Hausarzt-ExtremInselarzt aus Leidenschaft

Fahrrad-Bruchpiloten, alteingesessene Insulaner und – wenn es sein muss – auch mal ihr Viehzeug: Der Arbeitsalltag als Hausarzt auf einer Ostfriesischen Insel ist abwechslungsreich. Und nicht selten kreativ: Weil ihm MFA fehlen, heuert bei Dr. Hans-Joachim Koller bald eine Schiffsmechanikerin an.

Hausarzt auf Langeoog

Die Ecke Barkhausenstraße/Garten- straße auf der Insel Langeoog war lange die unfallträchtigste Kreuzung im ganzen Landkreis. Und das, obwohl hier kein einziges Auto fährt, wie Dr. Hans-Joachim Koller berichtet. Seit 17 Jahren ist er auf der Ostfriesischen Touristeninsel Hausarzt. “Abschürfungen, Prellungen, Verbrennungen, Knochenbrüche”, zählt er die Verletzungen seiner Patienten auf, mit denen sie im Sommer als Fahrrad-Bruchpiloten in seine Praxis kommen. “Sie fahren zuhause selten Rad, schwingen sich hier auf den Drahtesel und bauen Unfälle.” Oft auf jener berüchtigten Kreuzung.

“Das ist hier doch nicht Bullerbü!”, meint Koller. Damit hat er aber nur die halbe Wahrheit gesagt. Denn wenn er von seiner Praxis erzählt und von seinem hausärztlichen Alltag zwischen den ständig neuen Touristen, den alten Insulanern und nicht zu vergessen ihrem Viehzeug, das er gleich mitbehandelt, dann beschreibt er eigentlich den Hausarzt von altem Schrot und Korn.

Facharzt? Nicht in Sicht!

Kollers Insel liegt vor der ostfriesischen Nordseeküste – hier arbeitet er fast wie der klassische Landarzt der 1950er Jahre, der morgens einen Zahn zieht, mittags einem Kind zur Welt hilft (“Achim, beeil dich, das Fruchtwasser kommt!”) und abends dem Gaul einen Tumor vom Hals schneidet. “Alles schon passiert”, versichert er. Also doch ein bisschen Landarzt-Bullerbü. “Wenn man die Menschen liebt und die Arbeit, dann ist man hier richtig”, sagt Koller.

Die Insellage tut dabei das ihre: Kein Patient geht hier mal eben auf die andere Straßenseite zum Facharzt. Denn: Es gibt (außer der Zahnärztin) keinen. Die Patienten können also nicht weglaufen, höchstens zum Kollegen, dem Hausarzt Dr. Jürgen Raddatz, einen Steinwurf entfernt. Und ihm dürfte es ja ebenso gehen wie Koller.

Früher oder später landen die Insulaner also bei dem einen oder anderen Hausarzt. Und der muss eben geländegängig sein – und fleißig. Denn jede zweite Nacht und jedes zweite Wochenende hat einer der beiden Bereitschaftsdienst.

Dafür verdient Koller gut. 20 Prozent seiner Patienten sind Privatpatienten. “Die Inseln sind teuer, wer hierher kommt, hat Geld.” Außerdem zahlt die KV Niedersachsen Zulagen für die häufigen Bereitschaftsdienste. Das Geld soll die wenigen Interessenten für den Inselarzt-Job locken.

Ausgebildete MFA sind begehrt

Kollers Praxis verfügt über zwei Behandlungsräume und einen kleinen OP. Was jedoch fehlt, sind Medizinische Fachangestellte (MFA). Koller kann nur auf eine ausgebildete Fachkraft zurückgreifen. “Aber ich brauche natürlich mehr MFA”, betont er. Also hat er zwei Quereinsteigerinnen angelernt und im Sommer kommt eine dritte mit Erfahrung hinzu. Sie war Schiffsmechanikerin. Zusätzlich bildet Koller derzeit eine junge MFA aus.

Außerdem ist derzeit Ellen Römhild da, Medizinstudentin aus Hannover. Sie macht ihr zweiwöchiges Praktikum. “Rückenschmerzen, grippaler Infekt, Mittelohrentzündung, hier macht der Hausarzt gefühlt alles”, sagt sie.

Im Winter sind die meisten Patienten Insulaner, im Hauptberuf Gastgeber oder Kneipiers. Sie leben von den Sommergästen, die sie in ihren roten Klinkerhäusern beherbergen. Außerhalb der Saison jedoch schläft die 1.800-Seelen Gemeinde Langeoog ihren nasskalten Winterschlaf. Dann streicht der Wind durch die leeren Straßen, ein paar Touristen legen in den Cafés die Hände um ihre Teetassen. Auch in der Praxis ist im Winter wenig los. Das muss man mögen.

Will man aber die Sensation der Insel kennenlernen, dann geht man nach Norden, vorbei am Wasserturm, zwischen den grasbewachsenen Dünen hindurch – ans Meer. Die Weite ist überwältigend. Es ist Ebbe, weit hinten im Grau schäumt die Brandung. In jeder Saison ertrinken auf Langeoog zwei Menschen, berichtet Koller.

An Silvester ist die Insel voll, an Himmelfahrt und am Rosenmontag, “dann kommen die Karnevalsflüchtlinge”, sagt Koller. Er weiß, wovon er spricht, er stammt aus Mainz. Spätestens ab Ostern wird die Masse der Inselgäste die Bevölkerung auf 14.000 anschwellen lassen, plus 3.000 Tagestouristen, die in bunt gestreiften Strandkörben am Strand lagern. Jede Menge Patienten: Im dritten Quartal des Jahres versorgt Koller rund 2.500 Patienten, meistens kleinere Sachen, aber nicht nur.

Notfälle per Fähre oder Heli

Wenn es hart auf hart kommt und einem Patienten mit Insel-Mitteln nicht mehr zu helfen ist, dann macht Vormann Sven Klette die “Secretarius” klar, um Patienten aufs Festland zu bringen. Neben den weißen Fähren ist der kleine 10-Meter-Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) im Winter das einzige Boot im Inselhafen. Manchmal muss es auch ganz schnell gehen, dann kommt der Hubschrauber und holt etwa Unfallpatienten ab.

Koller ist auf Umwegen nach Langeoog gekommen. Er wollte zwar immer schon Hausarzt werden, berichtet er, studierte aber zunächst Biologie, machte Werbung für Großküchen, studierte Chinesisch und endlich Medizin in Bochum. Er wurde Internist und arbeitete auf der Chirurgie im Krankenhaus Aurich. Irgendwann kam das Angebot, nach Langeoog zu gehen. “Du spinnst wohl”, hatte seine Frau noch gesagt. Das schöne weiße Haus an der Hauptstraße, der gute Preis, der für die Praxis fällig wurde und vielleicht auch der tidenunabhängige Fährverkehr zum Festlandhafen Bensersiel haben schließlich den Ausschlag für das Inselarzt-Dasein gegeben. Das war 2003.

Und heute? “Mein Kollege ist 70 und sucht schon seit Langem einen Nachfolger. Und ich bin ja auch schon 66.” Koller bedauert, was viele ältere Hausärzte bedauern: dass der Nachwuchs etwas anderes will, als Landarztpraxen verlangen. “Immer ansprechbar sein, jede zweite Nacht Dienst schieben. Da kann man nicht mal in Ruhe essen gehen, ohne dass der Kellner kommt und über seinen Leistenbruch sprechen will.” Doch was andere schreckt, zieht Koller an. “Ich bin”, sagt er, “der geborene Hausarzt.”

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