Hausarzt MedizinFehlermanagement in der Praxis – aber wie?

Um Fehler zu vermeiden, muss man die Ursachen herausfinden und daraus Änderungen für das eigene Handeln ableiten. Wie man ein Fehlermanagement in der Praxis aufbaut, beschreibt das Aktionsbündnis Patientensicherheit in einer neuen Handlungsempfehlung.

Statt eines entblähenden Medikaments gibt die MFA ein Diabetesmedikament aus (s. u. Fehlerbericht). In der Folge erleiden zwei von zehn Patienten eine Unterzuckerung. Die Praxis ergreift daraufhin verschiedene kurz- und langfristige Maßnahmen, um solch ein Ereignis künftig zu vermeiden.

Wie im beschriebenen Fall passieren in jeder Praxis manchmal Dinge, die nicht hätten passieren sollen und die man, unter anderen Umständen, hätte vermeiden können. Die Folgen sind in den meisten Fällen harmlos. Manchmal kommt aber auch jemand zu Schaden und dann können die Konsequenzen dramatisch sein: Beeinträchtigt werden Patientinnen und Patienten, die Angehörigen, aber auch die an der Behandlung Beteiligten, die dann oft unter Schuldgefühlen und Versagensängsten leiden. Möglicherweise werden sie beschuldigt, einen Fehler begangen zu haben. Eventuell werden sie aufgefordert, beim nächsten Mal “besser aufzupassen” oder sogar bestraft.

Dabei wird jedoch übersehen, dass in den meisten Fällen nicht eine einzelne Person, sondern die Verkettung unglücklicher Umstände und das Versagen von bestehenden Sicherheitsbarrieren ursächlich sind. Wenn sich am Ablauf nichts ändert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich das Ereignis in gleicher oder ähnlicher Weise wiederholt. Deshalb ist es wichtig, solche Ereignisse zu erkennen, ihre Ursachen zu analysieren und gezielte Maßnahmen abzuleiten, die die Wahrscheinlichkeit verringern, dass das gleiche Ereignis in Zukunft noch einmal eintritt.

Um eine echte Fehlerkultur zu etablieren, ist es wichtig, über kritische Situationen offen zu sprechen. Die hohe Kunst des Fehlermanagements besteht darin, Zwischenfälle systematisch aufzuarbeiten – Voraussetzung dafür wiederum ist ein offener und sachlicher Umgang mit Fehlern. In vielen Praxen gibt es bereits Fehlerbücher, einen “Fehlerpatienten” in der Praxissoftware oder einen anderen Ort, wo man Ereignisse, die nicht passieren sollten, festhalten kann.

Es ist allerdings aufwendig, diese Dinge nicht nur zu dokumentieren, sondern auch regelmäßig zu besprechen, die Ursachen zu analysieren, um Verbesserungspotenzial zu identifizieren. Meistens muss man dafür neue Prozesse schaffen, beispielsweise einen Tagesordnungspunkt “unerwünschte Ereignisse” in den Teamsitzungen aufnehmen oder verantwortliche Mitarbeiter festlegen.

Neue Handlungsempfehlung

Um ambulante Einrichtungen dabei zu unterstützen, ein Fehlermanagement mithilfe von CIRS (Critical Incident Reporting System) in ihren Praxen einzurichten, hat das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) in Zusammenarbeit mit diversen Institutionen und Mitarbeitenden des Gesundheitswesens Empfehlungen erarbeitet und konsentiert [1]. Die Handlungsempfehlung “Berichts- und Lernsysteme einrichten und erfolgreich betreiben” (s. u.) richtet sich an Leitungskräfte und Interessierte in ambulanten Einrichtungen, die die Patientensicherheit stärken wollen. Sie soll als Schritt-für-Schritt-Anleitung dabei unterstützen, ein internes Berichts- und Lernsystem einzuführen und zu betreiben:

  • Zunächst beantwortet sie die Frage nach dem Nutzen eines Berichts- und Lernsystems für die einzelne Praxis, da dies sicher für jedes Praxisteam relevant ist. Zudem diskutiert sie, wie man ein solches System in bestehende Strukturen (wie ein Qualitätsmanagement) integrieren kann.
  • Sie schlägt konkrete Grundsätze und Abläufe vor, die die Einrichtung eines Berichts- und Lernsystems im Praxisalltag fördern. Auch die verschiedenen Rollen von Praxisleitung und Mitarbeitern werden vorgestellt, dabei wird insbesondere die Motivierung der Mitarbeitenden thematisiert.
  • Als zentraler Teil folgt der Ablauf des Berichtens und Lernens, also welche Ereignisse wie berichtet, analysiert und nachverfolgt werden können. Für viele dieser Prozesse sind Beispielformulare angehängt, so dass sich eine Praxis die für sie passenden Abschnitte und Dokumente übernehmen oder abändern kann.

Fußnote: 1. Die Entwicklung dieser Handlungsempfehlung wurde gefördert im Rahmen des Innovationsfonds, Projekt CIRSforte, Förderkennzeichen 01VSF16021.

Link: Die Handlungsempfehlung “Berichts- und Lernsysteme einrichten und erfolgreich betreiben”: www.cirs-ambulant.de

Fehlerbericht 876: Sonovorbereitung mit Unterzuckerung

Was ist passiert?

Zur Vorbereitung für Ultraschalluntersuchungen sollte zum Entblähen Elugan (Simeticon) von der MFA mitgegeben werden. Es wurde mehr als zehn Patienten Euglucon (Glibenclamid) mitgegeben. Durch die Namensähnlichkeit hat die MFA die Medikamente verwechselt und zur Sonovorbereitung abgegeben, ärztliche Kontrolle fand nicht statt.

Was war das Ergebnis?

Unterzucker in zwei (!) Fällen (erst nach zweitem Fall Ursache entdeckt), glücklicherweise ohne weitere Folgen für die anderen Patienten.

Mögliche Gründe, die zu dem Ereignis geführt haben können?

Sonovorbereitung wurde früher von erfahrener MFA betrieben, die die Praxis schon verlassen hat. Danach Funktion an unerfahrenere MFA weitergegeben.

Welche Maßnahmen wurden aufgrund dieses Ereignisses getroffen oder planen Sie zu ergreifen?

  • Filtern aller Sono-Patienten, um Schaden festzustellen.
  • Erörterung im Praxisteam, um auf die hohe Gefahr für Leben und Gesundheit der Patienten insbesondere bei diesem Wirkstoff hinzuweisen.
  • Zukünftig Doppelcheck bei allen Medikamenten, die an Patienten abgegeben werden, insbesondere bei Simeticon durch zwei MFA und Kontrolle durch Arzt.
  • Als Simeticon nie mehr Elugan sondern mit anderem Handelsnamen.

Was sind Berichts- und Lernsysteme?

Berichts- und Lernsysteme sind auch unter anderen Bezeichnungen bekannt etwa als CIRS (Critical Incident Reporting Systems) oder als Fehlermeldesysteme. Die Systeme unterstützen das Sammeln und Aufarbeiten von kritischen Ereignissen, sodass Leitungskräfte, die berichtende Person selbst, alle Kollegen, im Idealfall aber auch andere Einrichtungen, daraus lernen können. Berichts- und Lernsysteme können papierbasiert (als Fehlerbuch) oder elektronisch (als Fehlerpatient in der Praxissoftware) aufgebaut sein. Sie können innerhalb einer einzelnen Einrichtung genutzt werden (einrichtungsintern) oder gemeinsam von mehreren Einrichtungen (einrichtungsübergreifend). Ein Beispiel für ein einrichtungsübergreifendes Berichts- und Lernsystem für den hausärztlichen Bereich ist www.jeder-fehler-zaehlt.de. Ein Beispiel für ein sektorenübergreifendes System ist www.cirs-nrw.de.

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