Pro und KontraHerpes zoster: Macht die Impfung Sinn?

Die STIKO empfiehlt seit Dezember 2018 den Totimpfstoff gegen Herpes zoster für Personen ab 60 Jahren. Dessen Wirksamkeit ist hoch, dasselbe gilt für die Reaktogenität. Überwiegt der Nutzen den Schaden?

Pro: „Der Prävention der Gürtelrose kommt besondere Bedeutung zu“

von Prof. Klaus Überla, STIKO-Mitglied, Direktor des Virologischen Instituts des Uniklinikums Erlangen

Mit einem Lebenszeitrisiko von 30 Prozent ist die Gürtelrose sehr häufig. Ab einem Alter von etwa 50 Jahren steigt die Inzidenz stark, weil die virusspezifische Immunität oder die generelle Immunkompetenz abnehmen. Im höherem Alter erhöht sich aber auch das Risiko für schwere Verläufe und die sehr belastende und lange anhaltende postzosterische Neuralgie. Aufgrund unbefriedigender Therapieoptionen kommt der Prävention der Gürtelrose besondere Bedeutung zu.

Von den beiden in Deutschland zugelassenen Impfstoffen empfiehlt die STIKO seit Dezember 2018 nur den Herpes-zoster-Totimpstoff Shingrix. Dessen Wirksamkeit zur Verhinderung der Gürtelrose liegt bei 50- bis 59-Jährigen bei 97 Prozent und selbst bei den über 80-Jährigen noch bei 90 Prozent [1,2]. Im vierten Jahr nach der Impfung werden 88 Prozent der Fälle verhindert, die Wirksamkeit dürfte aber noch wesentlich länger andauern: Die virusspezifische Immunantwort ist auch nach neun Jahren deutlich stärker als vor der Impfung. Auch die postzosterische Neuralgie kann die Impfung effektiv verhindern (91-prozentige Wirksamkeit bei ≥ 50-Jährigen).

Die außergewöhnlich hohe Wirksamkeit des Impfstoffes ist auf das Adjuvanz AS01b zurückzuführen. Dieses dürfte auch für die bis zu drei Tage anhaltende hohe Reaktogenität verantwortlich sein. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten in den Zulassungsstudien jedoch selten auf und waren in der Impfgruppe nicht häufiger als in der Placebogruppe. Bullöse Hautveränderungen, die nach der Zulassung in Deutschland – nicht aber in den USA – beobachtet wurden, müssen hinsichtlich ihrer Kausalität, Häufigkeit und potenzieller Risikofaktoren weiter abgeklärt werden. Eine Evidenz-basierte Empfehlung des Herpes-zoster-Totimpfstoffes bei Patienten, die bereits einen Zoster durchgemacht haben, ist wegen fehlender Daten gegenwärtig nicht möglich; jedoch besteht keine Kontraindikation für diese Gruppe.

Zusammenfassend spricht die Risiko-Nutzenabwägung auf Basis der Zulassungsstudien und bisher über 20 Millionen weltweit verabreichten Dosen eindeutig für die Impfung mit dem Totimpfstoff. Die Lieferengpässe müssen rasch überwunden werden, sodass – gemäß STIKO-Empfehlung – sowohl besonders Gefährdete über 50 als auch alle über 60-Jährigen die Impfung in Anspruch nehmen können.

Quellen:

1. Lal H et al. Efficacy of an adjuvanted herpes zoster subunit vaccine in older adults. N Engl J Med. 2015;372(22):2087-96

2. Cunningham AL et al. Efficacy of the Herpes Zoster Subunit Vaccine in Adults 70 Years of Age or Older. N Engl J Med. 2016;375(11):1019-32


Kontra: „Müssen wir bestehende Unklarheiten im Feldversuch klären?“

von Stefan Lodders, Facharzt für Allgemeinmedizin, Halle (Saale)

Shingrix kam im März 2018 auf den deutschen Markt und war Ende desselben Jahres schon fest in den STIKO- Empfehlungen verankert. Für die Impfung gegen Ebola hätte ich das erwartet, aber gegen Herpes zoster?

Die Impfung kostet 200 Euro, in Deutschland leben etwa 22 Millionen über 60-Jährige, die geimpft werden sollen. 4,4 Milliarden Euro ist dem deutschen Gesundheitssystem der Schutz vor einer einzelnen, nahezu nie tödlichen Krankheit also wert. Und jedes Jahr kommen weitere 60-Jährige dazu. Zwar verursacht auch die Gürtelrose Kosten – dennoch scheint mir der Preis hoch, zumal unklar ist, wie lange der Impfschutz anhält: Die Zulassungsstudien untersuchten nur einen Zeitraum von vier Jahren, einige Daten deuten auf einen – dann schwächeren – Schutz für bis zu neun Jahre hin [1].

Die STIKO hat exakt das gleiche optimale Impfalter herausgearbeitet wie eine Studie des Herstellers GlaxoSmithKline (GSK) [2]. Das wirft bei mir Zweifel auf, ob die STIKO wirklich unabhängig von GSK arbeitete. Dazu kommt, dass viele, für die die Impfung infrage kommt, schon einmal Herpes zoster hatten: Man geht davon aus, dass jeder Zweite, der das 85. Lebensjahr erreicht, einmal daran erkrankt [3]. An den Zulassungsstudien nahmen aber nur Probanden teil, die noch nie Zoster hatten. Das bisher einzige Argument für die Impfung von bereits an Gürtelrose erkrankten Personen ist eine GSK-Studie, die nicht nach Herpes zoster fahndete, sondern primär nach der Immunreaktion auf die Impfung bei dieser Patientengruppe [4]. Allerdings traten bei sechs Prozent der Impflinge Verdachtsfälle von Gürtelrose auf, teils sogar mehrfach. Doch diese wurden “wegargumentiert”: Es gab keine Serologie als Beweis, teils keinen Arztkontakt. Die Studienautoren schreiben, dass sie von der Menge der Zoster-Verdachtsfälle überrascht seien, aber “eine Prüfung der Wirksamkeit war nicht geplant.” Um die STIKO zu überzeugen, reichte es jedoch offensichtlich.

Zudem informierte im August 2019 die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft per “Drug Safety Mail” die Ärzte darüber, dass nach Impfung erneut Herpes zoster gemeldet wurde [5]. Bei der Häufigkeit der Erkrankung ist das natürlich nicht unmöglich. Die Frage ist: Müssen wir diese Unklarheit wirklich im Feldversuch “Standardimpfung für alle” klären oder hätte man von GSK bessere Daten fordern können als eine Studie mit 96 Teilnehmern, deren positiver Aspekt zur “Impfung für alle” führte, deren Risikosignale aber im selben Atemzug kleingeredet wurden?

Wir sprechen hier weiter von der Gürtelrose – einer bisweilen quälenden, aber ungefährlichen Erkrankung – und nicht von Ebola. Übrigens wurden in der demokratischen Republik Kongo, in welcher Ebola endemisch ist, 2016 von staatlicher Seite für die gesamte Bevölkerung 1,5 Milliarden Euro an Gesundheitsausgaben investiert [6]. Wir impfen für das Dreifache gegen Gürtelrose.

Quellen:

  1. Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI: Wissenschaftliche Begründung zur Empfehlung einer Impfung mit dem Herpes zoster-subunit-Totimpfstoff. Epid. Bulletin vom 13.12.2018/Nr. 50
  2. Van OorschotVan Oorschot D et al. Cost-effectiveness of the recombinant zoster vaccine in the German population aged ≥60 years old. Hum Vaccin ImmunotherHum Vaccin Immunother. 2019; 15(1): 34–44
  3. RKI-Ratgeber: Windpocken (Varizellen), Gürtelrose (Herpes zoster). www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Varizellen.htmwww.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Varizellen.htm (Stand: 1.8.17)
  4. GodeauxGodeaux O et al. Immunogenicity and safety of an adjuvanted herpes zoster subunit candidate vaccine in adults ≥ 50 years of age with a prior history of herpes zoster: A phase III, non-randomized, open-label clinical trial.Hum Vaccin ImmunotherHum Vaccin Immunother. 2017 May; 13(5): 1051–1058
  5. Drug Safety Mail 2019-46 23.8.19
  6. Länderprofil DR Kongo.https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-dr_kongo.pdfhttps://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-dr_kongo.pdf

 

Mögliche Interessenkonflikte: Beide Autoren haben keine deklariert.

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