016 die Deutsche Apotheker Zeitschrift ab.

Literatur beim Autor.

Interessenkonflikte:

Der Autor hat keine deklariert

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